Meerlie, Gryffindor zu nela - -
  Ein weißer Hase hopste mit schnellen, ausladenden Sprüngen den Feldweg entlang. Dieser befand sich im Norden Irlands, unweit des kleinen Dorfes Ballycastle. Hier war das Gras noch grün und die Wiesen weit und üppig. Kein menschlicher Laut schien bis in diese Gegend vorzudringen, einzig Vogelstimmen konnte man erahnen. Die Ohren des weißen Hasen waren seinem Ziel entgegen gestellt und ab und an hielt er seine Nase in den Wind, um nach neuen Gerüchen zu wittern. Geschah dies, vibrierten seine Schnurrhaare leicht. Der weiße Hase schien seinem Ziel immer näher zu kommen, denn die Sprünge wurden noch weitläufiger. Endlich machte der Feldweg eine elegante Biegung und nun konnte man es sehen. Der Hase hielt abrupt an und bewunderte das vor ihm erschienene Haus. Es war kein gewöhnliches Haus, nein. Es schien auf eine merkwürdige, magische Art und Weise in verschiedenen Farben zu schimmern. Es glitzerte und obwohl die Sonne zurzeit unter den wenigen hellweißen Schäfchenwolken verborgen lag, erstrahlte es in einem goldenen Licht. Der Hase näherte sich fast ehrfürchtig dem Gebäude und blieb dann erneut stehen. Mit schiefgelegtem Kopf und aufgestellten Ohren schien er zu überlegen. Es war Zeit. Ein Ruck ging durch den kleinen Tierkörper. Er schien zu wachsen, sich zu dehnen, so, als wolle sich der Hase aus seinem Leib befreien. Immer größer bebte die Gestalt auf, immer höher wuchs sie bis... Schließlich ein junges Mädchen an dem Platz stand, an dem eben noch der helle Hase gesessen hatte. Das Mädchen trug ein weißes Kleid mit dünnen Trägern bei sich und zog es elegant über seinen schlanken Körper. Dann holte es ein rotes Halstuch hervor und knotete es um seinen zarten Hals. Es räusperte sich verhalten und schmunzelte dann. „Das ist es also.“ Maja fühlte sich sofort wie zu Hause. Das Gebäude schien eine Art Gelassenheit ausstrahlen, sodass sie ihre Schritte beschleunigte und auf das Haus zu rannte. Dabei lachte und kicherte sie und spürte so viel innere Freude und Ausgelassenheit, wie schon lange nicht mehr. An der hölzernen Tür, die übrigens ebenfalls leicht golden schimmerte, angelangt, klopfte Maja ohne Scheu. Einige Minuten geschah nichts, dann hörte das Mädchen Schritte den Gang entlang kommen. Die Tür wurde geöffnet und vor ihr stand eine gemütliche, alte Dame, Majas Großmutter. „Hallo Kleine! Schön, dass du mich endlich einmal besuchen kommst!“ Das Lächeln der Alten war warm und herzlich. Maja fiel ihr fröhlich um den Hals. „Oma!“ Dieser schlichte Ausdruck ließ ihr Herz vor Zuwendung glühen. Maja hätte ihrer Oma am liebsten gleich alle Neuigkeiten erzählt, ihr berichtet, dass sie wirklich ein eingetragener Animagus war und... ja. Und dass sie sich verliebt hatte. Aber ihre Oma zog sie erst einmal in das wunderbare Haus hinein. Maja schaute sich neugierig um und sog alle Eindrücke und Einzelheiten des Hauses tief in sich ein. Ihre Oma hatte ihr schon so viel von ihrem neuen Heim erzählt. Sie sagte, und Maja gelang sofort in Versuchung, es auszuprobieren, dass das Haus seine Farbe wechsle, wenn sich die Gefühlslage der Bewohner verändere. Maja beobachtete heimlich ihre Oma, als diese Tee für sie beide an richtete. Sie schien ziemlich zufrieden und glücklich mit sich selbst zu sein. Also hatte der goldene Schein, den Maja draußen vor dem Haus bemerkt hatte, etwas mit der fröhlichen Stimmung ihrer Großmutter zu tun! Maja hätte am liebsten laut aufgelacht, doch sie hielt sich zurück. „Eigentlich müsste man ausprobieren, was das Haus machen würde, wenn man traurig wäre. Oder entschlossen. Oder tapfer. Oder fleißig!“ So dachte Maja gerade, als ihre Oma eine Teetasse vor ihrer Nase abstellte. „So meine Kleine. Erzähl mal. Du bist eine Ravenclaw geworden? Ich bin so stolz auf dich.“ Maja nickte glücklich. Seit gut einem halben Jahr war sie nun schon in Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei, und seitdem hatte sie ihre Großmutter nicht mehr gesehen. Nun war es an der Zeit, ihr alles zu berichten, was sich seitdem bei ihr ereignet hatte. Maja legte los und ihre Oma hörte ihr interessiert zu. Die ganze Zeit, während Maja redete, hatte ihre Oma ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen und Maja fühlte sich ermutigt, weiter zu reden. „Und Oma, jetzt kommt das Beste! Ich bin eine Animagi!“ Majas Oma machte große Augen. „Ja! Ich kann mich in ein weißes Kaninchen verwandeln!“ Die Begeisterung sprach aus Maja. „Aber meine Liebe! So etwas können Erstklässler meines Erachtens noch gar nicht!“, sprach Majas Oma und schaute beinahe empört. „Ich weiß! Aber mir fällt es ganz leicht! Keiner sonst kann es.