Adventskalender

3. Dezember

Ein wundervoller Tag

Wieder war es Dezember. Um genauer zu sein, es war der 24. Dezember – Weihnachten. Das ganze Land lag friedlich und ruhig in eine weiße Schneedecke gehüllt und die Menschen verbrachten ein paar schöne Stunden im Kreise ihrer Lieben und feierten zusammen unter dem Tannenbaum. Die Straßen wirkten wie leer gefegt und eine fast unheimliche Stille machte sich breit.
Auch Hannah feierte Weihnachten wie jedes Jahr. Alleine und verlassen stand sie am Grab ihrer Eltern und betrachtete den grauen Grabstein, der mit seiner weißen Schneemütze sehr friedlich und nahezu vertraut aussah. Eigentlich wollte sie Weihnachten mit Neville, seiner Oma und ihrem gemeinsamen Sohn Tim im Kreise der Familie feiern, doch in letzter Minute hatte sie alles abgesagt und Tim und Neville alleine feiern lassen. Sie brachte es einfach nicht übers Herz nach den Geschehnissen der letzten Jahre ihre Eltern hier allein zu lassen. Viel zu sehr musste sie auch an die Weihnachtsfeste denken, welche sie erlebt hatte, bevor ihre Mutter von den Todessern getötet wurde und bevor ihr Vater sich letztendlich aus purer Verzweiflung das Leben nahm. Wie schön war es doch immer mit den beiden gewesen. Und wie wichtig war es doch, dass sie Weihnachten mit ihrer Familie verbrachte.
Sicher, Neville war nicht gerade begeistert von ihrer Absage gewesen, doch er würde sowieso erst in Hogwarts feiern und wollte das Fest am Abend mit seiner kleinen Familie verbringen. Und Tim sollte bei Uroma Augusta bleiben. Doch Neville hatte ja noch seine Oma und die beiden würden wie jedes Jahr zusammen Alice und Frank in St. Mungo besuchen. Da Nevilles Eltern auch das Enkelkind kennen lernen sollten, würde er Tim sowieso mit zu seinen Eltern nehmen. Er würde also gar nicht merken, dass sie nicht da war und außerdem konnten sie ja auch die Tage nach Weihnachten miteinander verbringen.
Während diese Gedanken in ihrem Kopf umherschwebten, strich Hannah vorsichtig den Schnee von der Vorderseite des schlichten Grabsteines, so dass die Namen ihrer Eltern zu lesen waren. Jack und Alicia Abbott stand da geschrieben. Nicht mehr und nicht weniger. Kein Datum, kein Ort, nur die beiden Namen. Hannah legte ein paar Blumen auf das Grab und einen kleinen Teddybären dazu. Immer wenn sie hierherkam, hatte sie ein Geschenk für ihre Eltern. Sie fühlte sich besser, wenn sie ihnen etwas mitbrachte. Schließlich hatten sie ihr schon so viel geschenkt.
Langsam kniete sie sich vor das Grab und legte die Sachen in den kalten Schnee. "Frohe Weihnachten Mummy, frohe Weihnachten Daddy, ich vermisse euch so sehr", flüsterte sie dabei so leise, dass nur sie selbst es hören konnte. Dabei stimmte sie leise das Lied "Stille Nacht, heilige Nacht" an und dachte an die gute alte Zeit. Doch je mehr sie an die früheren Weihnachtsfeste dachte, umso mehr bereute sie, dass sie Neville und Tim nicht bei sich hatte. Wie schön wäre es, jetzt bei ihnen zu sein. Sie konnte ihren Sohn doch nicht beim ersten Weihnachtsfest alleine lassen. Er brauchte sie doch auch. Als sie das Lied beendet hatte, stand sie auf und lief etwas ziellos und in Gedanken verloren in Richtung Friedhofsausgang. Bevor sie den Friedhof verließ, blickte sie ein letztes Mal auf das Grab ihrer Eltern, das immer noch still hinter ihr lag.
