21. Dezember
Die stillen Gedanken von Filius Flitwick
oder
eine langweilige Geschichte, weil nichts passiert außer Treppensteigen
Er stand wieder einmal unten vor den drei riesigen Tannenbäumen in der Großen Halle. Das Licht brach sich erst in den Glasfenstern und dann tausendmal in den vielen Kristallen des Christbaumschmucks. Es war genauso gebrochen wie seine Gedanken an diesem Tag. Er fühlte sich gut, ja, aber irgendwie schweiften seine Gedanken in die Vergangenheit, in viele Vergangenheiten; in die Momente des Weihnachtsfestes seines Lebens. Seine Kindheitserinnerungen waren von einer Wärme und einer Liebe umgeben, aber irgendwie wurden sie von späteren Momenten immer wieder verdrängt; er sollte sie zulassen, sie gehörten zu seinem Leben und es waren wichtige Momente seines Lebens.
Zu Weihnachten dachte er meist über die Ereignisse des zurückliegenden Jahres nach, denn es waren die stillen Tage in seinem Leben. Meist lagen auch noch die Herbstnebel um das Schloss herum, aber der Schnee bedeckte schon - mal in einer dünnen Schicht, mal in tiefen Wehen und Schichten - das Gelände um das Schloss herum. Das Leuchten, das eine Schneelandschaft umgab, wurde so von einer Dunstschicht gebrochen, gefiltert, gespiegelt.
Keine Wunder, dass diese Zeit in bestimmten Gegenden für Wunder prädestiniert erscheint. Ein Leuchten, dessen Grund man nur erahnen konnte. Lichter und doch keine Lichter, ein helles Geheimnis, das alles einschloss. Und dann dieses Leuchten, frisch, bunt, aber auf der Geschichte eines alten Schlosses lagernd, das so von Magie voll war, das die Gestalten die es formte, real wurden. Er hatte manchmal den Eindruck, die Toten, die keine Geister geworden waren, drängten in dieser Nacht hinein um zu schauen, was von ihrer Heimat, ihrer Wirkungsstätte geblieben war.
Besonders an solch einem Tag direkt vor dem Heiligen Abend, an dem jeder noch für sich blieb, noch Alltag, aber doch wieder nicht, war. Es war jeder in seinem Raum. Die wenigen noch verbliebenen Schüler in ihrem Gemeinschaftsraum, die Lehrer in ihrem Büro, das ja gleichzeitig auch Wohnung war, denn sie verbrachten hier ihr Leben.
Eigentlich war das gesamte Schloss ihre Heimat, das Gelände, der Wald, aber vor allem die Menschen. Eigentlich niemand hatte ja Familie, noch nicht einmal der Kollege Longbottom. Ja, seine Oma gab es noch, aber die kam auch lieber ins Schloss, nachdem sie mit Neville ihre Kinder - beide waren es ja nun - auf der Station in St. Mungos besucht hatte. Und ansonsten … es waren einsame Menschen, die hier lehrten. Es war scheinbar ein Grundprinzip, dass ihre Familie die Schüler und anderen Lehrer waren. Deshalb fiel jeder Lehrer aus dem Rahmen, der von den Schülern nicht gemocht wurde. Es gab ja davon keine mehr, seitdem der Dunkle Lord besiegt war. Und der letzte musste seine Rolle spielen, vor allen, auch vor seinen Kollegen. Welche Verzweiflung musste Severus manchmal erfüllt haben, dass er den Feind im Schloss spielte, um der Feind im Herzen des wahren Feindes sein zu können.
Er schritt langsam und sinnend durch die fackelerleuchteten Gänge. Er nahm immer den kleinen Umweg, um bei seinen Ravenclaws vorbeigehen zu können; es waren drei während der Feiertage dageblieben. Es war still, nur der Türknopf schien wachsam zu sein. Er hatte sich angewöhnt, ihm zuzunicken. Es war nur ein verzauberter Gegenstand ohne Gefühle, aber er hatte manchmal den Eindruck, er würde eine gewisse Art von Leben in sich tragen. Diese tiefen Geheimnisse der Magie waren das Revier von Albus Dumbledore gewesen.
