Crypta, Gryffindor -

19 Jahre später – Generationen zwischen den Welten Das Fundament zwischen den Welten erzitterte und Flügelrauschen durchbrach die Nacht. Eine dunstige Schleiereule schwebte ungesehen über den Innenhof des Verwandlungskorridors. „Aua!“, rief Rose: „Du stehst auf meinem Fuß!“ - „Entschuldigung!“, antwortete Albus, nicht weniger leise. „Ruhe ihr beiden“, beschwerte sich James, ohne das Tempo zu vermindern: „oder wollt ihr, dass wir erwischt werden?“ Keiner von ihnen wollte das. Alle drei wussten, dass Professor Longbottom keine Ausnahme bei ihnen machen würde, wenn er sie um diese Uhrzeit in den Gängen herumschleichen sah, auch wenn er regelmäßig mit Flohpulver bei ihren Familien zu Besuch kam. „Ich will wieder in den Gemeinschaftsraum“, murmelte Rose. „Jetzt stell dich nicht so an, ich will Filchs Gesicht sehen, wenn er das... „kleine Geschenk“ aus dem Laden deines Vaters sieht. Und ihr wolltet ja keine Ruhe geben, mich zu begleiten. Also sei still und - “, abrupt hielt er an. Unter dem engen Tarnumhang liefen die beiden anderen prompt in ihn hinein. „Hört ihr das?“, fragte James. „Wir sollten hier verschwinden“, entgegnete Albus: „Egal was es ist.“ - „Jetzt warte doch ab“ Albus zog sich den Umhang vom Kopf und schlich flink zum nächsten Bogenpfeiler, um von diesem Ort aus auf den grasbewachsenen Innenhof zu spähen. „Er mag mutig sein – aber klug stellt er sich nicht gerade an“, seufzte Rose, als die beiden anderen ihm folgten. Doch im Nu lag der Tarnumhang auf dem Boden, völlig vergessen und ungeachtet der möglichen Folgen. Auf dem Platz bot sich ein Schauspiel, dass sie alle Vorsicht vergessen ließ: Die Mondsichel, die schon fast zur Hälfte angewachsen war, offenbarte Gestalten, die sich aus dem Dunstkreis silbernen Lichts lösten. Es hätten Geister sein können, wenn sie klarere Umrisse gehabt hätten. Doch die Luft waberte, sodass die Kinder Mühe hatten, überhaupt etwas zu erkennen. Plötzlich jedoch sah Albus etwas, dass er unverkennbar erkannte, da er es jeden Tag im Spiegel und im Blick seines Vaters sehen konnte: die Augen seiner Großmutter. Wie durch seinen Blick fixiert, waberte das Augenpaar nicht weiter, sondern heftete sich auf ihn. „Lily“, brachte er tonlos hervor. Dass James und Rose ihn anstarrten, als wäre er nun völlig verrückt, bekam er gar nicht mit, da Lily - nun mehr manifestiert – lächelnd auf ihn zukam, wie eine farblose Wirklichkeit der Fotos, die er so oft betrachtet hatte. Es war wirklich kein Zweifel möglich. Er stürzte auf den Platz ins Mondlicht und verspürte dabei zunächst einen Druck, der von ihm abfiel, nachdem er eine unsichtbare Barriere überschritten hatte. Er fühlte sich leicht und befreit. Die Abschlussprüfungen seines ersten Schuljahres, die ihn bis eben noch gedanklich verfolgt hatten, verblassten, und wie zum Ausgleich wurde Lily immer mehr zur Wirklichkeit. Ihm war klar, dass auch sie sich in seinen Augen wiedergefunden hatte. „Es ist schön, dir zu begegnen, Großmutter Lily“, sagte Albus sehr schüchtern. Sie lächelte wieder: „Ich freue mich auch, dir zu begegnen, Albus.“ - „Aber, wie kann das sein? Ich verstehe es nicht!“, brach es aus ihm hervor, da er sich plötzlich nur allzu bewusst war, wie absurd diese Zusammenkunft an sich war. Von dem Ausruf aus ihrer Starre aufgeschreckt, waren James und Rose wieder fähig, sich zu bewegen, und traten hinter ihn. Neben Lily tauchte James Potter, ihr Mann und sein Großvater, aus den Schwaden auf: „Die Grenze zwischen dieser und den anderen Welten hat sich verschoben. Wir konnten plötzlich zurückkehren. Es passiert jedes Jahr am zweiten Mai. Diese Nacht ist seit neunzehn Jahren nicht mehr dieselbe.