Annele - Slytherin - Krähentag – Oder: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus
Welches Kind kennt sie nicht, die bunten Federn der Fwuuper? Jedes Schreibwarengeschäft, das auch nur das Mindeste auf sich hält, hat sie im Angebot und so mancher halb verzweifelte Vater oder Mutter hat versucht, den Kindern mit diesen bunten Federn ein wenig Spaß beim Schreibenlernen zu geben. Zwar macht auch mit diesen Federn die Tinte oft häßliche Kleckse auf dem Pergament und die ein oder andere Feder bricht, da die lieben Kleinen sie allzu fest aufs Pergament drücken, doch immerhin werden sie nicht ganz so häufig wütend in die Ecke gepfeffert wie die ordinären Eulen- und Adlerfedern. Doch wie kommt man an die bunten Federn ran? Die wenigen privat gehaltenen Fwuuper produzieren schließlich nicht genügend Federn, falls man sie nicht völlig kahl rupfen möchte und wie jeder weiß, ist der Gesang der Fwuuper der geistigen Gesundheit nicht gerade förderlich. Nun, findige Fwuuper-Forscher haben Erstaunliches über das Sozialleben dieser posierlichen Tiere herausgefunden, das zugleich auch die magischen Federkielhändler begeisterte. Denn: Fwuuper sind religiös und kennen Feiertage – oder zumindest glauben das die Forscher nach dem altbekannten Motto: „Was man nicht erklären kann, sieht man gern als kultisch an.“ Zweimal im Jahr jedenfalls versammeln sich alle Fwuuper an einem bestimmten Ort in der afrikanischen Savanne und feiern den Krähentag. Krähentag? Was ist das, werdet ihr nun fragen. Doch um diese Frage zu beantworten, sollte ich wohl besser einen Fwuuper zu Wort kommen lassen, der sich dieser Dinge besser versteht. Also kommt mit und lernt Ysa kennen – sie hat mir auch versprochen, nicht zu singen. ... Hahahahahahahihihihihaha... diese Menschen – glauben doch tatsächlich, daß ich ihnen etwas über den Krähentag erzählen würde. Schaut nur meine Küken, so sieht es aus, wenn sie zulange unseren lieblichen Stimmen lauschen; da ist’s für jeden Schweigezauber zu spät. Doch genug von diesen Ungetümen, ihr, meine Süßen, habt natürlich ein Recht darauf zu erfahren, was es mit dem Krähentag auf sich hat. Was ist ein Feiertag, wollt ihr wissen. Nun, die Menschen nennen alles Feiertag, was arbeitsfrei ist und insofern als es unsere Arbeit und unser Lebenszweck ist, andere in den Wahnsinn zu treiben, so kann man es wohl Feiertag nennen. Doch beten wir an diesem Tag keine Gottheit an, bereiten kein köstliches Festmahl zu und machen uns gegenseitig auch keine Geschenke. Geschenke? Was das ist? Ach, liebe Küken, vergeßt’s gleich wieder. Dafür haben wir keinen Bedarf. Nein, was ist wichtig am Krähentag? Zunächst einmal: unsere Fwuuper-Kultur. Bisher kanntet ihr ja nur mich, meine lieben Küken, und fürsorglich wie eine Glucke habe ich euch behütet und beschützt, euch gefüttert und gewärmt und euch nicht vorgesungen. Doch glaubt nicht, daß andere Fwuuper dies ebenso halten. Ganz im Gegenteil: Der gemeine Fwuuper hält es nur selten in friedlicher Gemeinschaft aus. Wenn mehr als zwei Fwuuper beisammen sind, wird um die Wette gesungen, bis einer flieht oder wahnsinnig wird. Mit der Zeit stumpft man ein wenig ab, je älter ihr werdet, desto dichtere Federn wachsen euch über die Ohren, die euch vor dem schlimmsten Wahnsinn beschützen, und desto lauter könnt ihr singen, ohne euch selbst um den Verstand zu bringen. Aber