6. Dezember
Nikolausnacht
"Und wenn du da fertig bist, kehrst du noch das Lager", rief Borgin und schlug die Ladentür hinter sich zu. Gregory Goyle seufzte und legte die Hand des Ruhmes, die er soeben abgestaubt hatte, zurück ins Regal.
Wie er diesen Job hasste. Der alte Borgin behandelte ihn wie einen Hund, den keiner haben will und die Bezahlung war auch mehr als mies.
Doch er war auf das Einkommen seiner Handlangertätigkeit bei ’Borgin & Burkes’ in der Nokturngasse angewiesen.
"Hätte ich mal damals in Hogwarts was Vernünftiges gemacht", murmelte er vor sich hin und schnappte sich den alten Besen.
Während er das Lager auskehrte erinnerte er sich zurück an die vergangenen Jahre.
Nach dem Fall des dunklen Lords und Crabbes Tod hatte sich einiges für ihn geändert. Er hatte die Schule endgültig abgebrochen und zunächst mit diversen Jobs seinen Unterhalt verdient. Mit Draco Malfoy hatte er nur noch sporadisch Kontakt gehabt und nun schon seit über 9 Jahren nichts mehr von ihm gehört. Malfoy hatte ihm mehr als deutlich gemacht, mit dem ’alten Gesocks’, wie er es nannte, nichts mehr zu tun haben zu wollen. Der kleine Scorpius musste nun auch schon ihm Alter für die Einschulung in Hogwarts sein.
Gregory hatte die Suche nach einer Partnerin schon vor Jahren aufgegeben. Er hatte einfach kein Händchen für Frauen, und es schien wirklich keine auf diesem ganzen verfluchten Planeten zu geben, die auch nur das geringste Interesse an ihm hegte.
So siechte er nun schon seit 3 Jahren in diesem verhassten Job beim alten Borgin dahin. Immerhin konnte er mit dem wenigen Geld, das er hier verdiente seine kleine Wohnung in Spinner’s End bezahlen und hatte abends immer eine halbwegs anständige Mahlzeit auf dem Tisch.
Als er das Lager fertig gefegt hatte, räumte Goyle den Besen beiseite und schloss den Laden ab.
Er ging zur Hintertür hinaus und aktivierte mit einem Schlenker seines Zauberstabes den Schutzzauber, der das Geschäft vor ungebetenen Gästen beschützen sollte. Das war in einer Gegend wie der Nokturngasse auch bitter nötig.
Es war Nikolausabend und die Nacht versprach eine klirrende Kälte, so dass Gregory seinen Mantel enger um sich schlang und eilig zur Winkelgasse lief. Er wollte zunächst im Tropfenden Kessel noch einen Drink nehmen, bevor er in seine leere Wohnung zurückkehren würde, in der noch nicht einmal eine Katze auf ihn wartete.
Tief in Gedanken versunken ging er an den Geschäften mit ihren weihnachtlichen Auslagen vorbei und beobachtete ein paar Hexen und Zauberer, die ihre Einkäufe für Weihnachten erledigten.
Er beneidete sie um ihre Familien und die Menschen, denen sie etwas Schönes aussuchen konnten.
Ja, die letzten Jahre hatten ihn wirklich verändert. Wobei...hatten sie das wirklich? Eigentlich wollte er nie ein Gefolgsmann des Dunklen Lords sein, oder ein Schläger, der dauernd für Malfoy den Kopf hinhielt, doch sein Vater verlangte es so von ihm, und schließlich wollte er in Hogwarts nicht alleine dastehen. Doch genau das war er jetzt, alleine.
Gregory schüttelte die düsteren Gedanken ab und betrat das Wirtshaus, in dem ein paar behagliche Feuer knisterten.
"Das Übliche?", fragte ihn Tom, der Wirt, ein wenig abweisend.
"Ja", antwortete Gregory schlicht und setzte sich an einen Tisch in der Ecke, der neben einem der wohlig warmen Feuer stand.
