1. Platz - Saphyr - Slytherin - Goldene Kobold-Weihnacht
„Weihnachten!“ Groophik spie das Wort aus, als hätte es ihm die Zunge verbrannt. Er konnte dieses Fest der Muggel und Zauberer nicht leiden. Was war das auch für ein fürchterlicher Tag. Die Menschenwesen machten einander doch tatsächlich Geschenke. Widerlich! Anders konnte der Kobold diese unsägliche Angewohnheit der Menschen nicht beschreiben. Wie konnten sie nur Freude daran haben anderen etwas von ihrem Besitz abzugeben, wo doch möglichst wertvolles Eigentum das größte Glück brachte? Und doch schlich sich, während er so darüber nachdachte, ein zufriedenes Grinsen auf sein spitzes Gesicht. Schließlich bedeutete diese Zeit auch, dass Gringotts geschlossen sein würde. Drei Tage keine Zauberer, drei Tage keine Bettelei um mehr Aufschub für Kredite und vor allem drei Tage lang keine mickrigen Münzen aus Silber oder Kupfer. Gold, das war das einzige, was für den geizigen Kobold zählte. Und davon würde er in den nächsten Tagen reichlich in die Hände bekommen. Nachdem endlich die letzten Kunden Gringotts verlassen hatten, ging Groophik in den Kaminraum. Er wollte nur noch nach Hause und den Schutz der unterirdischen Schätze den Drachen und ein paar armen Kobold-Seelen überlassen, die das Pech hatten die nächsten Tage in der Bank verbringen zu müssen. Er schnappte sich das Flohpulver, warf es in die Flammen des Kamins und rief laut und deutlich den Namen seines bescheidenen Heimes als er in den Kamin trat. Zum Glück brauchte man dazu keinen Zauberstab, sonst hätten die arroganten Zauberer ihnen auch das verboten. Aber immerhin waren sie so schlau gewesen zu kapieren, dass es wohl etwas schwierig sein dürfte, sich nicht in der Winkelgasse sehen zu lassen, wenn die Kobolde Gringotts zu Fuß hätten verlassen müssen. Noch während des Heraustretens aus dem Kamin schüttelte er den Kopf. Menschen, egal ob Zauberer oder Muggel konnte er einfach nicht leiden. Zum Glück war er in seinem Koboldhaus weit weg von ihnen. Und zu seinem noch viel Glück gehörte in diesem Haus auch alles ihm allein. Mit gierigem Blick bedachte er die Goldklumpen, die als Dekoration überall im Haus herumlagen. Das hier war sein Reich. Nicht wie in Gringotts, wo alle glaubten etwas zu besitzen und doch niemand wirklich etwas besaß. Alles war nur geliehen oder geklaut. Seine Schätze waren anders. Denn die Regeln beim Goldfest waren anders. Sollten die Menschenwesen doch Weihnachten feiern, dachte Groophik. Für Kobolde gab es ein größeres Fest. Es war das Fest des Jahres und der einzige Grund überhaupt, warum sich Kobolde zum Ende des Jahres trafen. Nicht, weil sie sich besonders gut leiden konnten. Freundschaften waren keine Koboldsache, sie lebten lieber allein. Doch für das Goldfest kamen sie zusammen. Schließlich ging es darum einem von Ihnen möglichst viel Gold abzunehmen und das auch noch so, dass es ihnen am Ende wirklich gehörte. Groophik selbst war bereits vor vielen Jahren der Gastgeber gewesen. Durch verschiedene Tricks hatte er es geschafft, dass ihm nur wenige Goldklumpen abhanden gekommen waren. Er war stolz auf sich gewesen, die anderen Kobolde wohl eher nicht. Aber so waren die Regeln. Nach einem gemeinsamen Essen wurde die Jagd eröffnet. Was in der offiziellen Spielzeit gefunden wurde, ging an die Finder über. Alles andere behielt der Gastgeber. Als Lohn für die Ausrichtung durfte er danach auf Lebenszeit selbst am Goldfest teilnehmen. So nannten sie es – Goldfest. Sie hatten es vor mehreren hundert Jahren absichtlich auf das Menschenfest „Weihnachten“ gelegt. Sowohl Menschen als auch Kobolden ging es um das Wichtigste, die Liebe. Auch wenn es bei den Kobolden die Liebe zum Gold war. Dieses Jahr würde das Goldfest in Irland stattfinden. Das kam Groophik nur recht, da er so nicht weit reisen musste. Zum Glück war der diesjährige Gastgeber ebenfalls an das Flohnetzwerk angeschlossen. Vor einigen Jahren hatten sie tatsächlich eine längere Strecke zu Fuß