Meerlie - Gryffindor - „Das Fest der toten Braut“
Ein sanfter Sonnenstrahl kitzelte meine Nasenspitze an jenem Morgen, an dem unsere Reise begann. Ich reckte und streckte mich ausgiebig und setzte mich erwartungsvoll auf. Meine Mum und meine beiden älteren Schwestern Fellinia und Fellona waren schon wach. Sie trugen ihre schönsten Kleider und hatten seidene Bänder in ihren glatten, blonden Haaren. „Finnja ist wach, Mum.“, rief Fellinia, als unsere Blicke sich trafen. Ich hielt mir pikiert die Hand vor den Mund, als sich ein vorlauter Gähner seinen Weg daraus hervor bahnte. „Guten Morgen, meine Liebe.“ Mums Blick war liebevoll. „Bist du soweit? Heute Abend ist dein großer Moment.“ So langsam sickerten die Erinnerungen an gestern in meinen Kopf. Mum hatte mir und meinen Schwestern eine ungewöhnliche Geschichte erzählt, die ich zunächst gar nicht richtig begreifen konnte. Jetzt, nach einer Nacht erholsamen Schlafes, fiel es mir schon leichter, die Zusammenhänge zu verstehen. Dies versetzte mich jedoch augenblicklich in tiefe Nervosität. Ich sprang auf und suchte mein Festkleid hervor, das ordentlich und glatt in meinem Schrank hing. Nur zu ganz besonderen Anlässen durfte ich dieses Kleid tragen, doch der heutige Abend war allemal besonders. Ehrlich gesagt konnte ich mir kaum einen Augenblick vorstellen, der noch besonderer gewesen wäre. Sanft glitt das schöne Kleid über meine Schultern und meinen Körper hinab. Ich betrachte mich in dem silbernen Spiegel im Wohnzimmer, drehte und wendete mich und warf kritische Blicke auf meine Arme. Meine Haut schien mir ein wenig fahl, doch meine Mum, die einen Blick über meine Schulter warf, sagte schlicht: „Du bist wunderschön, Finnja.“ Ich lächelte und steckte meine Haare mit einer Spange hoch. Während ich ein paar widerspenstige Strähnen mit weiteren Spangen fixierte, waren meine Gedanken ganz bei unserem Vorhaben: Heute Abend würden wir beim großen Fels am nördlichsten Punkt der Erde unser Fest feiern. Dieses Fest wurde nur einmal in 10 Jahren gefeiert und trug den etwas makaberen Namen „Das Fest der toten Braut“. Zugegeben, als ich dies gestern Abend aus Mums Mund gehört hatte, war mir etwas schwindelig geworden. Sie musste haargenau erläutern, wie es zu dieser Namensgebung gekommen war. Die Legende besagt, dass unsere Vorfahren, unsere Ur-Ur-Urahnen junge Frauen waren, die heiraten wollten. Jede dieser frischgebackenen Bräute sei allerdings ein böses Unglück geschehen: Sie starben jedes Mal genau einen Tag vor ihrer Trauung mit ihrem Liebsten. Die Gründe für die verschiedenen Todesfälle waren vielzählig, doch nie waren es Morde sondern lediglich Unfälle. Manch eine der Damen fiel in einen tiefen Brunnen, eine zweite Schnitt sich beim Kartoffel schälen in die Venen und wieder eine andere brach sich das Genick bei einem Ausritt zu Pferd. Seit jeher gedenken wir den armen Seelen, die so niemals den schönsten Tag ihres Daseins erleben konnten. Ich seufzte schwer. Eins unterschied uns deutlich von unseren Vorfahren: Die Bräute, denen wir das Fest zu Ehren hielten, hatten sich verlieben können, sie durften sich auf einen einzigen Mann einlassen und hatten zumindest die Möglichkeit gehabt, diesen zu heiraten. Uns Veela war dies zu unseren Zeiten nicht oder nur in den seltensten Fällen gestattet. Aufgeräumt steckte ich eine letzte Spange im Haar fest. Immerhin hatte ich mich noch nicht verliebt. Die Zauberer, denen ich begegnet war, hatten mich nicht im Mindesten beeindrucken können. Ich war einen letzten Blick in den Spiegel und nickte zufrieden. So konnte ich mein allererstes Fest der Braut begehen. Ich merkte, wie mir ein wenig die Hände zitterten, doch entschieden griff ich nach meinem Umhang und folgte meinen Schwestern und Mum. Wir verließen das Haus und folgten einem Pfad in den dichten Fichtenwald hinein. Im Schutz der großen Bäume blieb Mum stehen und musterte uns drei eingehend. „So ihr Lieben. Nun ist es an der Zeit.