22. Dezember

Überraschungsplätzchen - Teil 6

(von Sirian)

Pascal hält sich förmlich an seiner Kakaotasse fest, als er gemeinsam mit Marie aus dem Fenster des Aufenthaltsraumes starrt. "Merde!" denkt er, während vor seinem inneren Auge die Zockerrunde mit seinen Freunden vorbeizieht. "Nun sitz ich hier und starre Löcher in die Luft, während Oliver bestimmt wieder meinen Highscore knackt."
Marie schien in seinen Kopf sehen zu können und unterbricht Pascals Gedanken... "Mon fils, du willst mir doch nicht weiß machen, dass Du nichts besseres vorhast, als mit mir alten Dame Vanillekipferl zu backen?"
Verlegen schaut Pascal zu Boden: "Non, es macht mir Spaß, Ihnen eine Freude zu breiten und Sie haben einen so glücklichen Glanz in ihren Augen, um nichts in der Welt will ich den verpassen." Innerlich sucht Pascal nach einem Mäuseloch, in das er sich verkriechen könnte, hat er doch glatt Marie angelogen. "Merde," denkt er wieder bei sich "Das wäre die Gelegenheit gewesen, doch noch zum Zocken zu kommen."
"Ach, mon petit garcon, ich bin noch nie so charmant angelogen worden" sagte Marie augenzwinkernd. Pascal fühlte sich zwar ertappt und lächelte schief zurück. "Mon Ch�re, ich kenne das doch noch von Bastian," merkt Marie lächelnd an "Der war doch auch immerzu mit seinen Freunden unterwegs, ging Fußball spielen oder Schlittschuhlaufen und besondern wichtig war ihm das, wenn ich Plätzchen backen wollte. Nur seine Vanillekipferl, die ließ er sich nicht nehmen. Am liebsten hätte ich nur Vanillekipferl gebacken, damit wir besonders viel Zeit miteinander verbringen können."
"Wie Maman" denkt Pascal bei sich, "die will auch immer viel mit mir zusammen machen, aber mon Dieu, ich bin doch kein kleines Kind mehr, dass ständig beaufsichtigt werden muss..."
"Weißt du, mon ch�re," sagte Marie "Mütter sind schon eigenartig, sie können ihre Kinder einfach nicht groß werden lassen, sehen immer ihr kleines Kind in ihnen, wollen so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen und so auch ein klein wenig die Zeit anhalten. Viel zu schnell werden die Kinder groß und erwachsen, verlassen das Elternhaus und schlimmstenfalls, wie bei Bastian und mir, sind viele tausend Kilometer dazwischen und wir können uns nicht mehr sehen. Weißt du, mon petit, wenn Kinder klein sind, brauchen sie Streicheleinheiten, wenn die Kinder groß sind, brauchen die Mütter sie", fügte Marie schmunzelnd hinzu.
Pascal versucht sich vorzustellen wie das wohl ist, wenn die Familie nicht mehr zusammen ist, versucht sich auch vorzustellen, wie das wohl für Marie sein muss, Tag für Tag hier allein in diesem Altersheim zu sitzen und insgeheim darauf zu warten, dass ihr Sohn vorbei kommt. Und Marie ist bestimmt nicht der einzige Mensch, der allein in einem Altersheim lebt � diese Vorstellung macht ihn sonderbar traurig.
"Komm" unterbricht Marie seine aufkeimende Traurigkeit, "der Teig ist bestimmt so weit, dass wir die Kipferl formen können."
Noch völlig in Gedanken folgt Pascal Marie in die Küche und als er wieder den besonderen Glanz in ihren Augen sieht, ist seine Traurigkeit fast verflogen. "Ich muss ja vielleicht nicht jeden Tag mit meinen Freunden zocken oder nicht jeden Tag vor dem PC sitzen" denkt Pascal so bei sich. "Vielleicht..." Ihm kam ein ganz verwegener Gedanke.

Es bereitet Pascal plötzlich eine eigenartige Freude, wie er so gemeinsam mit Marie die Kipferl formt und Blech für Blech in den Ofen schiebt. Immer wieder schaut er zu Marie rüber und freut sich über den Glanz in ihren Augen und über das Lächeln, das ihren faltigen Mund umgibt. Er genießt es sogar. Das Gefühl, jemandem eine Freude zu machen ist tausendmal besser als jeden Highscore der Welt zu knacken.