“ Alle drei Schüler erkannten die Bedeutung sofort. Noch am Tag zuvor hatten die Lehrer in jedem Unterricht, unabhängig vom Fach, auf die Bedeutung dieses Tages hingewiesen, was nicht selten zu peinlichen Momenten führte, da die Familien „Potter“ und „Weasley“ dabei sehr oft Erwähnung fanden. Lily sprach aus, was in ihren Köpfen als Vermutung zu finden war: „Tom Vorlost Riddle hat durch sein Vergehen bleibende Spuren in allen Welten hinterlassen. Tod und Leben, die Grenzen, all das wird aufgehoben. Doch oft ist der Zauber nicht stark genug, um mehr als das zu bewirken. Dazu gehört schon etwas mehr.“ Bei diesen Worten nickte sie Albus freundlich zu. „Erklärungen sind nicht nötig, wir haben erfahren, dass unser Sohn in Ginny eine gute Frau gefunden hat und auch seine besten Freunde einen Weg zueinander gefunden haben. Solche Nachrichten finden immer eine Möglichkeit, durch alle Welten. Sir Nicolas war im letzten Jahr sehr aufgeregt, als du nach Hogwarts kamst und schickte uns eine Nachricht“, sagte sie, diesmal zu James. „Ahh, ein Familientreffen!“, schmunzelnd kam ein Mann in langer Robe aus der Ecke hinter Lily und James heran: „Ich hoffe, ich zerstöre nicht das überaus rührende Bild.“ - „Professor Dumbledore!“, riefen die Kinder, wie aus einem Mund. „In der Tat, ich hatte plötzlich Lust, einen Spaziergang über den See zu machen um meinen Namensvetter zu treffen“, zwinkernd sah er zu Albus hinüber. „Richte deinem Vater bitte Grüße aus. Und du“, er wandte sich an Rose: „sag deiner Mutter, sie kann mir gerne mal ein paar Wollsocken stricken. Auf dem See ist es besonders im Winter doch recht kalt.“ - „Dumbledore, Sir, ich werde ihnen Wollsocken bringen, Sir!“ Ein Hauself sprang herbei und hielt dem ehemaligen Schulleiter ein silbrig dunstiges Paar entgegen. „Danke, Dobby!“, der Schulleiter machte sich sogleich daran, die Socken überzuziehen, und der Hauself begann auf die perplexen Schüler einzureden: „Ehrenwerte Nachfahren meiner hochgeschätzen Freunde, erlaubt mir die Frage: Wie geht es euren Eltern? Wie geht es den Hauselfen heutzutage?“ Rose war im Nu in ihrem Element, etwas von ihrer Mutter hatte eindeutig auf sie abgefärbt: „`Die Hauselfen sind anerkannte Mitglieder der magischen Gesellschaft seit 1998. Trotz der gesetzlichen Verankerungen dieser Tatsache, können einige Hauselfen sind noch immer nicht vom Sklavendasein befreien, sei es willentlich oder aufgrund des Paktes, der zwischen Diener und Meister besteht.´“, zitierte sie aus der neuesten Auflage „Jüngere Geschichte der Zauberei – die goldenen Jahre“. „Unseren Eltern geht es gut“, ergänzte Albus, der sich langsam an die Situation gewöhnt hatte. „Wir können nicht ewig in dieser Welt bleiben“, sagte Lily: „Aber hier sind noch einige andere, die euch kennenlernen möchten. Wir werden uns wiedersehen.“ Bedrückt dadurch, dass die vier Gestalten wieder mit dem Nebel verschwammen, blieben Albus und James einen Moment versteinert auf der Stelle stehen. Sie hätten noch viele Fragen in ihren Köpfen loswerden wollen und keine Möglichkeit gehabt, ihre Ahnen aufzuhalten. Rose hingegen hatte sich bereits umgewandt, da sie ein Geräusch gehört hatte, das von jemandem hervorgerufen worden war, der jetzt grinsend auf dem tauüberzogenen Gras saß. „Onkel Fred!“ - „Ja und nein, Rose“, erwiderte er, als sie auf ihn zurannte: „Unverkennbar ich, aber anders.“ - „Ist mir egal, du grinst wie Onkel George!“, sagte sie und grinste ebenfalls auf exakt dieselbe Weise. „Das liegt wohl in der Familie. Ich hoffe, er macht keinen Unsinn mit dem Laden, das wäre nun wirklich nicht zu verantworten, nach allem, was ich für ihn getan habe!“ - „Er ist oft traurig, weil er dich vermisst, aber er würde nie dein Andenken auf solche Weise beschmutzen!“ - „Na, dann ist ja gut. Hey, Mad-Eye, komm mal her!“ Unwillkürlich zuckte Rose zurück, als sie das wirbelnde Auge des vernarbten Mannes durchbohrte. Der silbrige Dunst machte es noch schauriger, als sie es aus den Erzählungen ihrer Eltern kannte. „So, die kleinen Potters und die junge Weasley-Tochter streunern hier herum? Na, das sieht ihnen ähnlich. Immer dasselbe mit den Rotzlöffeln.