Platz 6 Lara, Slytherin - Katinka und die Schneekugel von Lara |
Katinka und die Schneekugel von Lara
![]() * * * Am nächsten Tag war das Wetter ein wenig besser. Zwar kamen nicht mehr Menschen an ihren Stand als am Vortag, doch immerhin schneite es nicht, so dass sie den Pullover für ihre Mutter fertig stricken konnte. Gut gelaunt, weil ihr dieses Geschenk so gut gelungen war, machte sie sich am Abend wieder auf den Heimweg, nicht jedoch, ohne wieder vor dem Fenster des Kaufhauses stehen zu bleiben. Als sie ihren Blick schließlich von der Kugel abwandte, vernahm sie neben sich ein leises Schluchzen. Katinka blickte zur Seite und entdeckte einen kleinen Jungen. Er mochte vielleicht sechs oder sieben Jahre alt sein. Seine blonden Haare standen wild nach allen Seiten ab und er trug eine dünne Jacke, die ihm viel zu klein war. Katinka hockte sich neben ihn und legte ihre Hand auf seine Schulter. Erschrocken drehte der Junge sich um und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Katinka lächelte ihn an. „Warum weinst du denn? Hast du deine Mama verloren?“ Schüchtern schüttelte der Junge den Kopf, sagte jedoch nichts. „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Sag mir doch, warum du so spät noch alleine draußen rumläufst. Hast du dich verlaufen?“ Wieder schüttelte der Junge nur den Kopf. Dann wandte er seinen Blick von Katinka ab und sah wieder in das Schaufenster. Katinkas Augen folgten seinem Blick und blieben an einem Stoffbären hängen. Als sie das Preisschild entdeckte, wurde ihr klar, warum der Junge geweint hatte. Nach seinem Aussehen zu schließen, konnten sich seine Eltern ein solches Geschenk ebenso wenig leisten, wie ihre Mutter. „Du wünschst dir diesen Teddy, stimmt’s?“, versuchte Katinka es erneut. Erstaunt wandte sich der Junge wieder Katinka zu. Er nickte und dann erschien ein schüchternes Lächeln auf seinem Gesicht. „Weißt du, er heißt Robby und er hat mir gesagt, dass er gerne bei mir wohnen würde.“ Katinka lächelte zurück. Sie erinnerte sich daran, wie sie früher auch mit ihren Stofftieren gesprochen hatte. „Ich bin mir sicher, dass Robby sehr gerne bei dir wohnen würde, aber meinst du nicht, dass du ihn morgen wieder besuchen solltest? Es ist schon spät und deine Eltern machen sich bestimmt schon Sorgen.“ Das Lächeln auf dem Gesicht des Jungen erstarb. „Ich hab’ keine Eltern mehr“, sagte er und erneut lief eine Träne seine Wange hinunter. Katinka tat der kleine Junge so leid, doch sie wusste nicht, was sie sagen sollte, um ihn zu trösten. „Aber ich geh’ jetzt wirklich besser, sonst gibt es wieder Ärger im Heim.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und lief die Straße hinunter. Nachdenklich machte sich nun auch Katinka auf den Heimweg. Sie wusste, wie es war, ein Elternteil zu verlieren, aber sie hatte immer noch ihre Mutter. Schon oft hatte sie die Heimkinder auf der Straße spielen sehen, doch erst jetzt wurde ihr bewusst, wie viele Kinder es geben würde, die dieses Weihnachtsfest ohne ihre Familie verbringen würden. Der Gedanke an den kleinen Jungen verfolgte Katinka auch an den nächsten Tagen. Jeden Abend hoffte sie, ihn wieder vor dem Kaufhaus zu treffen, doch er kam nicht mehr.* * * Am Morgen des Heiligen Abends zählte Katinka ihr Geld. 32 Euro, viel mehr, als sie erhofft hatte, doch die erwartete Freude darüber blieb aus. Immer wieder dachte sie an die vielen Kinder, für die dieses Weihnachten ein trauriges Fest werden würde. In der Hoffnung, dass die Schneekugel sie aufheitern würde, machte sie sich auf den Weg in die Stadt. Zielstrebig ging sie in die Spielwarenabteilung und nahm die Kugel aus dem Regal. Die Schneeflocken wirbelten um die Figuren und Katinka sah ihnen zu, bis alle Flocken sich auf dem Boden gesammelt hatten. Eine Verkäuferin näherte sich ihr und sprach sie freundlich an. „Möchtest du diese Kugel kaufen? Ich kann dir auch noch andere Motive zeigen.“ Katinka lächelte die Frau an. „Nein danke, ich habe mich für etwas anderes entschieden.“* * * Am frühen Abend bog Katinka in die Straße ein, in der ihr Haus stand. Ihre Mutter stand vor der Haustür und erwartete sie bereits. „Kind, wo warst du nur? Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Du hast doch nicht am Heiligen Abend noch deine Gestecke verkauft? Hat das Geld etwa nicht gereicht? Was wolltest du davon überhaupt kaufen?“ Besorgt schloss sie ihre Tochter in die Arme. „Mama, beruhige dich, mir geht es gut.“ Katinka erzählte ihrer Mutter von der Begegnung mit dem kleinen Jungen, von der Schneekugel und von Robby, dem Teddybären. „Mama, du hättest seine Augen sehen sollen, als ich ihm den Teddy gegeben habe. Ich habe noch nie so strahlende Augen gesehen. Ich hatte sogar noch genug Geld, um für die anderen Kinder Süßigkeiten zu kaufen. Und meine restlichen Gestecke haben sie auch aufgestellt. Stell dir vor, was die Heimleiterin zu mir gesagt hat.“ Die Worte waren nur so aus ihr herausgesprudelt. Ihre Mutter sah sie gerührt an. „Was hat sie denn gesagt?“ „Sie hat gesagt, ich wäre ein Weihnachtsengel.“ Katinkas Mutter traten Tränen in die Augen und sie nahm ihre Tochter erneut in die Arme. „Das bist du auch“, sagte sie und küsste sie auf die Stirn. Dann schob sie Katinka vor sich durch die Haustür. Als sie das spärlich eingerichtete Wohnzimmer betraten, blieb Katinka abrupt stehen und riss die Augen auf. Ein wunderschöner Weihnachtsbaum stand mitten im Raum. Kunstvoll gebastelte Strohsterne schmückten ihn und der Schein der Kerzen tauchte den Raum in ein warmes Licht. Sie näherte sich dem Baum und ihr Blick fiel auf ein kleines Päckchen, das darunter lag. Katinka sah ihre Mutter an und als diese ihr zunickte, begann sie das Päckchen auszupacken. Zum Vorschein kam eine Schneekugel, IHRE Schneekugel. Katinka fiel ihrer Mutter um den Hals und eine Freudenträne kullerte ihre Wange hinab. „Sie ist wunderschön. Woher wusstest du ...?“ Ihre Mutter unterbrach sie und gab ihr einen Kuss. „Das hat mir ein Weihnachtsengel verraten.“ |