Ja, Albus Dumbledore. Wenn er an ihn dachte, wurde er wehmütig. Alle hatten gekämpft in der dunklen Zeit, aber er war schon so weise, dass er seine Feinde nicht hasste, sondern sie nur bekämpfte. Und hatte nicht grade diese Methode den Sieg gebracht. Albus - er vermisste ihn aus tiefstem Herzen heraus. Er war nicht nur einer der gütigsten und weisesten Menschen die er kannte, sondern da war auch dieser Humor, der sich auch über sich selbst eher lustig machte als über andere. Dieser tiefsitzende Respekt gegenüber den Überzeugungen anderer, ihren Wünschen und Träumen. Er konnte tief in die Herzen der Menschen sehen.
Ja, er selbst bemühte sich auch, aber manchmal ging es halt nicht, obwohl es mit zunehmendem Alter immer besser ging. Warum kam die Weisheit nur mit dem Alter und so spät? Und wie unterschiedlich waren die Menschen, die geliebt wurden. War nicht Albus Dumbledore leichter zu lieben als die strenge und unnahbare Minerva McGonagall. Aber war es nicht das gerade. Eine unnahbare Zuneigung zu den Schülern aller Häuser gepaart mit Respekt vor ihnen als Menschen und eine Hilfsbereitschaft, die ihre Pflichten als Lehrerin und Schulleiterin weit überstieg. Ihre Ansprachen zu Schuljahresbeginn waren spröde und die Erstklässler fühlten sich dabei teilweise unwohl und verunsichert. Er hatte wohl gemerkt, dass diese Aufgabe ihr nicht besonders lag. Und die Schüler stellten schnell fest, welch warmherzige Person sich hinter dieser scheinbaren Strenge verbarg. Eine Person, die aber auch ihr Leben für die richtige Sache jederzeit opfern würde, wenn sie es denn wert war.
Und was war die richtige Sache die es wert war. Eine einfache, schwierige - nein, doch, einfache Frage. Wenn viele ihr Leben opfern. Aber hatten das nicht die Todesser auch getan?
Und war eine Bellatrix Lestrange nicht genauso tapfer in den Tod gegangen und hatte Askaban überstanden, weil sie tief in ihrem Herzen an die Sache des Dunklen Lords glaubte. War nicht auch sie ein Opfer, wie Sirius Black, der von ihr getötet wurde, weil er auf der anderen Seite stand. Und hatte nicht Albus mal zu Harry gesagt, wie er von Harry Potter während eines Besuches erfahren hatte: "Viel mehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, Harry, die zeigen wer wir wirklich sind."
Ja, und die bessere Sache war nicht immer die siegreiche Sache, aber in diesem Falle schon. Der Respekt vor dem menschlichen Leben und der Freiheit der Gedanken war einfach ein Grundwert, der klar definierte, was richtig und was falsch war. Aber dennoch war ein gewisses Mitgefühl und ein gewisser Respekt auch für Bellatrix da. Sie hielt ja ihre Ideen für richtig. Im Gegensatz zu vielen Mitläufern Er dachte bei sich, das waren eigentlich die Menschen, die die größte Gefahr für ein ruhiges Leben darstellen. Menschen, die sich einer Seite anschließen, weil sie den persönlichen Vorteil erhoffen. Er konnte eher was mit Bellatrix anfangen als mit einem Lucius Malfoy. Der ärgste Feind steht einem meist näher als man glaubt.