“ Sie bedachte mich mit einem sanften Blick. „Finnja, ich weiß dass du sehr nervös sein musst. Aber du hast geübt und dir wird die Verwandlung sicher gelingen. Hab keine Sorge und versuch es einfach.“ Daraufhin schloss sie, genau wie meine Schwestern fest die Augen. Nach nur wenigen Augenblicken waren aus den Frauen drei wunderschöne, temperamentvolle Pferde geworden. Ich schluckte. Dieser Teil des Tages war zwar noch der einfachste, doch fürchtete ich mich davor, was passieren würde, wenn mir meine erste wichtige Verwandlung misslingen würde. Keiner der Veela, die zum Fest kamen, würden mich bei der Ankunft in gewöhnlicher Gestalt akzeptieren. Ich würde an meinem ersten Fest nicht teilnehmen können. Nervös begann ich mich zu konzentrieren. Ich atmete tief ein und aus und schon bald spürte ich, wie mein Äußeres sich wandelte. Zu meinem Glück geschah alles wie geplant. Ich nahm genau wie meine Familienmitglieder das Abbild eines weißen Pferdes an. Ich blickte meine Mum an. Wir wussten untereinander genau, wie wir uns erkennen konnten. Sie bewegte leicht den Hals und es schien, als nicke sie mir zu. Wilde Freude überkam mich, der erste Schritt zum Fest war geschafft! Elegant und voller Energie traten wir nun im schnellen Galopp unseren Weg zum nördlichsten Punkt der Erde an. Wir liefen den ganzen Tag und es war wunderschön. Kein Gefühl ließe sich je mit dem Vergleichen, was ich am heutigen Tag empfand. Die letzten Jahre hatte ich noch nicht mitgedurft, da eine Veela das 15. Lebensjahr vollendet haben musste um am „Fest der toten Braut“ teilnehmen zu dürfen. Nun wusste ich endlich, wieso meine Schwestern die Feierlichkeit jedes Jahr schon Monate im Voraus erwarteten. Schon die Reise zum großen Fels war ein Abenteuer und ein Gefühl wilder Freiheit. In Gestalt eines Pferdes schien alles so leicht und so unendlich. Ein jeder erst noch weitentfernt liegender Baum war in Sekundenschnelle zu erreichen, ein jeder Fluss mit einem sanften Sprung zu überqueren. Ich liebte dieses Gefühl. Allmälig dämmerte es und der Abend kehrte ein. Wir mussten den Festplatz bald erreicht haben, denn auch die Vegetation hatte sich zusehends verändert. Nach einer halben Stunde verfiel meine Mum in einen leichten Trab. Ich reckte meinen Hals, um zu sehen, ob man schon etwas erspähen konnte. Und ja, nach einer letzten Biegung sah ich es endlich: Der Fels in der Brandung des Meeres war noch höher und majestätischer als ich ihn mir aus den Erzählungen meiner Freunde und Familienmitglieder vorgestellt hatte. Er wirkte einschüchternd auf mich und mein Herz pochte wie wild. Um den Fels herum sah man die unterschiedlichsten Gestalten: Schwäne, Pferde, Wölfe, Hippogreifen und sogar Tiger und Löwen waren zu entdecken. Dies alles mussten die Veela sein, die zum Fest gekommen waren. Es war eine riesige Ansammlung der unterschiedlichsten Tiere und ein prächtiger Anblick. Ich staunte nicht schlecht und schüttelte dann meinen Kopf leicht, um mich zu vergewissern, dass meine Mähne noch ordnungsgemäß glatt hinab hang. „Zunächst werden einige Speisen eingenommen und man unterhält sich. Danach erfolgt die gemeinsame Rückverwandlung. Und schon dann, wenn der Vollmond allmälig aufgeht, seid ihr dran.“, hörte ich die Stimme meiner Mum in meinem Kopf. Unsere Blicke trafen sich. Sie trat auf mich zu und rieb ihren Kopf an meinem Hals. Eine Geste der Unterstützung. Sie gab mir Mut. Zögernd traten wir alle näher und nahmen einen Platz unweit des Strandes ein. Der gesamte Ort lag nah am Wasser, doch auch ein Wald umgab den majestätischen Fels schützend. Wie von Geisterhand erschienen einige außergewöhnliche Speisen vor uns auf der Erde. Ich beäugte das Mahl zunächst skeptisch, doch als ich sah, mit welchem Genuss sich meine Schwestern das Essen schmecken ließen, probierte ich zögernd. Es schmeckte köstlich. Soetwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gekostet. Genüsslich fraß ich und allmälig verflüchtigten sich auch meine Sorgen und meine Nervosität zum restlichen Abend. Irgendwie würde ich meinen Auftritt schon erfolgreich absolvieren. Nach einer guten Stunde, als das allgemeine