“, ließ sich der Angesprochene mürrisch vernehmen. „Aber Moody, wir waren doch alle mal jung! Man sollte meinen, das Sterben hätte dich weiser gemacht“, Fred wandte sich zu ihm um und sah den Anflug eines Lächelns zwischen Mad-Eyes Lippen. „Und dich weniger frech!“, erwiderte der frühere Auror. „Ich glaube, das wird nie geschehen“, schaltete sich ein Mann ein, der gebannt zum Mond empor blickte. Diese Aussage ließ nun auch die beiden Potter-Brüder wieder herantreten. Um den Tisch, an dem an sonnigen Tagen Zauberschach gespielt und Hausaufgaben abgeschrieben wurden, saßen Tonks, Sirius, und Lupin, der gesprochen hatte. „Wenn wir das zuhause erzählen...“, meinte James, der angesichts der Begegnungen seine übliche vorlaute Art verloren hatte, zu seinem Bruder. „... dann wird uns erst mal keiner glauben!“, ergänzte Albus. „Oh, sei dir da mal nicht so sicher, mein lieber Junge“, sagte Sirius, mit einem sehr warmen Lächeln, das beide zu umarmen schien: „Dein Vater hat so viel erlebt, dass er viel Verständnis für euch haben wird... Und vermutlich sogar ein bisschen Sehnsucht nach solchen Abenteuern in ihm erweckt wird.“ „Sagt Teddy, dass seine Eltern wirklich stolz auf ihn sind, bitte!“, flehte Tonks. In ihren Augen konnte man sehen, dass sie sich weniger als die anderen von dieser Welt hatte lösen können. Die Sorge um ihren Sohn hatte es ihr nicht leicht gemacht, weiter zu gehen. „Das werden wir.“, versprach Rose mit einem leichten Nicken. Eine Eule, die so dunstig wie die Freunde ihrer Eltern war, landete auf dem Tisch und kniff Sirius sanft in den Finger. „Ja, du hast recht, Hedwig, wir müssen los. Es tut nicht gut, zu lang zu bleiben“, sagte dieser langsam aber bestimmt. Seine Augen waren dabei fest auf die Söhne seines Patensohnes gerichtet. Lasst euch nicht von diesem Erlebnis aus der Bahn werfen. Tod und Leben gehören zusammen, müssen aber unabhängig voneinander existieren können. Es gibt immer ein Wiedersehen.“ Albus stiegen Tränen in die Augen, als sie wieder allein im Hof zurückblieben. Es konnte, es sollte noch nicht vorbei sein. Er hätte sich stundenlang mit den Geistern unterhalten können. Doch Rose zupfte ihn am Ärmel: „Komm, wir müssen zurück in den Turm.“ Sie und James gingen zurück in den Korridor, um den Tarnumhang zu holen, während sie sich leise unterhielten. Da bemerkte Albus eine Gestalt, die völlig stumm und bewegungslos im Schatten des einzigen Baumes saß und ihn mit den Augen fixierte. Die Dunstschwaden hatten sich verzogen. Diese Gestalt war so klar umrissen, wie ein gestaltlicher Patronus im stockdunkeln. Albus hätte Angst haben können, und seine aufgewühlten Emotionen hätten in diesem Moment überfließen und sich in einem Schrei Bahn brechen können. Aber die Ruhe, die der Mann dort ausstrahlte, machte ihn selbst auf einmal ganz ruhig. „Wer bist du?“ „Ich sage dir“, kam es mit gebrochener Stimme unter dem Baum hervor: „es ist nicht vorbei. Nie wird etwas bestehen oder enden. Immer wird in dieser Welt das eine auf das andere folgen. Auch ihr werdet das eines Tages erkennen. Trage diese Wahrheit mit dir, auch wenn du noch jung bist: Irgendwann muss jeder loslassen.“ Kurz bevor der erste Sonnenstrahl die Nacht vertrieb, erkannte Severus Snape die Wahrheit seiner eigenen Worte, die er so lange nicht hatte sehen können, weil er sie aussprechen, den Gedanken zulassen musste. Er wusste, dass der Junge, der vor ihm stand, noch nicht bereit war, zu verstehen. Und weil er wusste, dass er nun Teil dieser Familie sein konnte, ohne es je gewesen zu sein, musste er sich nicht mehr quälen. Er lächelte freundlich und setzte seiner vernichtenden Erkenntnis die Hoffnung hinzu, die er diesem Kind geben wollte, weil er sich in Albus Augen wiederfand: „Aber dann ist gut. Es ist wahrlich gut.“