Doch ihr Entschluss stand fest. Sie würde den heutigen Abend mit Neville, Tim und dem Rest der Familie feiern. Denn schließlich gehörten die doch ebenso zu ihrer Familie wie Mum und Dad. Und so packte sie ihren Besen und begab sich auf schnellstem Wege ins St. Mungo, wusste sie doch, dass Neville jedes Jahr dort war, um zusammen mit seinen Eltern die Heilige Nacht zu verbringen. Denn auch wenn Alice und Frank Longbottom nicht wussten, dass es ihr Sohn war, so bekamen sie dennoch mit, dass jemand bei ihnen war, der sie liebte.
Auf der geschlossenen Station in St. Mungo herrschte ein reges Treiben. Der ganze Raum, in welchem Alice und Frank lagen, war wundervoll geschmückt. Überall gab es Mistelzweige und Christbaumkugeln und ein großer Weihnachtsbaum stand im Zimmer, welcher über und über mit Kerzen dekoriert war. Von der Zimmerdecke fiel künstlicher Schnee auf den Boden hinab, welcher von kleinen Wichteln von Zeit zu Zeit zu einem großen Schneeberg zusammengeräumt wurde.
Neville, Tim und Augusta Longbottom waren bereits da, doch sie waren nicht die einzigen im Raum. Auch einige gute Freunde hatten sich zu ihnen gesellt. Da war Amos Diggory, der seit dem Tod seiner Frau und seines Sohnes ein guter Freund der Familie Longbottom war. Auch Hannahs beste Freunde Ernest Macmillan und Justin Finch-Fletchley waren unter den Weihnachtsgästen zu finden.
Es war eine ausgelassene Stimmung, viel fröhlicher, als man es sich auf einer geschlossenen Station vorstellte.
Bevor Hannah sich noch weiter umschauen konnte, hatte Neville sie schon entdeckt und kam auf sie zu. Er wirkte bedrückt, doch sein Blick wurde zugleich freundlicher. Er strahlte regelrecht.
"Hannah, schön, dass du doch zu uns gefunden hast", begrüßte er sie mit einer stürmischen Umarmung. Und auch Augusta Longbottom erhob sich von ihrem Stuhl neben dem Bett ihres Sohnes und begrüßte sie freundlich, aber doch etwas forsch. "Wurde auch Zeit, dass du Weihnachten zu uns findest. Dein Sohn braucht dich doch, Neville hat schon viel erzählt und ich hatte Zweifel, dass er sich das ausgedacht hat." Dabei huschte ein mahnender, aber auch freundlicher Blick von seiner Großmutter zu Neville hinüber.
Obwohl Hannah in Gedanken noch beim Grabe ihrer Eltern war, musste sie lächeln, als sie Nevilles Gesicht sah und gab ihm zugleich einen Kuss, bevor sie sich liebevoll ihrem Sohn widmete. Dann begaben sie sich zu seinen Eltern und Hannah und Tim wurden dort von Neville vorgestellt. "Mum, Dad! Das ist Hannah, meine Freundin und zukünftige Ehefrau und die Mutter meines süßen Sohnes Tim." Hannah sah das Lächeln auf Alice Lippen. Auch wenn sie nicht so recht wusste, wer sie waren, so schien sich Nevilles Mutter dennoch zu freuen. Doch dann richtete sie sich an Neville. "Zukünftige Ehefrau? Sollte das etwa ein Antrag sein?", fragte sie ihn verdutzt. Doch Neville sagt erst einmal nichts dazu, sondern rief alle Gäste an dem Tisch zusammen, der so in der Mitte des Raums platziert war, dass auch Alice und Frank Longbottom von ihren Betten aus integriert werden konnten.
Hannah erkannte weitere bekannte Gesichter. So auch Gilderoy Lockhart, ihren früheren Professor, der sich auf einen freien Platz setzte und jedem in seiner Nähe Autogramme schenkte und dabei "Oh du fröhliche" vor sich hin sang.
Auch ein paar Kinder waren unter den Gästen. Kinder, welche durch die Folgen des Krieges geschädigt waren oder auch nur ihre Eltern hier besuchten und trotz der schweren Stunden ein unbeschwertes Weihnachtsfest feierten.
Als alle saßen, nahm Neville sich ein Glas und versuchte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