Wie ihn das alles langweilte. Die abweisenden Menschen, die ihn für dumm hielten und nichts mit ihm zu tun haben wollten. Es war überall in der magischen Gemeinschaft bekannt, dass sein Vater damals, vor beinahe 20 Jahren, ein Todesser war. Es stand riesengroß im Tagespropheten, als sie ihn damals fassten und nach Askaban brachten, und noch einmal, als er letztendlich vor etwa 5 Jahren hinter den dicken Mauern des Zauberergefängnisses starb.
Tom stellte schweigend ein Glas Feuerwhiskey und einen großen Humpen angewärmtes Butterbier vor ihm ab und kehrte zur Bar zurück.
Gregory bereute es, den Abstecher in den Tropfenden Kessel gemacht zu haben und nahm sich vor, nur schnell auszutrinken und dann heimzukehren.
Er starrte ins Feuer und bemerkte zunächst nicht, wie eine junge Frau den Pub betrat. Erst als er ihre Stimme hörte blickte er auf. Sie war wunderschön, mit einem leicht bronzefarbenem Teint und langem schwarzem Haar, das ihr in einem ordentlich geflochten Zopf bis zur Hüfte reichte.
Er war so sehr von ihrem Anblick gefesselt, dass er nicht zuhörte, was sie mit dem Wirt besprach.
Doch dann bemerkte er, dass sie eindringlich, ja fast flehend auf Tom einredete.
"Ich bitte Sie, sie müssen doch noch ein Zimmer haben", sagte sie. "Es ist wirklich kalt und ich weiß sonst nicht wohin heute Nacht!"
"Ist ja gut, Miss", sagte der Wirt, "ich seh’ mal nach, was sich machen lässt. Trinken Sie erst mal einen und schnaufen Sie mal tief durch", empfahl er und stellte ein Butterbier vor ihr hin.
In dem Moment kam ein Pulk von Leuten in das Wirtshaus und die junge Frau wurde von der Theke weggedrückt.
Suchend sah sie sich in dem überfüllten Schankraum um, und Gregory war klar, was sie sah. Alle Tische waren belegt, nur an seinem waren noch Plätze frei. Jedoch würde sich keine Frau, und schon gar nicht so eine wie sie, zu ihm setzen.
Frustriert nahm er großen Schluck von seinem Bier, als die Frau plötzlich vor ihm stand.
"Ist hier noch frei?", fragte sie ihn zerstreut.
Ähm, ja..äh..ich meine..klar, also..ja", stammelte Gregory. Na klasse, sie musste ihn ja für einen vollkommenen Idioten halten. Aber das wäre ja auch nichts neues.
"Danke", sagte sie schlicht, "es ist ja wirklich wahnsinnig voll hier."
"Hmm", murmelte Gregory unverbindlich und versuchte, die Frau nicht anzustarren. Sie war wirklich eine ausgesprochene Schönheit. Sie hatte leicht schräg stehende Augen in der Farbe flüssigen Bernsteins, die einfach jeden Mann zum Starren gebracht hätten.
"Aber nicht verwunderlich an einem Abend wie diesem, nicht wahr? Nikolaus, ein seltsames Fest, das sich die Muggel da ausgedacht haben. Aber schön ist es auch...ach Entschuldigung, ich rede zu viel. Ich bin übrigens Shila", sagte sie und lächelte.
"Ich bin Goyle, also eigentlich Gregory..also..ich heiße Gregory Goyle", antwortete Gregory. Ja, wirklich ein Vollidiot.
"Nett sie kennen zu lernen", sagte Shila und es klang aufrichtig, "machen Sie ihre Einkäufe für’s Fest hier?", fragte sie.
"Nein, ich arbeite hier in der Nok...also hier in der Nähe", antwortete er ausweichend.
"Ah, okay. Ja, ist bestimmt guter Umsatz gerade", antwortete sie und blickte sich danach um.
"Was machen Sie hier?", fragte Gregory, als ihm klar wurde, dass er gerade dabei war, das Gespräch im Keim zu ersticken.