zurücklegen müssen. Groophik war über einen Tag unterwegs gewesen. Furchtbar! Doch dieses Jahr reichte es, wenn er seine Sachen in ein großes Tuch wickelte, in dem auch noch genügend Platz für die zahlreichen Goldklumpen war, die er mit nach Hause bringen würde, und zum Haus des Gastgebers flohte. Als Groophik etwas abseits der irischen Hütte des Gastgebers Karhook ankam – Karhook hatte seinen Kamin doch tatsächlich außerhalb der Hütte aufgebaut –, war das Treiben schon in vollem Gange. Zahlreiche Kobolde standen nebeneinander, stritten lautstark über gestohlene Gegenstände oder philosophierten über die besten Möglichkeiten die Zauberer abzuluchsen. Die aggressive Atmosphäre war sofort zu spüren, aber so war es Groophik am liebsten. Ein Lachen ließ Groophik herumfahren. In einiger Entfernung sah er ein Kobold-Kind, das quietschvergnügt über die Wiesen tobte. Das passte nicht hierher. Koboldkinder waren so wie ihre Eltern – grummelig und streitsüchtig. Außerdem hatten Kinder auf dem Fest nichts zu suchen. Sie waren nicht eingeladen, schließlich hatten Sie nie selbst ihr eigenes Gold als Einsatz zur Teilnahme riskiert. Groophik blickte sich um und erblickte einen erwachsenen Kobold in der Nähe des Kindes. Japhok! Das hätte er sich denken müssen. Dieser eigenwillige Kobold lebte in der Nähe von freien Elfen und Zauberern. Kein Wunder, dass sein Kind so seltsam war. Japhok winkte ihm zu. „Hallo Groophik, schön dich zu sehen.“ Trotz ihrer jahrelangen Versuche ihm aus dem Weg zu gehen, hatte es keiner der Gäste des Goldfestes geschafft, dass Japhok auch nur ein unfreundliches Wort fallen ließ. Groophik schüttelte sich. Das war nicht normal. Dennoch begrüßte er ihn mit einem Kopfnicken. „Was hat dein Junge hier zu suchen?“ Japhok lachte. „Das ist sein Weihnachtsgeschenk.“ Da war es wieder, dieses unsägliche Wort. Nun brachte er seinem Jungen auch noch Weihnachten näher. „Er wollte unbedingt einmal dabei sein und Karhook hat es erlaubt.“ Groophik schaute sein Gegenüber entgeistert an, doch Japhok schien das nicht zu bemerken. „Brophak! Komm her und begrüß einen alten Freund.“ Der Junge rannte zu seinem Vater und stellte sich erwartungsfroh neben seinen Vater. „Hallo, ich bin Brophak.“, stellte sich der Junge freundlich vor. Doch Groophik rührte sich nicht. Das hier war nicht normal. Brophak trat nervös von einem Fuß auf den anderen, Japhok ließ sich jedoch nicht irritieren. „Mach dir keine Sorgen, Brophak. Groophik ist etwas grummelig, aber er meint es nicht so.“ „Du verhätschelst deinen Jungen, das ist nicht gut.“, murrte Groophik. Doch Japhok lächelte nur und schickte seinen Sohn wieder zum Spielen. „Nein, nein, das ist schon richtig so. Früher oder später werdet ihr das alle auch merken.“, sagte Japhok und wandte sich ebenfalls ab. Groophik schaute den beiden hinterher. Karhook musste sich seiner Sache sehr sicher sein, wenn er erlaubte, dass ein Kind am Goldfest teilnahm und damit auch jemand, der selbst noch kein Fest ausgerichtet hatte. Kopfschüttelnd setzte sich Groophik auf seinen Platz und begrüßte mit einem Grummeln seine Sitznachbarn. Lange musste er jedoch nicht warten bis Karhook hervortrat um das Fest offiziell zu eröffnen. „Meine lieben Mit-Kobolde, ich freue mich, euch auf dem diesjährigen Goldfest begrüßen zu dürfen.“, sagte Karhook mit beißender Stimme. Natürlich freute es ihn nicht, weder dass überhaupt andere Kobolde in seiner Nähe waren noch dass sie sich an seinem Gold zu schaffen machen würden. Groophik wusste das, jeder wusste das. Dennoch erwiderte Groophik seine Worte mit einem Nicken, ebenso wie alle anderen. Sie wussten sich schließlich zu benehmen. „Nach dem feierlichen Bankett dürfte ihr euch in den großen Wald hinter euch begeben. Dort habe ich das Gold versteckt. Die Spielzeit beträgt wie üblich 97,21 Minuten.