12. Dezember
Sorias größter Triumph
Es war ein kalter Wintertag im Advent, genauer gesagt zwei Tage vor Heiligabend. Irgendwo im schönsten Nirgendwo Schottlands hatte sich eine Menschenmasse in der verschneiten Winterlandschaft zusammengefunden. Das war sehr ungewöhnlich, denn für gewöhnlich war diese Lichtung tief im Wald menschenleer. Niemand verirrte sich an einen Ort so weit weg von jeglicher Zivilisation. Es musste also ein wahrlich großes Ereignis sein, das die Leute von ihren warmen Kaminen weg an diesen abgelegenen Ort lockte. Der Schnee glitzerte in den wenigen Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Wolkendecke hindurch gebahnt hatten. An Büschen und Bäumen hingen Eiszapfen und es hatten sich auch einige Eiskristalle gebildet, die der Lichtung ein romantisches und gleichzeitig unwirklich erscheinendes Aussehen verliehen.
Doch die Lichtung und die vielen Menschen waren real. An einer Seite der Lichtung unter den Bäumen hatten sie mehrere Stände aufgebaut, an denen sie Maronen und heiße Getränke verkauften. Deshalb standen die meisten der Leute, die teilweise sehr seltsam gekleidet waren, sie trugen nämlich Umhänge, mit dampfenden Tassen in der Hand da. Für jemanden, der sich zufällig dorthin verirrt hätte, wäre es sicherlich sehr seltsam gewesen, wie sie aussahen und worüber sie sich unterhielten. Doch diese ungewöhnliche Versammlung hatte vorgesorgt, so dass garantiert niemand ihre Gespräche über so seltsame Dinge wie Butterbier oder den Grund dieses Menschenauflaufs, die Weltmeisterschaft im Langstreckenfliegen, mitbekam. Es waren nämlich allesamt Zauberer und Hexen, die sich hier versammelt hatten. Aus diesem Grund waren sie natürlich in der Lage gewesen, die Lichtung mit Muggelabwehrzaubern zu belegen. Muggel waren in der Zauberersprache ganz normale Leute ohne magische Fähigkeiten.
„Ich bin ja schon so gespannt auf die Ankunft der Teilnehmer“, sagte eine zierliche Hexe mit lockigem Haar zu ihrem Mann, der eine Brille trug. „Ja, ich auch. Und ich bin so gespannt, wie sich unsere Soria schlagen wird. Sie ist zwar die jüngste Teilnehmerin von allen, aber so talentiert. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie als eine der Ersten ins Ziel kommt.“ In diesem Moment wurde er unterbrochen, da eine magisch verstärkte Stimme über die Lichtung hallte: „Herzlich willkommen zum Finale der ersten Weltmeisterschaft im Langstreckenfliegen. Wir rechnen in wenigen Minuten mit der Zielankunft der ersten Teilnehmer. Aus diesem Grund möchte ich Ihnen die wichtigsten Informationen über diesen Wettbewerb mitteilen. Heute vor genau zwei Wochen sind die Teilnehmer in Südengland los geflogen. Sie haben auf dem Weg hierher rund 5000 km zurückgelegt und werden heute hier in Schottland das Ziel erreichen. Von 20 Teilnehmern, die an der Startlinie standen, sind noch zwölf im Rennen. Dem Sieger oder der Siegerin winkt der Titel des ersten Weltmeisters im Langstreckenfliegen. Die jüngste Teilnehmerin, die kleine Soria Xorasta, ist gerade einmal zwölf Jahre alt, der älteste Teilnehmer 56. Und nun bleibt mir nichts mehr zu sagen, als: Möge der Beste gewinnen!“ Die Stimme verstummte und eine gespannte Stille legte sich über die Lichtung.
Soria
Schneller, flieg schneller. Ich habe es bald geschafft, bald habe ich es allen gezeigt, können hat halt doch nichts mit dem Alter zu tun.
Ich drehe mich noch mal um aber ich kann immer noch niemand hinter mir entdecken ich fliege aber schon so lange alleine, ich werde mich doch nicht etwa verflogen haben? Nein, natürlich nicht, ich werde gewinnen. Ich werde mit meinen 12 Jahren Weltmeisterin werden.
Ich kann Leute hören die mich anfeuern, bestimmt stehen meine Eltern auch dort unten und unterstützen mich! Wie würden die sich erst freuen, wenn ich tatsächlich gewinne! Dort... Ich sehe die Ziellinie, noch 500 Meter.
