Ein sehr langsamer Portschlüssel - ...
„Und du bist sicher, dass ich meinen Besen nicht mitnehmen muss?“, fragte David. „Wenn das Ding abstürzt, dann kann ich damit immer noch aus dem Fenster fliegen.“ Joana lachte: „Keine Sorge. Flugzeuge sind die sichersten Verkehrsmittel der Muggel. Außerdem wirst du mit so einem Besen ganz schön Aufmerksamkeit auf dich ziehen und das willst du ja auch nicht.“ Mit diesen Worten schloss sie ihren Koffer und ging zu David, um sich den Inhalt seines Koffers genauer anzusehen. Mit ein paar Handgriffen zog sie einige sehr unpassende Zauberergarderoben heraus. „Hey, das ist meine Lieblingsrobe, mit dem Logo von den Chudley Cannons“, protestierte David. „Willst du sie etwa am Strand tragen?“, fragte Joana. „Wir fahren nicht zur Quidditchmeisterschaft. Außerdem müssen wir uns beeilen.“ „Aber …“ David musste zusehen, wie nahezu alles aus seinem Koffer wieder in den Schrank wanderte. Einzig die kurzen Hosen und T-Shirts blieben im Koffer. Kaum eine Stunde später verließen David und Joana gemeinsam ihr Haus und gingen mit ihren Koffern den Weg hinunter zu der nächstgrößeren Muggelstraße, wo bereits ein Taxi auf sie wartete. „Sie kommen vom Wandern?“, fragte der Taxifahrer, als er das Gepäck in den Kofferraum lud. „Nein, wir fliegen jetzt in ein Abenteuer“, sagte David und ging zweimal, das Gefährt argwöhnisch betrachtend, um das Auto. Joana öffnete die Tür und schob David auf den Rücksitz. Sie gebot ihn leise zu sein und setzte sich neben ihn. „Zum Flughafen, bitte“, sagte sie zum Taxifahrer. Ungeschickt fingerte David an dem Anschnallgurt herum und wickelte sich hilflos darin ein. Joana hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Gut, dass der Taxifahrer David so nicht sehen konnte und sich vielmehr auf den dichter werdenden Verkehr konzentrierte. Joana löste ihn aus der unfreiwilligen Fesselung und richtete den Gurt. Seufzend lehnte sie sich zurück. Sie hatte nicht bedacht, dass David gar keine Ahnung von der Muggelwelt hatte. Er war unter Zauberern aufgewachsen und sie war aus einer Muggelfamilie nach Hogwarts gekommen. Für sie war es alltäglich, zwischen beiden Welten zu wechseln. Ihre Vorstellung, zwei Wochen gemütlich am Strand in Spanien liegen zu können, schwand dahin. Es würde wohl vielmehr ein Nachhilfeurlaub für David in Sachen Muggelkunde werden, dachte sie. David starrte die gesamte Taxifahrt aus dem Fenster. Immer wieder stellte er Joana Fragen wie: „Was blinkt denn da an dem Auto? Warum halten wir jetzt? Sind wir schon da?“ Er musste tausend weitere Fragen im Kopf haben, doch Joana flüsterte immer nur rasch eine Erklärung und gebot ihm erneut leise zu sein, woran er sich immer nur kurz hielt. Am Flughafen angekommen, lud der Taxifahrer das Gepäck aus und Joana beglich die Kosten. „Ihr Freund kommt nicht von hier, oder?“, fragte dieser zu Joanas Missfallen. „Nein, er ist in Afrika aufgewachsen, weitab von jeder Zivilisation.“ „Das wird schon“, lächelte der Taxifahrer aufmunternd und setzte seine Fahrt fort. Joana zog David in eine ruhige Ecke auf dem Vorplatz: „Bevor wir da gleich reingehen, muss ich mit dir reden.“ Flüchtig erklärte sie David, was gleich alles passieren würde und bat ihn wirklich eindringlich, möglichst alle Fragen auf später zu verschieben, wenn sie wieder unter sich waren. Joana beendete ihre Rede mit den Worten: „Ich will nicht, dass die uns womöglich noch für verrückt halten. Dann kommen wir womöglich nie nach Spanien.“ Die beiden betraten jeweils mit einem Koffer in einer Hand das Flughafengelände. David war mit der großen Halle überfordert. Joana nahm ihn bei der Hand und führte ihn zur Übersichtstabelle: „Auf der Liste siehst du alle Flüge in den nächsten Stunden, und da, um 18:43 steht auch schon unser Flug drauf. Leider steht da auch, dass er Verspätung haben wird.“ Joana seufzte und zog David von der Tafel. „Hast du gesehen? Die Buchstaben auf der Tafel bewegen sich!“ „Ja, auch die Muggel haben ihre Wege gefunden, ganz ohne Magie leben zu können und haben dabei kaum Einschränkungen.