“ Groophik bemerkte, dass einzelne Kobolde unruhig wurden. Ein Wald? Das war zu einfach. So dumm konnte selbst Karhook nicht sein. Und so wartete Groophik ab, während sich einige bereits die Hände rieben. Bis Karhook seine Stimme erneut erhob. „Doch seid gewarnt. Wie ihr wisst, sind wir in Irland, der altehrwürdigen Heimat der Leprechaune. Ich habe sie darum gebeten mich ein wenig zu unterstützen und nicht nur mein Gold im Wald verteilt.“ Die Menge wurde unruhiger. Groophik verzog spöttisch den Mund. Nun, daran hätte er denken müssen. Leprechaun-Gold also. Es würde mit Ablauf der Spielzeit verschwinden. Keiner von ihnen würde vorher wissen, ob er echtes oder Leprechaun-Gold gefunden hatte. Leprechaune waren die einzigen, die noch goldgieriger waren als Kobolde. So lange es in ihrer Hand war, konnten sie damit machen, was sie wollten. Und wenn sie es hergaben, kehrte es immer zu ihnen zurück. Oh, das war bitter. Karhook war ein guter Gastgeber. Aber nicht gut genug. Groophik würde es ihm schon zeigen. „Und nun wünsche ich einen guten Appetit. Ich hoffe, meine Offenbarung liegt euch nicht schon zu schwer im Magen.“, beendete Karhook schon fast gut gelaunt seine Ansprache. Groophik langte zu. Er hatte Hunger und selbst wenn er keinen gehabt hätte, kostenloses Essen konnte er sich nicht entgehen lassen. Viele der anderen schienen das genauso zu sehen, einigen jedoch hatte es wohl die Sprache verschlagen und den Hunger gleich mit. Brophak hingegen rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Nun, sollte der Kleine seinen Spaß bekommen. Groophik war es egal. Endlich war das Essen vorüber und alle bereiteten sich emsig auf die Jagd vor. Den Wald durfte noch keiner betreten, aber jeder hatte sich einen strategisch günstigen Platz ausgesucht oder zumindest einen, den er für günstig hielt. Groophik hielt sich zurück. Schließlich war es egal, wie schnell er in den Wald kam. Es brachte ihm nichts so viele Goldklumpen wie möglich zu finden, wenn es sich um Leprechaun-Gold handeln würde. Er musste schlauer vorgehen und die richtigen Verstecke finden. Dennoch sprintete er den anderen hinterher als das Startsignal ertönte. Er musste sehen, wo die anderen hingingen, um ein Waldstück für sich selbst zu finden, wo er in Ruhe suchen konnte. Während die anderen tief in den Wald rannten, arbeitete er sich am Rand entlang. Wenn Karhook schlau war, würde er dort sein Gold verstecken, da es niemand, außer Groophik vielleicht, dort vermuten würde. Es dauerte nicht lange, ehe Groophik die ersten zwei Goldklumpen fand. Hastig sammelte er sie ein. Selbst wenn es falsches Gold sein sollte, würde er es nicht liegen lassen. Sicher war sicher! Groophik grub mit seinen langen Finger unter Wurzeln, hangelte sich in die höchsten Bäume und drehte alle Steine um, die ihm in den Weg kamen. Da er das gesammelte Gold schon bald nicht mehr tragen konnte, stapelte er es auf einen Haufen, den er immer im Blick haben konnte. Selbst wenn nur die Hälfte davon echtes Gold war, würde er erfolgreicher sein als in den letzten Jahren. Seine Augen glänzten bei dem Gedanken daran und er rieb sich erwartungsfroh die Hände. Er wusste, dass die Zeit fast um war und kroch noch einmal in einen ausgehöhlten Baum. Noch einmal ertastete er das die glatte Oberfläche eines Goldklumpens und griff danach. Noch während er ihn aus dem Baum zog, hörte er aus der Richtung von Karhooks Haus die Schluss Sirene. Das Gold entglitt ihm, zumindest fühlte es sich im ersten Moment so an. Doch Groophik wusste es besser. Das war ein Leprechaun-Klumpen gewesen. Verdammt! Aber er hatte noch genug. Von dem Goldhaufen musste noch jede Menge übrig sein. Er hob den Blick in freudiger Erwartung. Doch da war nichts! Er rannte zu der Stelle an dem sein Gold gewesen war. Das war doch die Stelle!? Wo war das Gold? Suchend blickte er sich um. Ein winziges Glitzern zeigte ihm, dass er sich nicht getäuscht hatte. Hier hatte er seinen Schatz gelagert. Groophik fühlte sich betrogen. Das war sein Schutz gewesen, sein Eigentum. Er hob das winzige Bröcklein, kaum so groß wie ein Knut der Zauberer, auf und schloss seine