“ Maja war zufrieden mit sich selbst, doch da bemerkte sie überrascht, dass ihre Oma sich mit einem wissenden Lächeln erhoben hatte. Da war es an Maja, zu Staunen. In wenigen Sekunden war aus ihrer gemütlichen, lieben Omi ein wunderschöner großer Hase geworden, der sich gemütlich am linken Ohr kratzte. „Oma! Du bist ja auch eine Animagi!“ Die kleine Maja war ganz aus dem Häuschen. Als die Großmutter sich zurück verwandelt hatte, nicke sie lächelnd. „Es liegt dir im Blut, meine Kleine. Setze diese Gabe weise ein. Nicht jedes Zauberer-Kind kann von sich sagen, so etwas mit 11 Jahren schon zu können.“ Langsam nickte Maja. Für eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden ungleichen Frauen. Maja überlegte schon, wie sie ihrer Oma von Jonny erzählen sollte, Jonny, dem Jungen, der das erste Mal ihr Herz erobert hatte, da bemerkte sie, dass sich der Blick ihrer Oma verdunkelt hatte. Zwar lächelte sie noch, doch nun schaute sie mit einer Art Mitleid auf ihr Enkelkind hinab. „Maja. Ich muss dir etwas sagen.“ Diese schlichte Ankündigung beschwerte dem jungen Mädchen das Herz. Schon jetzt konnte sie spüren, dass ihre Oma sie nicht nur so zu sich eingeladen hatte. Trotz all der Wiedersehensfreude, trotz des wunderbaren neuen Hauses, trotz der Gemütlichkeit und Entspanntheit ihrer Oma, es lag etwas in der Luft. Die Blicke begegneten sich, der eine ebenso erwartungs- wie sorgenvoll, der andere mitleidig, fast entschuldigend, aber sehr sanft. „Ich werde sterben.“ Maja blieb mit einem Mal die Luft weg. Sie konnte nicht mehr atmen. Der Sauerstoff wollte einfach nicht mehr in ihre Lungen gehen. Sie griff sich an den zarten Hals und starrte ihre Oma an. „Maja. Es ist nichts. Ich bin einfach alt. So ist das nun mal ...“ Doch ihre Oma konnte nichts mehr sagen, was Maja hätte trösten können. Die Tränen traten ungehindert aus ihren glitzernden Augen und kullerten die weichen Wangen hinab auf ihr weißes Kleid. Kommentarlos zog die Großmutter ihr Enkelkind auf ihren Schoss, wiegte sie hin und her und begann leise ein Lied zu summen. Maja wimmerte und versuchte gar nicht erst, mit dem Weinen aufzuhören. Das, was ihre Oma gerade gesagt hatte, war einfach zu unfassbar, sie konnte es nicht verstehen. Eine Weile saßen die beiden so da, die Oma wiegte Maja und das Mädchen schniefte ungehalten weiter, bis plötzlich etwas Seltsames geschah. Das Haus verlor seinen goldenen Glanz. Es schimmerte nicht mehr so, wie wenn Sonne auf es scheinen würde.. Es wurde matt. Und es nahm einen tiefdunkelblauen Ton an. Die Wände glitzerten nicht mehr. Maja blickte aus feuchten Augen auf die Wände. „Oma... Dein Haus kann das wirklich.“ Die Großmutter nickte schweigend. Gemeinsam mit Maja beobachtete sie, wie sich auch die Treppe, die Stühle und sogar das Sofa leicht bläulich einfärbten. Da begann Majas Oma zu sprechen. „Meine Kleine. Ich möchte nicht, dass du traurig bist. Ich muss gehen. Jeder muss das einmal. Wenn nicht heute, dann in ein paar Jahren. Ich weiß, dass es zuerst kein großer Trost ist, aber nimm es bitte trotzdem an: Ich schenke dir mein Haus. Es wird dich beschützen und dir in dunklen Zeiten Freude bereiten. Und du wirst dich durch es immer mit Frohsinn an mich erinnern können.“ Die Großmutter gab Maja einen sanften Kuss auf ihr Haar. „Ich liebe dich, meine Kleine.“ Maja drückte sich eng an ihre Oma und schloss die Augen. Noch konnte sie es nicht akzeptieren. Und es würde noch lange dauern, bis sie es konnte. „Oma...“ „Ja, meine Kleine?“ „Wieso war das Haus als ich kam noch so bunt und leuchtend?“ Majas Stimme bebte und ihre Augen zeigten Unverständnis. „Du freust dich doch nicht, gehen zu müssen?“ Ihre Oma lachte leise auf. „Nein Maja. Ich freue mich nicht darauf, euch zu verlassen. Aber ich freue mich auf den Frieden. Das muss das Haus gespürt haben.“ Frieden. Dieses Wort war gut. Maja konnte verstehen, warum ihre Oma das wollte. Sie nickte und wischte sich tapfer die Tränen aus den schimmernden Augen. „Oma? ...kommst du mit auf die Wiese?“ Ihre Großmutter verstand sofort. Gemeinsam verwandelten sich die beiden in kleine, weiße Hasen und beeilten sich, nach draußen zu kommen. Die Sonne hatte sich erfolgreich durch die Schäfchenwolken gekämpft und erhellte nun die Welt um sie herum mit einem goldenen Licht. Auf der Wiese angelangt, die sich vor dem Haus ausbreitete, wie ein riesiges, grünes Bettlaken, rannten die Hasen los. Der Kleinere überholte bald den Größeren, schlug Haken und machte Wendungen. Der große Hase beobachtete den Kleinen zufrieden und versuchte nach einer Weile nicht mehr, mit ihm mit zu halten. Es war gut, so wie es war.