"Oh, ich bin nur auf der Durchreise. Also, um genau zu sein...", sie zögerte, als wüsste sie nicht, wie viel sie preisgeben sollte.
"Ja?"
"Nun ja, ich..ich suche etwas, von dem ich dachte, dass ich es am wahrscheinlichsten hier in London bekomme", sagte sie schließlich.
Damit war der Damm gebrochen und sie erzählte ihm leise aber eilig von ihrer kranken Schwester, für welche sie einen Heiltrank brauen wollte, wozu ihr jedoch noch einige seltene Zutaten fehlten.
Sie erzählte und erzählte, während Tom den beiden ein Butterbier nach dem anderen brachte.
"Und deswegen", schloss sie letztendlich," deswegen bin ich hier. Ich brauche dieses Silbergeißblatt. Es ist höchst selten und vor allem fast auf der ganzen Welt gesetzlich verboten."
"Silbergeißblatt? Ich..also, ich weiß wo es das gibt!", sagte Gregory aufgebracht.
"Oh ja, ich auch. In so einem heruntergekommenen Laden namens ’Borgin & Burkes’ in der Nokturngasse. Ich habe einen Stadtstreicher dafür bezahlt, dass er es für mich dort besorgt, doch dieser Borgin verlangt einen absolut inakzeptablen Preis dafür. So viel Galleonen kann ich einfach nicht aufbringen, schließlich fehlen mir auch noch andere Zutaten", sagte Shila.
Gregory dachte nach. Natürlich hatte er den Obdachlosen gesehen, von dem sie sprach und kannte auch die horrende Summe, die Borgin haben wollte. Für gewöhnlich interessierte es ihn nicht, wie dieser seine Kunden abzockte, doch in Shilas Fall konnte er einfach nicht nur dasitzen. Er wollte ihr helfen, er musste es einfach.
"Hallo, jemand zu Hause?", fragte Shila und grinste ihn an, "Hast wohl zu viel getrunken was?"
"Nein, ich..also ich kenne diesen Laden. Eigentlich sogar sehr gut..."
"Ach echt?", fragte sie abwesend und schaute zu einer Gruppe Zauberern, die gerade laut über eine Rechnung stritten.
"Nun, ich dachte...also wenn du es wirklich brauchst...könnten wir es vielleicht stehlen", murmelte Gregory leise, doch Shila wirbelte zu ihm herum und starrte ihn an.
"Wie bitte?", fragte sie ungläubig.
"Es tut mir leid, es war ein blöder Gedanke..." Er schämte sich, dass er überhaupt etwas gesagt hatte und trank eilig sein Butterbier aus.
"Ich..also...ich werde jetzt mal nach Hause gehen. Ich wünsch’ dir viel Glück", sagte er zu Shila, die ihn immer noch fassungslos anstarrte.
Er schnappte seine Jacke, legte ein paar Galleonen für Tom auf den Tisch und verließ eilig den Pub.
Er war wirklich ein Idiot. Ein absoluter Vollidiot. Wie konnte er einer so herzensguten und rechtschaffenen Frau nur so etwas vorschlagen?
Er hatte es wirklich nicht anders verdient, als allein zu sein.
"Hey!", rief jemand hinter ihm, er fühlte sich jedoch nicht angesprochen.
"Greg...hey, Gregory, jetzt bleib doch mal stehen!"
Er tat wie geheißen und sah Shila an, die sich vor ihm aufbaute.
"War das dein Ernst?", fragte sie und sah ihm in die Augen.
"Ja", sagte er bestimmt. Was hatte er schon noch zu verlieren?
"Im Ernst? Du würdest das echt mit mir durchziehen?", fragte sie ihn verblüfft.
Nun war er an der Reihe zu starren. "J..ja, natürlich", stammelte er.
"Das...das ist echt nett von dir", sagte sie und etwas, das wie Tränen aussah, glitzerte in ihren Augen. "Wann...", sie zögerte.
"Heute Nacht. Nein, am Besten jetzt gleich. Komm, ich bring dich hin", antwortete Gregory fest entschlossen und stapfte ihr voraus durch die Kälte.
