14. Dezember
Weihnachtsgeist
Ungeduldig schaute ich auf die Uhr.
"Lavender, bitte beruhige dich doch ein wenig! Ihr Zug kommt erst in einer Stunde am Bahnhof an. Du hast noch genug Zeit, um dich fertig zu machen.", seufzte meine Mutter, während sie meinen Frühstücksteller mit einem Schlenker ihres Zauberstabs in die Spüle beförderte.
Mit "ihr" meinte sie natürlich meine beste Freundin, Parvati. Endlich hatten ihre Eltern ihr erlaubt, die Weihnachtstage bei mir zu verbringen. Oh wie ich mich freute!
Wobei ich mich zwischenzeitlich immer wieder fragte, ob Parvati unsere Art, Weihnachten zu feiern, überhaupt gewohnt war. Ob man in Indien wohl anders feiert?
Dieser Gedankengang jedoch kam nie zu einem Ende, denn plötzlich bemerkte ich, dass es draußen schneite. Ich sprang auf, kippte dabei schier meinen Stuhl um und hüpfte aus der Küche. Hinter mir hörte ich meine Mutter erneut aufseufzen.
Ich zog mir einen dicken Pullover über den Pyjama und schlüpfte in meine Winterschuhe. Aber als ich die Tür öffnete, um den Schnee zu genießen, flog eine Eule zielstrebig an mir vorbei ins Haus. Das arme Tier war halb erfroren und der Pergamentzettel am Bein der Eule sah wirklich etwas vereist aus. Ich schloss die Türe wieder und kramte in der Schublade neben der Garderobe nach den Eulenkeksen.
"Lavender, der Brief ist für dich!", rief meine Mutter aus der Küche. Woher wollte sie denn das nun wieder wissen? Etwas verwundert drehte ich mich um, da sah ich, dass die Eule in die warme Küche weitergezogen war. Meine Mutter hatte bereits den Brief vom Bein des Tieres gebunden und trocknete ihn gerade mit heißer Luft aus ihrem Zauberstab.
Ich schaute auf das Pergament und plötzlich war meine gute Laune wie weggeblasen. Der Brief war von Parvati und darin stand, dass sie krank war! Das durfte nicht sein! Wozu gab es denn so etwas wie Erkältungssaft? Zwei Löffel davon und die Grippe war wieder kuriert. Aber aus irgendwelchen mir völlig unerfindlichen Gründen schien Parvati keinen Saft bekommen zu können.
"Oh", sagte meine Mutter nur, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. Dann las sie den Brief etwas genauer durch. "Schätzchen, sei nicht so traurig. Sie schreibt ja, dass sie einfach ein paar Tage später kommen wird, weil sie das Bett hüten muss. Ich bin sicher, ihr könnt mindestens Neujahr zusammen feiern."
Ich wischte mir mit dem Ärmel des Pullovers über die Augen.
"Aber Mama, ich wollte mit ihr Weihnachten feiern, weil sie zu Hause nicht Weihnachten feiern. Nicht so wie wir. Und weil sie meine beste Freundin ist. Und, und, und..."
Ich schniefte. Ich hatte ihr doch bereits ein Geschenk besorgt, genau genommen lag es schon seit Monaten versteckt in meinem Schrank und wartete nur darauf, übergeben zu werden.
Meine Mutter strich mir über die Haare und sagte: "Mach dir keine Sorgen, nächstes Jahr gibt es auch noch ein Weihnachten. Ich bin sicher, dann sie darf kommen."
Ich nickte bloß und ging dann in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett warf und traurig die Decke anstarrte. Doofe Weihnachten, doofe Erkältungen, alles doof.
Heute war der lang ersehnte Weihnachtsfeiertag gekommen. Aber wessen beste Freundin musste nun wieder mit Grippe im Bett liegen? Natürlich meine. Ich bedachte das kleine Päckchen auf meinem Schreibtisch mit einem schiefen Blick. Wann sollte ich es ihr geben? Und wie? Sollte ich es Parvati einfach schicken oder sollte ich bis Neujahr warten, mit der Hoffnung, dass sie dann hoffentlich wieder gesund war?
Meine wichtigen Überlegungen wurden jedoch unterbrochen, da meine Mutter nach mir rief. Ich lief ins Wohnzimmer und blieb verdutzt auf halbem Weg zum Sofa stehen, als ich das wohlbekannte Gesicht in den Flammen des Kamins entdeckte. Klar, der Kopf war etwas eiförmig, aber es war definitiv Parvati.
"Meine Güte, was machst du denn da?", rief ich erstaunt, "Ich dachte, du seist krank."
"Bin ich auch," antwortete Parvati und hustete ziemlich schlimm, "und meine Eltern sind über die Festtage weggefahren. Du weißt ja, wir feiern keine Weihnachten. Aber deshalb habe ich auch bis jetzt keine Medizin bekommen und muss meine Erkältung auf Muggel-Art auskurieren."
"Oje, du Arme. Du siehst wirklich nicht allzu gut aus", sagte ich.
"Ich wollte auch nur kurz vorbeischauen, um dir Frohe Weihnachten zu wünschen. Padma steckt mich gleich wieder ins Bett", kicherte Parvati etwas heiser.
"Oooh, das ist ja so lieb von dir! Danke vielmal! Wird schnell wieder gesund, damit du herkommen kannst!"
"Ich werde mir Mühe geben. Also, tut mir Leid, dass das Gespräch nur so kurz war, aber ich muss jetzt wieder ins Bett. Bis bald, hoffentlich", sagte sie und der Kopf verschwand aus den Flammen.
"Ja, bis bald. Ich freue mich" murmelte ich hinterher. Oh ja, und wie ich mich freute. Parvati hatte sich trotz Erkältung per Flohnetzwerk bei mir gemeldet. Das war mit Abstand mein persönlich schönster Weihnachtstag seit Jahren.
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