Adventskalender

19. Dezember

Plätzchen für den fetten Mönch

In der Küche von Hogwarts herrschte Chaos. Peeves thronte auf dem Kronleuchter, eine Schüssel voller Teig im Arm, mit dem er die Hauselfen bombardierte. Unter dem Kronleuchter stand ein Turm aus einem Tisch, darauf ein Stuhl, es folgte ein Hocker, auf dem wiederum ein Stapel aus zehn Apfelsinenkisten balancierte. Auf diesen Kisten versuchte eine Hauselfe in grüner Schürze hüpfenderweise dem Poltergeist mit einer Gabel in den Hinter zu piksen und der Turm wackelte dabei bedrohlich. Ein anderer Hauself hatte eine Pfanne zum Schutzschild umfunktioniert und wehrte so die Teiggeschosse ab. Zwei weitere Hauselfen standen im Geschirrschrank und warfen mit Tassen, Tellern und allem Porzellan, das sie zu fassen bekam nach Peeves, doch der wich geschickt aus. Alle anderen hatten sich unter Tischen, hinter Schränken und Gardinen in Sicherheit gebracht oder liefen panisch quiekend in der Küche umher. In dieses Tohuwabohu kam der fette Mönch geschwebt.
Eigentlich war er nur dem leckeren Duft von frisch gebackenen Plätzchen gefolgt. Oh, wie er Plätzchen liebte. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen und sein nicht mehr vorhandener Magen knurrte laut. Leider konnte er nicht mehr an der weihnachtlichen Schlemmerei teilhaben, er war ja nur ein Geist. Daher musste er sich mit den Erinnerungen aus seiner Schulzeit in Hogwarts begnügen. Schon damals hatte er sich heimlich in die Küche geschlichen und den Hauselfen beim Backen zugesehen. Wie gut, dass die Räume Hufflepuffs in der Nähe der Küche lagen, so wusste er immer sofort wann eine neue Ladung Plätzchen fertig war. Natürlich war er mehr als einmal von den fleißigen Wesen beim Naschen erwischt worden. Es waren schöne Zeiten gewesen.

Was der fette Mönch nun allerdings zu sehen bekam, gefiel ihm überhaupt nicht.

Ein gackernder Peeves auf dem Kronleuchter, panisch kreischende und verängstigte Elfen, überall verteilte sich ein klebriges Teig-Scherben-Gemisch und vor allem die schönen Plätzchen waren im Ofen verbrannt. Um Himmels Willen!
„Oh ihr unweihnachtlichen Wesen“, begann er in seinem klerikalen Singsang, „seht, was ihr angerichtet habt. Die leckeren Plätzchen sind verbrannt.“ Niemand nahm ihn wahr. „Kinderlein“, begann er wieder, „es ist Weihnachten, das Fest der Liebe, hört auf und vertragt euch.“ Keine Reaktion. „Peeves, du unselige Kreatur, hör auf die kleinen Hauselfen zu bewerfen. Und ihr da im Geschirrschrank. Seht doch nur, das schöne Porzellan.“ Sie ignorierten ihn. „Nun hört doch bitte auf“, flehte er förmlich, aber keiner wollte auf ihn hören. Da holte er, so weit einem Geist dies möglich war, tief Luft und brüllte zum ersten Mal während seines Geisterdasein: „AUFHÖREN!“

Stille!

Alle waren in ihren Bewegungen erstarrt. „So ist es gut meine Schäfchen.“ Der fette Mönch war wieder in seinen Singsang verfallen. „Nun vertragen wir uns alle und räumen gemeinsam auf.“ Keiner rührte sich. So schwebte er zur hinteren Küchenwand, um den sich dort türmenden Scherbenberg zu begutachten. WUSCH! Was war das? Er wandte sich um, doch nichts bewegte sich. Aber hatte die Elfe dort oben auf dem Turm schon immer einen Adventskranz auf dem Kopf getragen? FLATSCH. „Hicks!“ Gerade hatte er sich wieder umgedreht, als ein riesiger Teigkloß durch ihn hindurch flog und die Elfe Winky mitten im Gesicht traf. Sie hatte neben dem Scherbenberg auf einem kleinen Stuhl gesessen und vor lauter Panik ein Butterbier nach dem anderen in sich hinein gekippt. Nun fiel sie in Zeitlupentempo zur Seite, wo sie unter lautem Getöse im Porzellanhaufen landete. Der Mönch rang um Fassung. „Peeves, du gottloser Poltergeist, wenn du dich nicht auf der Stelle benimmst, hol ich den blutigen Baron.“ „Keine Mätzchen, nur mit Plätzchen!“, gackerte Peeves. Der fette Mönch seufzte und unternahm den dritten Versuch Richtung Scherben. Hinter ihm fing es wieder an zu rumoren. Er vernahm ein leises Platsch, Platsch, Platsch, danach ein „Aua!“ gequiekt von Peeves, dann ein Klongpingping, gefolgt von einem Quietschen, dass in ein hässliches Knirschen überging und in einem noch hässlicheren Krachen endete. Mit der Fassung war es jetzt vor bei. „HEILIGES DONNERWETTER! WAS…“ Der Anblick, der sich ihm bot, war göttlich. Der Poltergeist hing kopfüber am Kronleuchter und hielt sich den Po, der Turmbau zu Hogwarts mit Elfengarnitur war zusammengebrochen, die grünbeschürzte Hauselfe mit Adventskranzkrone stand nun mitten in den Trümmern der Apfelsinenkisten-Hocker-Stuhl-Tisch-Konstruktion, das eine Ärmchen mit der Gabel gen Himmel gereckt, das andere Ärmchen um die wiedereroberte Teigschüssel geklammert und glotzte verdutzt in die Weltgeschichte. Woran erinnerte diese Figur ihn bloß? Jedenfalls musste er laut lachen, er konnte nicht anders. Gott möge ihm verzeihen, schadenfroh war er auch ein wenig, wann kam es schon vor, dass Peeves in den Hintern gepikst wurde? Doch sein Lachen schien wie eine Befreiung zu wirken. Aus allen Ecken drang elfisches Gekicher und der Poltergeist gackerte immer noch kopfüberhängend vor sich hin.