Er brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass Shila ihm folgte.
Am Laden angekommen schauten sie sich vorsichtig um, doch es war keine Menschenseele zu sehen. Das war nicht weiter verwunderlich, da die Gestalten, die sonst ihr Unwesen in dieser Gasse trieben, bestimmt nicht spätabends noch Weihnachtseinkäufe für ihre Lieben tätigen würden.
"Wie kommen wir rein? Der Laden ist doch bestimmt gesichert?", fragte Shila leise.
"Ich...da ist ist eine Tür. Sieh doch nochmal schnell nach, ob vorne alles ruhig ist", wies Gregory sie an. Als sie ihn an der Hintertür alleine ließ, zückte er eilig seinen Zauberstab und setzte die Wachzauber außer Kraft.
"Alles ruhig", flüsterte Shila, als sie wenige Augenblicke später zurückkehrte.
"Ja, ich glaube es ist kein Wachzauber aktiv. Wir können rein", sagte er und öffnete die Tür mit einem geflüsterten Alohomora.
"Seltsam...", murmelte Shila,"warum gibt es hier keine Sicherheitsmaßnahmen?"
Gregory hielt es für besser, ihre Frage unbeantwortet zu lassen.
"Lumos." Im Schein ihrer Zauberstäbe glitten sie durch das enge - aber saubere - Lager und er fand schnell, was er suchte.
"Wir haben Glück", flüsterte er zu Shila, "hier ist es schon."
Er nahm das kleine Kästchen mit der Aufschrift ’Silbergeißblatt’ hinten aus dem Regal und reichte es ihr.
Plötzlich hörten sie, wie vorne die Tür aufgeschlossen wurde und sahen, wie das kleine Licht am Verkaufstisch eingeschaltet wurde.
Gregory fluchte. "Das ist Borgin!", flüsterte er, "schnell, wir müssen raus hier!"
"Ich weiß, dass du hier bist, Dieb! Komm raus!", schnarrte Borgins Stimme aus den Verkaufsräumen herüber.
Die beiden Eindringlinge rannten zur Hintertür und Gregory griff auf dem Weg schnell eine Hand Instant-Finsternispulver aus einer Schachtel und schmiss es hinter sie. Sofort war das Lager von einer zähen Dunkelheit erfüllt und ermöglichte ihnen die Flucht in die leere Gasse.
Sie rannten den kompletten Weg zur Winkelgasse und hasteten durch den Tropfenden Kessel bis hin ins London der Muggel. Erst als sie glaubten, wirklich weit genug weg zu sein, blieben sie stehen und rangen nach Atem.
"So ein Mist", keuchte Shila.
"Ja, es musste wohl doch noch einen Zauber gegeben haben, von dem ich nichts wusste", antwortet Gregory unbedacht.
Sie runzelte die Stirn. "Hast du die Schachtel? Ist sie heil geblieben?", fragte er sie schnell, um sie abzulenken.
Sie kramte in ihrer tiefen Manteltasche und zog besagte Schachtel heraus.
"Heil und gut gefüllt", erwiderte sie glücklich.
"Ich danke dir, Gregory. Vielen, vielen Dank, auch im Namen meiner Schwester", sagte sie aufrichtig und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange, "Ich muss jetzt los, du weißt schon, die anderen Zutaten besorgen." Sie schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln und plötzlich war sie verschwunden.
Gregory sah sich um, doch er konnte sie nirgends entdecken. Bestimmt war sie schon längst appariert.
Er wandte sich um und ging langsam zurück in Richtung des Tropfenden Kessels.
Bis er dort ankam hatte er einen Entschluss gefasst. Shilas Entschlossenheit und Wille hatte ihn dazu inspiriert. Er würde nie wieder für so einen widerlichen Wurm wie Borgin arbeiten.
Er würde gleich morgen Spinner’s End verlassen und London den Rücken kehren und irgendwo, wo ihn niemand kannte, neu anfangen.
Ja, diese Nacht war wirklich kalt, aber irgendwie störte es ihn nun gar nicht mehr.
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