Adventskalender

18. Dezember

Der PonPon-Schneemann

Die Sonne schien schon hell am Himmel, als Blaise an diesem Samstagmorgen aufwachte. Er streckte sich ausgiebig und warf einen Blick durch die Vorhänge. Es hatte geschneit und das Licht der Morgensonne glitzerte auf den frisch gefallen Flocken.
"Guten Morgen", sagte eine sanfte Stimme neben ihm. Clarise gähnte und streckte sich genüsslich unter der warmen Daunendecke. "Wie geht es meinem geliebten Ehemann heute?" Blaise gab ihr einen schnellen Kuss. "Ganz hervorragend, wenn man so aufwacht. Es scheint ein herrlicher Tag zu werden."
Plötzlich hörte man ein lautes Klirren, fast so, als sei eine unbezahlbar teure Vase durch einen Fußball zu Bruch gegangen. Nein, es war nicht nur fast dieses Geräusch, sondern genau dieses!
"Shelly!", stöhnten beide. "Ich seh schnell nach", sagte Clarise und schlüpfte aus dem Bett.

Blaise ließ sich noch einmal in die Kissen fallen, seufzte resigniert und stand dann ebenfalls auf. Er ging schnell duschen, zog sich eine Jeans und einen gemütlichen schwarzen Rollkragenpullover an und ging hinunter zum Frühstück.

Als er die Küche betrat, saßen seine beiden Frauen schon am Tisch und stritten über die Vase.
"Aber Mama, die war doch eh hässlich", quengelte seine Tochter gerade.
"Mein liebes Fräulein, du bist acht Jahre alt! Findest du nicht, du bist allmählich zu alt, um im Haus solche Dummheiten anzustellen?"
So würde das noch eine ganze Weile gehen, so viel stand fest. Blaise goss sich einen Kaffee ein und nahm den Tagespropheten, um sich geflissentlich dahinter zu verstecken.

Er blendete das Gezanke so sehr aus, dass er erst gar nicht bemerkte, dass Clarise ihn ansprach.
"Blaise? BLAISE!"
"Hm?", er blickte von einem interessanten Artikel über einen neuen Rennbesen auf und erkannte, dass seine Tochter schon aufgestanden und in ihr Zimmer verschwunden war.
"Das nächste Mal könntest du dich ruhig auch mal äußern", funkelte seine Frau ihn an.
"Du hattest die Situation doch voll im Griff", gab er ungerührt zurück.
Ihre Augen verengten sich bedrohlich, das war nie ein gutes Zeichen.
"Okay, okay", ruderte er schnell zurück, "nächstes Mal übernheme ich das Tadeln, in Ordnung, Liebling?"
Sie dachte einen Moment nach. "Gut", sagte sie gedehnt, plötzlich mit Berechnung in den Augen, "und du gehst Montag mit ihr zum Nachmittagsbasteln!"
"Nein, Schatz, komm schon. Bitte, du weißt, dass das mehr dein Ding ist!", flehte Blaise.
Clarise schüttelte erbamungslos den Kopf. "Nein, Shelly freut sich schon unglaublich darauf, und wenn du dann mit ihr gehst, wird es einmalig für sie."
Es fiel Blaise schwer, diesen Argumenten noch etwas entgegenzusetzen.

"Hier, das sind die Sachen, die du brauchst", sagte Clarise. Der Montagmorgen war für Blaises Geschmack viel zu schnell gekommen und er betrachtete missmutig den kleinen Zettel, den seine Frau ihm gab.
"Lies nochmal vor, ob ich auch alles hab", verlangte sie, als sie gerade ihren rechten Schuh anzog.
"Wolle in weiß, eine Schere, dünne Pappe, zum Beispiel von einer Cornflakespackung, Filz in schwarz und orange, einen Zirkel und einen Klebestift."

"Ja, das ist alles, gut", sagte sie zerstreut. "Ich habe alles schon hier in eine Tüte gepackt. Denk dran, es wird heute ausschließlich auf Muggelart gebastelt! ’KEINE ZAUBEREI’ hieß es. Verdirb Shelly das bloß nicht! Ich muss nun los, bis heute Abend Schatz", sagte sie und verschwand durch den Kamin.
Blaise seufzte. Das würde ein besonders spaßiger Tag werden.

"Nein, Papa, ich will meinen Schneemann ganz alleine machen!", sagte Shelly.
"Na gut, aber frag, wenn du Hilfe brauchst", antwortete Blaise geduldig. Um ihn herum waren ausschließlich Mütter, die mit ihren Kindern ihren jeweils eigenen Projekten nachgingen.
Clarise hatte sich schon vor Wochen überlegt, dass Shellys Beitrag zum Weihnachtsfest der Schule gebastelte Weihnachtsmänner aus PonPons sein sollten.

Da sie noch einige zu machen hatten, legte Blaise sich die Anleitung zurecht und begann mit seinem Schneemann.
Zunächst zeichnete er mit dem Zirkel zwei Kreise mit einem Durchmesser von 2,5 cm auf die Pappe, in die er dann noch jeweils einen Kreis mit einem Durchmesser von 1,5 cm setzte.
Das Ganze machte er nochmal, jedoch hatten die anderen beiden Kreise außen einen Durchmesser von 1,5 und innen von 1,0 cm.
Er schnitt die Kreise und die ’Löcher’ aus und legte die beiden mit den gleichen Maßen jeweils übereinander.
Dann schnitt er vier Fäden gleicher Länge von der weißen Wolle ab - jeweils ca. 2 m lang- und begann die ersten beiden Pappringe damit zu umwickeln. Er nahm lieber sofort vier Fäden, denn dann ging das Umwickeln schneller.