"Liebe Freunde, liebe Verwandte und liebe Gäste. Es ist sicher ungewöhnlich, dass es auf einer Krankenstation an Weihnachten so hoch hergeht. Und doch haben wir uns heute am Weihnachtstag hier zusammengefunden. Und all das hat einen Grund. Einen schönen Grund. Denn ich möchte hiermit bekannt geben, dass ich Hannah Abbott zur Frau nehmen möchte. Also liebe Hannah, möchtest du mich heiraten?"
Hannah wusste gar nicht, wie ihr geschah. Sie schaute auf Neville und dann auf jeden der Gäste und sah, wie gespannt alle auf ihre Antwort warteten. Selbst Gilderoy vergaß für einen kurzen Moment, dass er Autogrammkarten verteilen wollte. Besonders die Erwartung in den Augen von Nevilles Großmutter ließ sie innehalten. Wie sollte sie nur reagieren? Was hätten ihre Eltern dazu gesagt? War sie dafür schon bereit? All dies ging ihr durch den Kopf. Erst das freudige Glucksen ihres Kindes holte sie wieder in die Realität zurück. Sie zögerte noch einen kurzen Moment, doch dann hatte sie ihre Gedanken gesammelt, schaute Neville in die Augen und sagte ihm zuerst flüsternd und danach laut und deutlich, so dass alle es hören konnten: "Ja, ich will dich heiraten, Neville Longbottom. Ich möchte mit dir glücklich sein und für immer und ewig zusammen sein. Ich möchte mit Tim und dir eine richtige kleine Familie gründen. Ja, ich will."
Als sie ihn dann noch unter einem der Mistelzweige küsste, stimmten alle in einen tosenden Applaus ein, der erst endete, als die Pflegerin der Station den Truthahnbraten mit Klößen und Plumpudding servierte und die meisten plötzlich merkten, wie hungrig sie waren.
Während alle zusammen speisten und Tim friedlich in Uroma Augustas Armen schlief, suchten Neville und Hannah sich einen ruhigen Fleck und betrachteten Seite an Seite das Geschehen, während sie einfach nichts sagten. Hannah war froh, dass sie sich aufgerafft hatte und doch zur Weihnachtsfeier gekommen war. Und als sie spät in der Nacht die Station verließen, überreichte Alice Longbottom ihr ein kleines Bonbonpapier, welches sie kurz vorher aufgelesen hatte, und lächelte Hannah erneut an.
"Ich glaub meine Mum mag dich, Hannah!", flüsterte Neville ihr leise beim Gehen ins Ohr. Doch Hannah war schon wieder in Gedanken versunken. Nur noch leise nahm sie das Lied wahr, welches beim Verlassen der Station aus dem Radio erklang.

When the world is ever changing
Like a candle in the dark
There’s a source of inspiration in the air
Let the magic dry your tears and heal your heart
Wonderful dream of love and peace for everyone
Of living our lives in perfect harmony
A wonderful dream of joy and fun for everyone
To celebrate a life where all are free

Denn dieses Lied stand für alles was heute Abend passiert war. Jetzt endlich wusste sie, was sie wirklich wollte. Und sie wusste, dass sie bereit war, etwas Neues zu beginnen. Aber vor allem war ihr klar, dass hier jetzt ihre Familie war. Hier war sie glücklich. Und egal, wo auch immer sie war, der Gedanke an ihre Eltern würde immer in ihrem Herzen sein. Und so lange sie an sie dachte, würden ihre Eltern auch immer bei ihr sein. Denn eines war ihr heute Abend klar geworden. Ihre Eltern wollten nicht, dass sie traurig an ihrem Grab saß und der Vergangenheit nachweint. Sie wollten ihre Tochter so glücklich und lebhaft sehen wie sie immer gewesen war. Und besonders an Weihnachten sollte sie glücklich sein. Denn schließlich war Weihnachten das Fest der Familie und damit auch ein wundervoller Tag.

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