Flieg, mein Besen flieg. Noch ein letzter Blick nach hinten, ganz hinten sehe ich jemand, aber er ist sehr weit weg! Und jetzt bin ich drüber, ich habe es tatsächlich geschafft, ich habe den Weltmeistertitel im Langstreckenfliegen gewonnen! Ich lande und spüre die Arme meiner Eltern.
Jeder wartete gespannt, welcher Teilnehmer zuerst am Horizont auftauchen und schließlich als Erster die Ziellinie, die man inzwischen markiert hatte, überfliegen würde. Mrs. Xorasta nahm einen der beiden Feldstecher, die sie und ihr Mann mitgebracht hatten und suchte den Himmel nach einer Person auf einem Besen ab. Zuerst konnte sie niemanden entdecken, doch dann tauchte am Horizont ein Punkt auf, der schnell größer wurde. Als die Person auf dem Besen etwas näher herangekommen war, stockte der Lehrerin für Arithmantik der Atem. Sie erkannte ganz klar die wehenden langen blonden Haare ihrer Tochter. „Schau mal“, meinte sie keuchend zu ihrem Mann und dieser schaute schnell durch den anderen mitgebrachten Feldstecher. „Das ist ja Soria. Und sonst ist weit und breit niemand zu sehen“, rief er entzückt aus. Der Sprecher erhob auch wieder seine magisch verstärkte Stimme, während Soria sich rasend schnell dem Boden näherte. „Und die erste Teilnehmerin befindet sich auf dem Weg ins Ziel. Es ist tatsächlich die jüngste Teilnehmerin, Soria Xorasta. Bitte feuern sie sie auf den letzten Metern an, meine Damen und Herren.“ Lauter Jubel brandete auf und begleitete die strahlende Zwölfjährige auf ihrem Weg ins Ziel, das sie wenig später als Siegerin durchflog. Damit machte sie die Sensation perfekt. Nicht nur, dass sie mit zwölf Jahren zu diesem Wettbewerb angetreten war, sie hatte ihn auch noch gewonnen. Als die anderen Teilnehmer, darunter auch der große Favorit, das Ziel erreichten, hatte Soria schon ihre Eltern in die Arme geschlossen und ließ sich feiern.
Sie gab ein Interview für den Tagespropheten und ließ sich wie ein Profi mit dem Pokal und der Urkunde, die sie wenig später erhielt, von der Presse fotografieren.
Zwei Tage später, an Heiligabend, saß sie am Frühstückstisch und las zum wiederholten Mal den Artikel, den der Tagesprophet über sie veröffentlicht hatte. Und immer wieder las sie ihren Eltern Teile davon vor. „Mama, Mama höre doch mal: Vor dem Start wurden noch Bedenken geäußert, ob man ein so junges Mädchen überhaupt fliegen lassen sollte und ob sie die Strapazen durchstehen könne. Nur durch die Unterstützung ihrer Eltern, die fest an sie glaubten, durfte sie dann doch noch antreten. Siehst du, Mama, ich habe es allen gezeigt, ich habe ja doch gewonnen! Und ich werde sogar als Wunderkind bezeichnet, und viele Quiddichmannschaften und ja sogar die Nationalmannschaft hat Interesse an mir. Weißt du, Mama, ich glaube ich werde mal eine ganz berühmte Quiddichspielerin! Oder Mama, hast du das schon gelesen: Durch Schnee, Sturm oder technische Mängel mussten einige Teilnehmer aufgeben. Aber Soria hielt trotz des schlechten Wetters durch und setzte sich an die Spitze. Gestern erreichte sie als erste das Ziel. Die Menge jubelte und konnte es nicht glauben, dass Soria weit vor den anderen elf Teilnehmern zur Landung ansetzte und von ihren Eltern in die Arme geschlossen wurde.“
„Ja mein Schatz, ich habe es gelesen und ich freue mich für dich, aber nun lege den Artikel weg und hilf mir bei den Vorbereitungen für heute Abend.“
„Ja Mama, aber weißt du, ich bin so froh das erleben zu dürfen, Danke, Danke, Danke!“, sagte sie und sprang ihrer Mutter in die Arme.
Später packte sie dann ihre Weihnachtsgeschenke aus und begutachtete mit strahlenden Augen ihren neuen Besen, einen Komet 140, der noch besser war als der Sauberwisch Eins, mit dem sie den Weltmeistertitel geholt hatte. Freudestrahlend umarmte sie ihre Eltern und meinte: „Danke, das sind die schönsten und aufregendsten Weihnachten meines Lebens!“ Den Rest des Abends konnte Soria von nichts anderem als ihrem neuen Besen reden und sie war sich sicher, mit diesem Besen würde sie im nächsten Jahr bestimmt ihren Titel verteidigen können.
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