Adventskalender

22. Dezember

Wie Minerva McGonagall das Zaubern lernte

Professor McGonagall stand am Fenster des Schulleiterbüros und schaute hinaus auf die Ländereien. Es hatte angefangen zu schneien, pünktlich zu Weihnachten. Es war der Abend des 24. Dezembers und die Sonne ging langsam hinter den Bergen unter. Sie warf einen goldenen Schimmer auf die weiß bedeckte Landschaft. Nach dem Frühstück hatte die Schulleiterin von Hogwarts die Schüler hinunter nach Hogsmeade gebracht und dort in die Weihnachtsferien verabschiedet. Jedoch waren auch einige Schüler hier geblieben, zusammen mit ihr selber, Hagrid und noch vier anderen Lehrern.
So war es am Abend nur eine kleine Gruppe von gerade einmal 16 Personen, die in der weihnachtlich geschmückten Großen Halle im Schein der riesigen Weihnachtsbäume um einen der Tische saßen und aßen. Und sie unterhielten sich, denn die ungezwungene und zweifellos feierliche Atmosphäre munterte sie alle auf und weil sie sowieso nichts anderes zu tun hatten, saß die Gruppe noch bis spät in die Nacht hinein beisammen. Sie erzählten sich Geschichten, Weihnachtsgeschichten.
Und als Minerva McGonagall an der Reihe war, schauten sie alle gespannt an, denn sie galt gemeinhin nicht als ausgesprochen unterhaltsam. Doch Minerva war fasziniert von dieser so gemütlichen, fast familiären Runde und der Vorfreude auf den morgigen Tag und so erzählte sie die schönste Geschichte, die sie kannte. Nun kannte sie aber nun einmal nicht sehr viele Geschichten. Zudem war sie nicht gerade die geborene Erzählerin. Aber eine wusste sie eben doch:
„Es ist die Geschichte von einem kleinen Mädchen. Es lebte vor ungefähr siebzig Jahren im Norden Schottlands, wo seine Eltern, ein Zaubererehepaar, einen kleinen Pub besaßen, in den sich nur ab und zu wandernde Muggel verirrten. Ansonsten war die Gegend sehr einsam und karg. Das Mädchen hatte keine Freunde dort, denn es ging auf eine weit entfernte Schule. Die Eltern liebten ihre Tochter über alles. Nur waren sie etwas enttäuscht, denn obwohl das Mädchen schon sieben Jahre alt war, hatte sie noch nicht die geringste magische Begabung gezeigt. Das stimmte sie jedes Weihnachten traurig, denn sie konnten ihrer Tochter so keinen Besen schenken, oder sonstige magische Geschenke. Was sollte sie damit anfangen, wenn sie doch nicht zaubern konnte? So gab es von Jahr zu Jahr ein Katzenstofftier für die Tochter, die Katzen über alles liebte. Einmal hatten sie ihr einen Hund geschenkt, den hatte sie aber nie wieder angeschaut.“
„Nur ein Stofftier? Ist das nicht ein bisschen wenig?“, fragte ein Erstklässler aus Hufflepuff überrascht.
„Nun ja, ihr müsst wissen, dass Stofftiere damals sehr teuer waren und außerdem hatten ihre Eltern nicht so viel Geld. Und es kommt doch auch nicht auf die Menge der Geschenke an, sondern auf den ideellen Wert. Für das Mädchen gab es nichts Schöneres als Stofftiere!“, antwortete Professor McGonagall.
„Es kam das Weihnachten nach dem siebten Geburtstag ihrer Tochter und mit ihm vermutlich der größte Schreck im Leben der Eltern. Am Weihnachtsmorgen war das Mädchen verschwunden!“
Sie konnte ihren so formellen Sprachgebrauch manchmal einfach nicht ablegen!
„Hat das Mädchen auch einen Namen? Und außerdem ist es doch gar keine schöne Geschichte, wenn das Mädchen verschwindet! Oder gibt es etwa ein Happy End?“, konnte sich eine etwas vorlaute Zweitklässlerin aus Gryffindor nicht zurückhalten zu fragen.
„Nun aber mal langsam, Miss. Gedulden Sie sich. Sie werden das Ende schon noch erfahren. Aber immerhin kann ich sagen, dass es so etwas wie ein Happy End gibt, denn das Mädchen von damals sitzt heute hier mit uns am Tisch. Und ja, sie hat einen Namen. Sie heißt Minerva.“
Die ganze Runde schaute erstaunt die Schulleiterin an. Niemand hatte je etwas privates von ihr erfahren. So war die Verwunderung groß.
„Es hatte am Weihnachtsmorgen geschneit und ich bin hinausgegangen, einen Schneemann zu bauen. Ich spielte gerade mit einem Stock, der ein Arm werden sollte, zaubern, da entdeckte ich Tierspuren im Schnee und folgte ihnen. Es war wohl eine unserer Katzen, die auf eine Entdeckungstour gegangen war. Ich wollte sehen wo sie hingegangen war. Vielleicht war es ja Lizzy, die Kätzchen erwartete, dann hätte ich ihr helfen können und sie wieder zurück ins Haus bringen können.