Der Tag, die Schlacht. Sie hätten alle gehen können, die Schüler, und einige hatten es auch getan. Und da waren die, die trotz Verbots kämpften, wie Colin Creevey. Minerva hatte den Eltern erklärt, was überhaupt geschehen war und der Großvater, ein alter RAF-Pilot, Muggel, wie die ganze Familie außer den Brüdern, hatte Tränen in den Augen. Tränen der Trauer und des Stolzes. Das Kämpfen für die gerechte Sache wird ja oft verteufelt, von Muggeln und Zauberern, die Kampf an sich für böse halten. Aber die böse Sache bringt immer Kämpfer hervor, da müssen wir es auch tun. Sonst wird diese Welt für alle in Dunkelheit versinken. Dieses Wissen um die Not des Kampfes geht in Zeiten des Friedens verloren, aber es kommt immer wieder wenn es nottut.
Und da waren die verletzten Kinder - ja Kinder waren es noch, wenn man in die schmerzerfüllten Augen sah, aber diese Augen drückten auch aus "Ich mag nicht mehr kämpfen" und "Bis zum Letzten". Es waren die Augen, deren Aussehen wohl seit Anbeginn der Zeiten die Kämpfer hatten, die Ritter, die Phalanxkämpfer der Spartaner, die Kämpfer in den Armeen der Welt. Aber auch die Kinder, die für ihre Schule, für ihre Familien und für eine Welt einstanden, in der es sich zu leben lohnte, hatten diese Augen. Ja, sie riefen nach ihren Müttern, wie das Mädchen, das Ginny verletzt vom Schlachtfeld gebracht hatte - ja, es war ein Schlachtfeld gewesen. Ein Schlachtfeld wie Marathon und Issos und Waterloo. Und als es vorbei war, erfasste alle tiefe Trauer und Müdigkeit - aber sie glichen den Rittern die vom Kampfe heimkehrten, mehr als einige wohl ahnten. Deshalb hatte aus einer tiefen Ahung heraus einige Schüler den Statuen von längst toten Rittern mehr Aufmerksamkeit geschenkt als jemals zuvor. Sie hatten in die marmornen Augen geblickt und hatten da wohl die Widerspiegelung ihres Selbst gesehen. Und warum legten sie ihren Toten die Zauberstäbe in die Hand wie gefallenen Rittern ihr Schwert. Wenn sie es nicht erfassten mit ihren Gedanken, sie fühlten es sehr wohl. Sie hatten gekämpft, waren verwundet worden, waren gestorben. Und es war wie in ganz alten Zeiten gewesen. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse hatte eine weitere Schlacht gehabt und die Guten hatten gewonnen. Ja, die Guten. Daran hatte er nie einen Zweifel gehabt.
Wie lange stand er da eigentlich schon vor der Tür seines Büros? Er wusste es nicht. Er zog seinen Zauberstab und öffnete seine Bürotür. Und die Schatten der vergangenen Jahre seines Lebens kamen mit hinein. Wie jedes Jahr. Viele sagen, deshalb soll man nicht einsam sein in der Weihnachtszeit. Aber war es nicht die Zeit dafür, sich klarer und immer klarer zu werden, was man getan hatte, was man erlebt hatte? Und hatten es die verschwundenen Freunde - und auch Feinde - nicht verdient, dass sie Zugang fanden zu den Gedanken der Menschen, zu seinen Gedanken. Gab er ihnen nicht dadurch erst ein wenig Leben wieder. Manchmal stellte er sich vor, er würde nicht existieren und nur die Gedanken der Menschen die an ihn dachten würden ihn zum Leben erwecken. Hatte er es nicht verdient, dass die Menschen an ihn dachten. Hatten es nicht Albus, Severus verdient. Waren es nicht großartige Menschen? Und selbst wenn sie nur ein Traum wären, ein Schemen, würden sie nicht alle leben durch die Gedanken. Wie hatte es jemand mal gesagt: "Natürlich passiert es in deinem Kopf, Harry, aber warum um alles in der Welt sollte das bedeuten, dass es nicht wirklich ist?"
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