Nachdem sich alle beruhigt hatten, besann man sich aufs Aufräumen. Die Hauselfen reparierten das Geschirr, kratzten den Teig vom Boden, wischten und wienerten, rührten neuen Teig an und schon bald duftete es wieder herrlich nach Plätzchen in der Küche. Der fette Mönch beaufsichtigte das Treiben, vor allen Dingen beaufsichtigte er Peeves. Dieser half auf seine Weise, in dem er sich damit begnügte auf einem Wischmopp um den Kronleuchter zu sausen und immer wieder „Plätzchen“ und „Mätzchen“ rief. Als alles fast fertig hergerichtet war, tapste die Hauselfe mit der grünen Schürze auf den fetten Mönch zu und reckte ihm einen Beutel gefüllt mit einer leckeren Keksmischung entgegen. „Frohe Weihnachten, Mister-Fetter Mönch-Sir“, piepste der Grünling. „Oh, du wunderbares Geschöpf des Herren, ich weiß deine Geste wohl zu schätzen, doch leider bin ich ein Geist und kann diese herrlichen Plätzchen nicht selber essen.“ Die Mundwinkel der Elfe sanken nach unten. „Doch Gott, der Herr, wir es dir wohl danken, wenn du eine gute Tat vollbringst.“ Die Mundwinkel bogen sich wieder nach oben. „Du könntest die gute Tat vollbringen indem du die Plätzchen Peeves schenkst.“ Mundwinkel abwärts. Die kleine Elfe wollte am liebsten im Erdboden versinken oder zumindest den Kopf auf den Tisch hauen, doch Peeves ließ ihr keine Zeit dazu und war schon zu Stelle. Zögerlich streckte die Elfe dem Poltergeist den Plätzchenbeutel entgegen, auf möglichst viel Abstand bedacht. „Frohe Weihnachten, Mister-Peeves-Sir,“ flüsterte sie ängstlich. Peeves grapschte sich den Beutel, quäkte „Frohe Ostern“ und verschwand samt Wischmopp aus der Küche. Sein letztes „Mätzchen-Plätzchen“ dröhnte vom Flur her noch einige Zeit nach. „Siehst du mein Schäfchen, das war doch gar nicht so schlimm und Gott wird es dir lohnen.“ Damit entschwand der fette Mönch ebenfalls aus der Küche. Auch wenn ihn die Geste der Hauselfe sehr berührt und für den ganzen Ärger entschädigt hatte, brauchte er doch bis zum Festmahl dringend eine Erholungspause. Auch ein Geist ist irgendwann erschöpft. Zurück blieb eine Elfe in grüner Schürze, die sich fragte, wer wohl dieser Mister-Gott-der-Herr-Sir war, von dem der Mönch gesprochen hatte. Und wie würde der ihn wohl belohnen? Hoffentlich nicht mit Socken.

Am Abend verweilte der fette Mönch während des Essens wie gewohnt am Hufflepufftisch und sah den Schülern, die nicht nach Hause gefahren waren, zu, wie sie die weihnachtlichen Köstlichkeiten verputzten. Besonderen Anklang fanden die Plätzchen, die zum Nachtisch gereicht wurden. Selbst die Lehrer waren begeistert, nur Professor McGonagall hatte sich an einem Teetassenhenkel verschluckt, der in einem Plätzchen eingebacken war und schaute etwas säuerlich. Sogar Peeves schwebte friedlich auf seinem gestibitztem Wischmopp über dem Lehrertisch und knabberte an seinem persönlichen Plätzchenvorrat. Natürlich nicht ohne die Krümel dabei fein säuberlich auf den Lehrerköpfen zu verteilen – aus Versehen selbstverständlich. Dem fetten Mönch war warm ums tote Herz geworden, überall blickte er in zufriedene Gesichter und glänzende Augen. Es geschahen noch Zeichen und Wunder. Einmal mehr hatte sich gezeigt „geben ist seliger denn nehmen“. Weihnachten konnte so schön sein.

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