Finger darum. Er spürte es kaum in seiner Hand. Ein wütender Aufschrei entfuhr ihm. Das war ihm noch nie passiert. So konnte er sich unmöglich auf dem Abschlussbankett sehen lassen. Dort ging es hoch her und vor allem diejenigen, die gar nichts von der Suche zurückbrachten, wurden mit hämischen Blicken bedacht. Das konnte nicht sein, das würde seinen hart erarbeiteten Ruf für Jahre ruinieren. Plötzlich hörte er hinter sich ein Rascheln. Hektisch drehte er sich um, erwartete einen seiner Kontrahenten zu sehen, da Gesicht zu einem gehässigen Lächeln verzogen. Stattdessen erblicke er Brophak, der ihn schüchtern anlächelte. In seinen Händen hielt er einen riesigen Goldklumpen, den er kaum tragen konnte und an seinem Arm baumelte ein verschlungenes Tuch, das ebenfalls etliche Goldstücke zu enthalten schien. Groophik musste sich zurückhalten nicht abermals loszuschreien. Das konnte nicht sein. Der Junge konnte niemals so viel echtes Gold gefunden haben. „Na los, lach mich aus.“, fuhr er den Jungen an. Groophik war wütend – auf sich, auf Karhook auf die ganze Welt. Und nun stand dieser unnormale Koboldjunge vor ihm und hielt ihm seinen Schatz unter die Nase. Brophak zuckte zurück. „Warum soll ich dich auslachen? Hast du nichts gefunden? Das ist doch nicht schlimm. Das Suchen hat doch trotzdem so viel Spaß gemacht.“, entgegnete er. Groophik hätte sich am liebsten an den Ohren gezogen. Spaß? Der Junge glaubte tatsächlich, dass die kräftezehrende Suche Spaß machen sollte? Das war unglaublich. Er machte sich tatsächlich über ihn lustig. Groophik versuchte in Brophaks Gesicht entsprechende Anzeichen zu entdecken. Doch der Junge schaute ihn weiterhin freundlich an, dann senkte er seinen Blick kurz auf den Klumpen in seinen Händen, ehe er wieder aufblickte. „Wenn du willst, schenk ich ihn dir.“ Brophak hielt Groophik den Goldklumpen hin. Dann lachte er. Es klang wie das Lachen eines Menschenkindes. „Brophak!“, schallte eine Stimme durch den Wald. „Oh, das ist mein Vater! Ich muss los. Bin gespannt, ob ich mehr gefunden hab als er.“ Er hielt Groophik immer noch den Goldklumpen hin. Groophik zögerte und blickte sich um. Das war doch bestimmt eine Falle. Außerdem wusste doch jeder, dass Kobolde nie Geschenke machten, egal wie oft sie etwas weitergaben. Es gehörte immer dem, der es zuerst besessen hatte. Außer beim Goldfest, da waren die Regeln anders. Und trotzdem, Brophak hatte den Klumpen gefunden. „Es weiß doch keiner, dass ich ihn gefunden hab. Ich brauch ihn auch gar nicht und er ist mir viel zu schwer. Und außerdem, na ja, es ist doch Weihnachten. Mein Papa hat mir den Ausflug geschenkt und ich schenk dir den Klumpen.“ Groophik streckte zögernd seine Hände aus. Er erwartete ein hinterhältiges Auflachen. Doch nichts dergleichen passierte. Stattdessen spürte er tatsächlich die kühle glatte Oberfläche des Goldklumpens auf seiner ledrigen Haut. Rasch schloss er seine Hände fester darum und zog ihn fest an sich. Dann sah er in das lachende Gesicht des jungen Kobolds. Er nahm sich ein Herz. „Danke!“, grummelte er. „Wofür denn?“ Brophak zwinkerte ihm zu. „Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann wieder.“ Mit diesen Worten drehte Brophak sich um und rannte in die Richtung, aus der ihn sein Vater gerufen hatte. Auch Groophik setzte sich langsam in Bewegung. Die anderen würden schon warten. Er konnte ihre neidischen Blicke schon regelrecht spüren, wenn er mit dem größten Klumpen – und er war sich sicher, dass der Kleine tatsächlich den größten von allen gefunden hatte – auf der Lichtung auftauchen würde. Karhook hatte mit der Einladung von Brophak einen Fehler gemacht. Auf die Nase binden konnte Groophik es ihm natürlich nicht, aber er würde es nie vergessen. ‚Weihnachten!’, schoss ihm durch den Kopf und fast schien es als erschiene ein Lächeln auf seinem sonst so grimmigen Gesicht. ‚So schlecht scheint diese Menschensitte doch gar nicht zu sein – zumindest, wenn man der Beschenkte ist.’