Ich folgte den Spuren so lange, dass ich gar nicht merkte, wie weit ich gegangen war. Plötzlich befand ich mich in den Bergen, die bestimmt drei Meilen von unserer Hütte entfernt waren. Und es fing auch noch an zu schneien. Da fand ich den Weg nicht mehr nach Hause und mir blieb nichts anderes übrig, als weiter Lizzys Spuren zu folgen. Nach einer kurzen Weile hörte ich etwas miauen und hinter einer Schneewehe in einer kleinen Höhle fand ich die Kätzchen – und Lizzy. Sie hatte es nicht überlebt. Ich bekam Angst. Mit Lizzy hätte ich es nach Hause schaffen können. Katzen haben nämlich einen außerordentlichen Orientierungssinn. Jedoch konnten mir die Kätzchen alleine nicht weiterhelfen. Und es schneite immer mehr. Irgendwo donnerte mit gewaltiger Kraft eine Lawine den Berghang hinunter, das passierte öfter bei starkem Schneefall.“
„Wieso haben Sie nicht einfach einen Drei-Punkte-Zauber benutzt?“, fragte eine Fünftklässlerin.
„Sie vergessen, dass ich erst sieben Jahre alt war. Noch dazu konnte ich gar nicht zaubern. Dachte ich zumindest bis dahin“, antwortete die Lehrerin und funkelte dabei mit den Augen. Sie hatte die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer wieder.
„Wie Sie alle wissen, entstehen die ersten Zauber meistens bei sehr starken Emotionen. So war es auch bei mir. Ich wurde inmitten dieses Schneesturms immer verzweifelter, weil mir auch kalt wurde. Vor mir lagen die zitternden kleinen Kätzchen und ganz in der Nähe donnerte eine weitere Lawine hinunter ins Tal. Ich wusste, dass wir es kaum überleben würden, wenn wir dort bleiben. Das Schicksal wollte es, dass ich vor lauter Vernarrtheit einen furchtbar komplizierten Zauberspruch immer wieder gelesen und auswendig gelernt hatte. Denn natürlich war es mein größter Traum, mich in eine Katze verwandeln zu können. Mangels Zauberstab musste ich es ohne probieren, so konzentrierte ich mich ganz fest auf diesen Zauberspruch und dachte ihn mit all meinen Kräften. Plötzlich fühlte ich ein leichtes Ziehen in den Zehen und wurde immer kleiner. Gleichzeitig schärften sich meine Sinne so, dass ich plötzlich sogar den Bratengeruch aus unserer Küche wahrnahm. Ich hatte es tatsächlich geschafft, mich in eine Katze zu verwandeln. Ich nahm die beiden Kätzchen auf den Rücken und ins Maul und machte mich auf den Weg. Es war gar nicht so einfach, denn der Schnee lag schon bis an meinen Bauch und ich war ja noch gar nicht vertraut mit dem Katzenkörper. Aber ich schaffte es; nach einer Stunde sah ich das Haus, in dem meine Eltern verzweifelt saßen. Sie hatten des Schneesturms wegen nicht nach mir suchen können. Ich war so glücklich, wieder zu Hause zu sein!
Nur hatte ich noch ein Problem: Ich wusste ja gar nicht, wie man sich zurückverwandelte.“ Sie schmunzelte.
„Ich versuchte mich an den Spruch zu erinnern, aber mir fielen nur Silben ein. So probierte ich alle Möglichkeiten aus, die mir einfielen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hat es dann geklappt.“ Sie lächelte dabei und schien ganz in ihren Gedanken versunken zu sein. Eine Schülerin fragte sie, wie es dann weiter gegangen war.
„Ach ja, entschuldigt. Ich klopfte mir den Schnee von den Kleidern und lief rufend und freudestrahlend zum Haus. Meine Eltern kamen heraus und ich fiel ihnen um den Hals. Ich konnte gar nicht so schnell erzählen, wie ich wollte, um meinen Eltern alles zu berichten. Ich machte ihnen den Zauber noch einmal vor, schaute aber vorher den Spruch zur Rückverwandlung noch einmal nach. Es war unser schönstes Weihnachten. Meine Eltern wussten endlich mit Sicherheit, dass ich zaubern konnte und ich wusste es auch. Da kam auch mein so ganz ungewöhnliches Geschenk richtig: Ich bekam einen Zauberstab!“
„Und was ist aus den Kätzchen geworden?“, wollte ein Drittklässler wissen.
„Oh, die hat eine Frau im Dorf meiner Schule bekommen. Sie hat ein Faible für Katzen. Vielleicht kennt ihr ja Arabella Figg?“

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