“ Da sie noch viel Zeit hatten, verstauten sie ihre Koffer in einem Schließfach. So hatten sie die Hände frei. Joana zeigte David die Einkaufsläden. Die Bücher und Zeitschriften fand David langweilig, da sich keinerlei Bilder und Fotos auf den Papieren bewegten. Spannender waren da schon die Monitore, über die Werbung und Nachrichten flimmerten. Interessant waren auch die zahlreichen Sprachen, die durch den Flughafen hallten. David fühlte sich nur deshalb nicht komplett verloren, weil Englisch vorherrschend war. Immerhin schien er auf dem Flughafen zu verstehen, warum sie Reisepässe unbedingt brauchten und warum sich für die Muggel die Fotos nicht bewegen durften. Es wurde noch einmal spannend, als sie vor dem Flug bei McDonald‘s eine Kleinigkeit aßen. Entsetzt betrachtete David seinen Hamburger. Zu Joanas leiser Belustigung quetschte der junge Mann das Essen von 5 cm auf unter einen halben Zentimeter. „So platt bekomme ich diesen komischen Hamburger und wenn ich loslasse, ist er wieder dicker.“ Diesen Worten folgte gleich der optische Beweis. Nach einigem Zögern biss er in den Hamburger. Joana sah, dass David mit spitzen Zähnen kaute. „Mutter und du kochen besser“, stellte er fest. „Müssen wir uns im Urlaub immer so ernähren oder können wir auch leckeres Essen bekommen?“ Joana konnte David beruhigen. Aber sie merkte, wie anstrengend es für sie war, David wohlbehütet durch lauter Muggel zu lotsen. Nervenschonender war es, wenn sie und David keinen direkten Kontakt zu Muggeln hatten und sie David erklären konnte, was gerade um sie herum passierte. So setzte sie sich mit ihrem Freund schließlich in einen Wartebereich vor einem großen Fenster, das einen Blick auf die landenden und startenden Flugzeuge ermöglichte. „David, wir haben beschlossen, von England nach Spanien zu fliegen und zwar auf Muggelart. Muggel können nicht apparieren. Ich auch nicht. Mir wird dabei schlecht. Deshalb steigen wir gleich in so eine Maschine. Diese Maschine fährt zuerst ein Stück über eine Landebahn und hebt dann vom Boden ab. Wir fliegen also in der Luft.“ „Aber wieso fliegen wir nicht mit dem Besen, wie es unsereins dann tun würde?“, hakte David nach. „Naja, wir können uns bequem hinsetzen. Wir bekommen Getränke und etwas zu essen. Wenn wir wollen, können wir einen Film sehen oder schlafen. Und wir sind nicht dem Wetter ausgesetzt, wie wir es wären, wenn wir auf einem Besen sitzen würden.“ Joana hatte eine Kinderzeitschrift in der Hand, in der ein Flugzeug näher beschrieben wurde. Sie zeigte es David, der die Zeichnungen genau studierte. Ihre ruhige Art ließ schließlich auch David ruhiger werden. Endlich durften sie ihre Koffer abgeben. David staunte schweigend, wie Fließbänder die Koffer wegbrachten. Dann checkten die beiden ein. Sie gingen mit dem Handgepäck nacheinander durch die Sicherheitsschleusen und durften endlich das Flugzeug betreten. Zum Glück schaute er nur schweigend zu, als es bei dem Pärchen hinter ihnen piepte. Es stellte sich heraus, dass eine Gürtelschnalle für den Alarm gesorgt hatte. Ebenso interessiert sah er zu, als der Frau die Nagelschere aus ihrer Handtasche abgenommen wurde. David schwieg auch, als der Kapitän die Passagiere begrüßte. Zum Glück hatte er nur eine Frage bei den Sicherheitshinweisen. Der Pilot startete den Motor; das ganze Flugzeug vibrierte. Während die Maschine immer höher stieg, machte sich ein seltsames Gefühl in Davids Magen breit. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass ein Flugzeug sich anfühlt wie Flohpulver? Dieses Kribbeln im Bauch spürst du doch auch?“ Fast beleidigt, weil Joana keine Worte darüber verloren hatte, blickte er sie an. „Wohl eher wie ein extrem langsamer Portschlüssel“, grinste die junge Frau. Darüber musste David nachdenken. Amüsiert stellte Joana fest, dass ihr Freund darüber einschlief. Nun konnte sie ihren Roman aus ihrer Handtasche holen und etwas entspannen. Ihr gemeinsamer Urlaub konnte beginnen.