12. Getragen vom Wind - -
 Als die Drei ihre Augen wieder aufmachten, lagen sie einander in den Armen haltend wieder in der Höhle im Wald in ihrer Welt. Doch war es ihre Welt? Den Dreien kam es vor, als ob sie eine Weltreise gemacht hätten. Es war recht kühl, wie nach einem Sturm. „Sind wir wieder zurück?“, fragte Robin zaghaft. „Ich denke schon“, antwortete Chiris. Die drei Mädchen krochen aus der Höhle heraus. Rings um sie herum war der Wald immer noch halb verwüstet. „Hat mal jemand von euch auf die Uhr geschaut?“, fragte Alina nervös. „Du meine Güte, wir müssen uns beeilen, wir haben nicht mehr viel Zeit!“ Sie sprangen auf und packten in ihrer Hast alles zusammen, was sie brauchten, die drei Beutel in der kleinen Truhe und die Karte mit den Versen darauf. Dann rannten sie los. Immer im Zickzack zwischen den Bäumen lang. Es dauerte nicht lange, da sahen sie ihre Stadt. In höchster Eile flogen sie regelrecht zwischen den Bäumen dahin. Als sie in der Stadt ankamen, hatten sie das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben. Keiner rührte sich und nach Alinas Uhr zufolge, hatten sie nur noch fünf Minuten Zeit. Wie von selbst rannten sie zum Rathaus und bestiegen den Turm. Beinahe wäre Robin gestürzt, doch Chiris konnte sie gerade so noch festhalten. „Fünf Minuten noch“, keuchte Alina. Oben angekommen stürzten sie zu der kleinen Dachklappe, die auf das Dach hinaus führte. „Zwei Minuten noch“, schnaufte Robin, die gerade auf die Kirchturmuhr geschaut hatte. Die Drei streuten ihren Fantasiesand in den Wind, damit er sich über die ganze Stadt verteilen konnte. „Eine Minute noch“, sagte Alina, „los, wir müssen alle drei den Text vorlesen, weil wir drei, jeder einen Teil für sich, die Fantasie getragen haben.“ Wie ist mir? Eben noch in wohlig warmen Händen, nun schon auf zwei Beinen durch die Welt. Halte ich das Leben in meinen kleinen Händen? Es doch eines gibt, was noch wichtiger ist als Geld. Die Fantasie, die Traumblumen entstehen lässt, die den grauen Alltag bunt macht. Ein Zauber, der dem Kinde ein Lächeln ins Gesicht gebracht. Lasst uns der Hoffnung entgegensehen und uns schenken: Mut und Wagnisse und Ideen. Zurück, herbei, die Fantasie. Verlieren werdet ihr sie niemals, nie. Die Schriftrolle in ihren Händen löste sich zu Staub auf und dieser flog, getragen von den Händen des Windes, davon. Die Turmuhr schlug. Die Mädchen schauten von oben herab auf die Menschen, die aus ihrer Starre erwacht waren und, als ob nichts gewesen wäre, ihrer Arbeit weiter nachgingen. Erleichtert lachten die Drei auf und wollten wieder zur Dachklappe zurück, als Melian vor ihnen stand. Ein zufrieden lächelnder Melian. „Das habt ihr gut gemacht, ich bin stolz auf euch, doch jetzt muss ich schon wieder gehen. Meine Welt ist die Fantasie, und solange nur ein einziger Mensch an die Fantasie glaubt, gibt es auch mich: Herr der Fantasie, Wanderer der Welt, Vater der Ideen, Herr Melian von und zu Fantast. Verliert sie niemals, denn sie ist euer wichtigstes Gut. Auf Wiedersehen macht es gut. Wir sehen uns in euren Geschichten wieder. Hahahahahahahaha …“ Und schon war er weg. An seiner Stelle lagen drei Bücher da. Die Mädchen hoben sie auf. Ihre Seiten waren leer bis auf eine. „Lasst euch nicht aufhalten, eurer Fantasie freien Lauf zu lassen. Sie ist das Kostbarste, was die Menschheit besitzt.“