Plötzlich steht Therese in der Küche. "Mon Dieu, wo sollen wir bloß mit all den Vanillekipferln hin?" fragte sie lächelnd. "Da werd ich mal Kakao und Tee kochen und die anderen Bewohner in den Aufenthaltsraum holen lassen. Das gibt ein schönes vorweihnachtliches Beisammensitzen!" Sie geht schnell hinaus und ruft mit lauter Stimme nach ihren Kollegen.
"Wie? Was?" denkt Pascal bei sich, nahezu empört, weil Marie und er doch die ganze Arbeit hatten. Doch als er sich umdreht und die Menge an Kipferl sieht, muss er zugeben, dass Marie diesen Berg Kipferln niemals würde allein vertilgen können, selbst wenn sie noch einmal 90 Jahre Zeit hätte. Er hatte gar nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war und wie viel sie zwischenzeitlich gebacken hatten.
"Ja, gerne" sagte er innerlich beschwichtigt "ich helfe dir, Therese."
Da sackt Marie plötzlich erschöpft in sich zusammen; auch ihr war es gar nicht aufgefallen, wie lange sie schon mit Pascal in der Küche stand. Erst jetzt merkt sie, wie erschöpft sie ist � erschöpft, aber glücklich.
"Ach, warum kann so etwas nicht öfters gemacht werden?" seufzt sie, während sie sich matt am Stuhl festhält. "Bring Marie in den Aufenthaltsraum und ruht euch dort ein bisschen aus, ich komme dann mit dem Kakao, dem Tee und den Kipferln nach. Die anderen Bewohner werden sicherlich auch schon warten", fordert Therese Pascal auf.

"Hey, da bist du ja" ruft es plötzlich, als sie die Eingangshalle durchqueren � Pascal dreht sich um und sieht seine Freunde mit einem breiten Grinsen mitten im Eingangsbereich stehen. Und wieder überkommt Pascal die Sehnsucht nach dem größten Mauseloch von Welt. "Ähm... Oliver, Julien, wo kommt ihr denn her?"
"Marie, das sind meine Freunde Oliver und Julien, Oliver, Julien das ist Marie LaTour" stellt Pascal höflich vor.
"Deine Mutter hat uns erzählt wo Du bist, als wir Deine Playstation abholen wollten. Hallo Marie", tönt Julien breit grinsend, Oliver nickt höflich zur Begrüßung. Pascal weiß nicht, ob er sich schämen oder einfach breit zurück grinsen soll � er kommt sich auf jeden Falls ziemlich blöd vor, hier mit hochrotem Kopf zu stehen und nicht zu wissen, wie seine Freunde reagieren würden. Immerhin hatte er sie ja angelogen und sie für einen Plätzchen�Back�Nachmittag mit einer Unbekannten versetzt.
"Mes amis, dann seid ihr sicherlich gekommen, um Pascal abzuholen?" unterbricht Marie die peinliche Situation. Nun stehen drei Jugendliche mit knallroten Köpfen in der Eingangshalle, verlegen schauen Julien und Oliver zum Boden. "Ähm, nein, ähm ... eigentlich nicht", sagt Oliver, als hinter ihm die Eingangstür aufgeht. In der Tür stehen Madame Rigot, ihre Klassenlehrerin, und die gesamte Klasse und alle haben irgendwas in der Hand, ein Tablett, einen Korb, einen Teller...
Madame Rigot lächelt und irgendwas sagt Pascal, dass da ein Fünkchen Stolz in ihrem Lächeln lag. "Mensch, Pascal", sagt Julien "erst haben Oliver und ich ja schallend gelacht bei der Vorstellung, dass Du ... hier... im Altenheim, aber irgendwie fanden wir die Idee dann klasse..." "Und da haben mich die beiden angerufen," fährt Madame Rigot fort, "und wir haben alle Klassenkameraden mobilisiert. Es gibt ja nicht nur Marie, die einsam in einem Altersheim wohnt, sondern viele andere alte Menschen auch."
"Und wenn wir mal einen Tag in der Woche nicht vor dem PC sitzen, wird der nicht gleich sauer sein" grinst Julien. Alle Klassenkameraden nickten im Hintergrund. "Einen Tag in der Woche kommen wir alle hierher und besuchen Marie und die anderen" sagt Lucien, der Klassensprecher.
"Na, wenn das nicht ein ganz besonderes Zusammenkommen ist", hört Pascal von hinten rufen. Therese steht mit dem Servierwagen in der Küchetür. "D�accord. Alle in den Aufenthaltsraum! Der Kakao und der Tee werden kalt, außerdem warten hier eine Menge Vanillekipferl auf viele hungrige Münder." sagt sie lächelnd.
Pascal guckt Marie an, wieder haben ihre Augen den seltsamen Glanz und noch etwas anderes entdeckt er in ihren Augenwinkeln. Verlegen lächelnd reicht er ihr ein Taschentuch, damit sie sich die Tränen abwischen kann. "Pascal, du hast mir eine solche Freude gemacht, so wohl hab ich mich schon lange nicht mehr gefühlt und auch so glücklich war ich schon lange nicht mehr", sagte Marie. Marie hakt sich bei Pascal ein, Julien und Oliver tun es ihr gleich � zu viert gehen sie Richtung Aufenthaltsraum. "Ich auch nicht", sagte Pascal breit lächelnd, "ich auch nicht!"



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