glaubt mir, ihr werdet froh sein über jeden Tag der Stille und das höchste Glück für einen Fwuuper ist es, einen Partner zu finden, mit dem er gemeinsam schweigen kann. Um diesen zu finden, versammeln wir uns zweimal jährlich an einem geheimen Ort. Jeder junge Fwuuper wird das erste Mal von seiner Mutter oder – falls diese beim letzten Krähentag eine besonders glückliche Feder hatte – von seinen Eltern zu diesem Ort geführt. Dort findet dann erst einmal eine Art Einlaßkontrolle statt. Denn für die Teilnahme am Krähentag gelten strenge Regeln. Jeder tritt einzeln vor die Fwuuper-Ältesten, die eure Federn und eure Ohren inspizieren werden. Nur wer bunt genug ist, darf hinein, denn je bunter die Federn, desto wahnsinniger die Stimme. Aber so viele Fwuuper auf einem Haufen ist eine gefährliche Sache, nicht nur für die anderen Tiere, um die wir uns gar nicht scheren, sondern auch für uns und so ist Stille am Krähentag das höchste Gebot. Um zu verhindern, daß einer in dieser Massenansammlung von Fwuupern austickt und einen Sangeswettkampf startet, rupfen die Fwuuper-Ältesten jedem Ankömmling die Federn über den Ohren aus, so daß quasi alle gleich ohrennackt und verletztlich sind. Wer singt, schadet sich also selbst und das schneller, als ihr „Fwuuper“ sagen könnt. Schließlich dürft ihr passieren und der Krähentag beginnt. Immer mehr Fwuuper versammeln sich dann, setzen sich auf einzelne Bäume, stolzieren herum oder machen einen Rundflug über die versammelte Fwuuperschaar. Vorsichtig, neugierig oder auch mißtrauisch beäugen wir uns dann gegenseitig. Die Erstlinge, so nennen wir junge Fwuuper, die zum ersten Mal bei einem Krähentag sind, haben eine Ecke für sich und warten auf ihre Initiation. Schließlich um die Mittagsstunde, wenn sich alle eingefunden haben, führen die Fwuuper-Ältesten die Erstlinge in die Mitte. Dies alles geschieht mucksmäuschenstill, denn großes Unheil droht dem, der es wagt, seinen Schnabel auch nur aufzumachen. Also gebt gut Acht meine Küken und behaltet meine Worte fest im Gedächtnis. Ihr müßt den Ältesten einer nach dem anderen folgen und in einer Reihe vor ihnen stehen. Nun werdet ihr erneut begutachtet, steht aufrecht, haltet den Kopf gerade und sorgt dafür, daß euer Gefieder glatt und glänzend anliegt. Ein Ältester wird euch schließlich eine Feder – die schönste, die ihr habt – ausrupfen und als Opfer auf der kahlen Erde liegen lassen. Ihr dürft dabei keinen Ton von euch geben, denkt daran, ein Fwuuper, der am Krähentag seinen Schnabel öffnet, ist verloren! Nach bestandener Initiation sucht ihr euch einen Platz inmitten der älteren Fwuuper und beobachtet die restliche Zeremonie von dort aus. Wenn dies alles beendet ist, dann beginnt der eigentlich soziale Teil des Krähentags. Ein jeder Fwuuper geht leise umher und sucht, ob ihm irgendein Gefieder sympathisch erscheint. Findet er ein solches Wesen, so mögen sie gemeinsam von dannen ziehen bis zum nächsten Krähentag. Falls nicht, so muß er alleine seine Kreise ziehen und glaubt mir, dies ist nicht das Schlechteste. Nach ein paar Sonnenauf- und untergängen sind eure Ohren wieder mit dichtem Gefieder bedeckt und ihr könnt eurer Stimme freien Lauf lassen. Wehe dem Fwuuper, der nun einen zänkischen Gesellen hat. Aus diesem Grunde feiern wir den Krähentag, denn an diesem Tag singt kein Fwuuper den anderen um den Verstand.