Mahl beendet war und die Tiere sich im Stillen und mit wenigen Gesten verständigt hatten – ich kannte bisher nur wenige bei diesem Fest und so hielt ich mich an meine Familie – trat ein sehr alter Wolf auf eine kleine Plattform. Eine Stimme erklang in meinem Kopf: „Herzlich Willkommen, ich danke euch allen für euer Kommen. Ich vermute, eine jede von euch weiß, was das heute für ein Tag ist. Wir gedenken heute der armen Seelen der Verstorbenen Bräute, die sich der Hochzeit hingeben wollten und denen diese Tat für immer genommen ist. Lasst uns nun die Rückverwandlung begehen. Lasst uns wieder zu dem werden, was wir sind. Wir sind Veela, Frauen und Unabhängige, die sich selbst genügen. Wir betören die Männer, aber öffnen uns ihnen nicht! Auf das keine von uns das gleiche Schicksal wiederfährt, wie unseren Vorfahren!“ Ein lautes Raunen ging durch die Menge und ein paar Sekunden lang passierte nichts. Aus dem Augenwinkel nahm ich meine Mum war, die die Augen wieder fest aufeinander gepresst hatte. Schnell tat ich es ihr nach und konzentrierte mich ein weiteres Mal an diesem Tag. Nach wenigen Augenblicken war es vorbei. Ich hatte mich wieder in mich selbst verwandelt. Ich fuhr mir leicht über das Haar und blickte um mich. Der Platz war überseht von jungen und älteren Veela, die den Blick wieder nach vorne gerichtet hatten. An Stelle des Wolfes stand dort nun eine grauhaarige Veela, die den Blick über die Menge schweifen ließ. „Herzlich Willkommen erneut, ihr Veela! Es ist ein großer Tag für die Jungen unter euch und ein wunderschöner für all die Veela, die junge Veela aufwachsen sahen. Tretet nun hervor und zeigt euch, damit wir euch ansehen können!“ „Los...“, murmelte meine Schwester und stupste mich leicht in die Seite. Mein Herz schlug jetzt so sehr, ich fürchtete, dass es zerspringen würde und mit zögernden Schritten bahnte ich mir einen Weg durch die Menge. Inzwischen hatte man eine runde Fläche frei gemacht und ich spürte erwartungsvolle Blicke auf mir. Als ich das runde freie Feld erreichte, sah ich weitere Veela in meinem Alter. Sie alle wirkten unruhig und nur wenige hatten einen energischen Blick aufgesetzt, um zu zeigen, wie stark sie waren. Ich stellte mich neben eine Veela mit etwas dunklerem Haar. Wir warfen uns schüchterne Blicke zu, als plötzlich die zarten Klänge einer Harfe ertönten. Der Tanz sollte beginnen. Ich setzte mich in Bewegung und versuchte, jegliche Schritte und Wandlungen zu machen, wie Mum sie mir Wochen, ja monatelang antrainiert hatte. Ich versuchte, dabei elegant, stolz und eine Spur arrogant zu wirken, genau so, wie es von einer richtigen Veela erwartet wurde. Nach ein paar Minuten fiel es mir immer leichter, mich im Takt der Musik zu wiegen. Der Rhythmus war sanft, genau, wie ich es auch war und die Töne entwichen der Harfe dann, wenn ich meine Füße zart auf dem Boden aufsetzte. Alles schien hervorragend zu funktionieren. Ich bewegte mich im Einklang mit den anderen jungen Veela und empfand eine so starke Verbindung zu ihnen, dass mir meine Gedanken von heute Morgen töricht vorkamen: Wozu brauchte ich einen Mann oder einen Geliebten, wenn ich eine dieser großen Gemeinschaft an Veela war? Waren wir nicht außergewöhnliche, wunderschöne Geschöpfe, die sich selbst versorgen und alleine leben konnten? Wozu sich verlieben, wenn man eine solche Einheit auch mit anderen Veela zusammen spüren konnte? Ich spürte ein zufriedenes Lächeln auf meinem Gesicht und als ich mich im Tanz sanft umschaute, merkte ich, es dass es auch den anderen jungen Veela so zu gehen schien. Mein allererstes „Fest der toten Braut“ war ein voller Erfolg. Als wir nach unserem Auftritt von Lobworten nur so überschüttet wurden, blieb dieses starke Gefühl, dass ich unabhängig war. Ich war eine Veela und mein Schicksal, eine Einzelgängerin zu bleiben, hieß ich herzlich willkommen. Kein Zweifel konnte sich nach diesem einzigartigen Erlebnis je mehr in meinen Geist einschleichen. Ich würde das Leben auf unsere Weise genießen, wild, unabhängig und schön.