Als die Fäden zuende waren machte er sich einfach schnell neue und wickelte weiter, wobei die Fäden nicht mit den anderen verknotet werden mussten.
So umwickelte Blaise den Ring so lange immer weiter, bis das Loch in der Mitte geschlossen war. Zum Schluß ging das ganz schön schwer, und er nahm einen Bleistift zur Hilfe.

Er war schon jetzt schrecklich genervt von dieser ganzen Bastelei und wünschte sich sehnlichst, seinen Zauberstab benutzen zu dürfen. Er warf einen Blick auf seine Tochter, die Clarise wie aus dem Gesicht geschnitten war. Ihr Gesicht war vor Konzentration ganz angespannt und sie schien nichts mehr um sich herum mitzubekommen.
Blaise lächelte und wandte sich wieder seiner Anleitung zu.

Er umwickelte auch den zweiten, kleineren ’Doppelring’ gleichmäßig mit Wolle und nahm dann die Schere zur Hand.

Nun wurde ihm auch klar, wozu er die beiden Pappringe aufeinanderlegen sollte, denn im nächsten Schritt musste er die umwickelten Ringe entlang ihrer Kante aufschneiden. Zunächst machte er dazu einen kleinen Schnitt und schob dann die Schere zwischen die Ringe, so dass es ihm dann leichter von der Hand ging.

Als der PonPon aufgeschnitten war, nahm er einen Faden, legte ihn zwischen die beiden Ringe und verknotete ihn, damit er die vielen einzelnen Fädchen fortan zusammenhielt.
Anschließend entfernte er die Pappringe, indem er sie einfach aufriss und abzog.

Nun schnitt Blaise überstehende Fädchen zurecht und zog eventuelle lose Fäden aus dem PonPon. Anschließend knotete er die beiden PonPons mit einem Faden zusammen.
"Schau mal, ich habe Kopf und Körper fertig", sagte er stolz zu Shelly und schaute zu ihr herüber. Ihm klappte der Kiefer runter, als er sah, dass vor ihr schon ein komplett fertiger Schneemann stand und sie den zweiten bereits mit einem Hut versah.

"Ganz toll, Papa", sagte sie fast so, als würde sie mit einem Kind sprechen.
Murrend wandte sich Blaise wieder seinem Schneemann zu und las die folgende Anweisung.
"Zeichne einen Kreis auf den schwarzen Filz mit einem Durchmesser von ca. 2,5 cm und einen Viertelkreis auf den orangefarbenen Filz mit Durchmesser 1,5cm", murmelte er vor sich hin.
Er tat wie ihm befohlen und schnitt die beiden Filzstücke aus. Anschließend schnitt er den schwarzen Filzkreis bis zum Mittelpunkt ein und klappte ihn soweit ein und klebte alles fest, dass ein kleiner Kegel entstand. Er betrachtete sein Werk und war sehr zufrieden mit dem entstandenen Hut.
Nun rollte er den orangenen Viertelkreis ein und klebte ihn zusammen, so dass er aussah wie eine Möhre, eben die typischen Nase für einen Schneemann.

Im Anschluss verlangte die Anleitung, dass er Augen und die ’Knöpfe’ aus dem schwarzen Filz ausschnitt, und diese Anweisung auszuführen brachte Blaise fast zu einem ausgewachsenen Tobsuchtsanfall. Wie schafften die Muggel das bloß solch kleine Kreise ohne Magie aus einem so weichen Material wie Filz zu schneiden? Was gäber er nur darum einmal kurz seinen zauberstab zu bemühen...aber nein, den Ärger mit Clarise wollte er sich nicht zusziehen, denn Shelly würde ihn garantiert bei ihrer Mutter verraten.

Also quälte er sich weiter mit der filigranen Arbeit und ihm stand der Schweiß auf der Stirn, als er endlich den letzten kleinen Punkt ausgeschnitten hatte.
Die folgenden Arbeistschritte waren zum Glück einfacher zu erledigen. Er nahm den Klebestift und klebte Augen, Nase und Knöpfe an die gewünschte Stelle.

"Oh, du hast deinen auch fertig", sagte Shelly. "Hier, ich hab ihm aus Luftmaschen einen Schal gehäkelt, damit er nicht frieren muss", fügte sie stolz hinzu und wickelte den kleinen Schal um den Hals des Schneemanns.

An diesem Nachmittag schaffte Blaise gerade mal noch zwei weitere Schneemänner, während Shelly ganze 13 fertigstellte.
Zu Hause erzählte sie ihrer Mama stolz von ihren Werken, und wie viel Spaß es ihr gemacht hatte, mit ihrem Papa zu basteln.
"Siehst du Schatz, so schlimm war das doch gar nicht, oder?", fragte Clarise ihn abends gähnend. "Gute Nacht", sagte sie und gab ihm einen Kuss.
Sie hatte recht, im Nachhinein musste er zugeben, dass es auch ihm viel Spaß gemacht hatte, mit seiner Tochter zu basteln und mal zu erleben, wie die Muggel sich auf das Fest der Liebe vorbereiten.
Das würde er aber natürlich niemals zugeben.



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