noire_la_louvre aus Hufflepuff - ---
Das Bild wurde gezeichnet von Shandris  „Das ist so ungerecht!“, brach es aus dem Jungen heraus, der in der Mitte der kleinen Küche stand. „Ich will in diese Schule, von der Mama immer erzählt! Ich will, ich will, ich will!“ In seinen grünen Augen mit den schwarzen Wimpern standen Tränen des Zorns. Der Vater griff nach der Hand des Zwölfjährigen und zog ihn auf seinen Schoß. Die Küchenuhr tickte gleichmäßig vor sich hin, in den Sonnenstrahlen, die durchs Fenster hereinschienen, tanzten kleine Staubkörner und der große Mann mit den haselnussbraunen Haaren hielt den Jungen fest im Arm. Seine Hand streichelte immer wieder über den kleinen Kopf, während er seinen Sohn sanft hin und her wiegte. Hilflos starrte er aus dem Fenster, auf den hübschen, grünen Hang gegenüber. Seine Augen folgten der Kuh, die grasend im rechten Rand des hellen Vierecks erschienen war und nun langsam zum linken Rand wieder hinauswanderte. Das sanfte, regelmäßige Bimmeln der Glocke drang nur leise in die Küche und vermischte sich mit dem Ticken der Uhr und den kleinen, unterdrückten Schluchzern des Jungen. „Ich weiß …“, sagte der Vater schließlich. „Ich weiß.“ „Das ist ungerecht!“, schluchzte das Kind. „Das ist gemein! Mama mochte Esther immer schon lieber als mich, schon als sie das erste Mal diese blöde Kaffeetasse grün gemacht hat! Und jetzt kriegt sie auch noch diesen dummen Brief und geht nach dem Urlaub weg, und ich muss wieder in diese Muggelschule mit den ganzen Idioten und lerne nie zaubern …“ Tränen liefen an seinen Wangen hinunter. „Ich will auch mal was Besonderes sein, ich will auch mal eine Eule kriegen und einen Zauberstab und mit Umhang in die Schule gehen! Ich will auch mal von Mama auf dem Besen mitgenommen werden wie Esther! Nur, weil sie zaubern kann …“ Simon wiegte seinen Sohn hin und her und schwieg. Schon lange hatte er darüber nachgedacht, dass er dieses Gespräch wohl einmal führen müsste, hatte die Verzweiflung seines Sohns gesehen, hatte ihn immer so sehr verstanden! Doch schon in seiner Vorstellung hatte er nie gewusst, wie er es ihm würde erklären können, wie er ihm diesen Schmerz würde nehmen können. Und nun saß er da, starrte die braun-weiß gefleckte Kuh auf dem Hang gegenüber an und schwieg. „Mama hat Esther nicht lieber, nur weil sie zaubern kann“, sagte er schließlich schwach. Er wusste, dass es eine Lüge war. Gerade in diesem Moment war sie wieder unterwegs, seine geliebte Natalie, und führte ihre Tochter an der Hand durch die Berge. Sie würden über Bäche springen, die eigentlich viel zu breit waren, und sie würden Blumen zum Blühen bringen und sie würden lachen und scherzen und den Brief feiern, der gestern Abend per Eule eingetroffen war. Sehr geehrte Esther Douglas, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind. Beigelegt finden Sie eine Liste aller benötigten Bücher und Ausrüstungsgegenstände. Das Schuljahr beginnt am 1. September. Wir erwarten ihre Eule spätestens am 31. Juli. Mit freundlichen Grüßen Stellvertretende Schulleiterin Minerva McGonagall Das Pergament mit der grünen Tinte stand auf dem Kaminsims, liebevoll zusammengefaltet in diesem Umschlag, pünktlich zu Esthers elftem Geburtstag eingeflogen. Natürlich war es eine Lüge, dass Natalie ihren Sohn genauso gern hatte wie ihre Tochter, und das wussten sie beide. Traurig nahm Simon seinen Jungen bei den Schultern, hielt ihn ein bisschen ab von sich und schaute ihm in die verweinten Augen. Oh ja, es waren die Augen seiner Frau, in die er da schaute, diese grünen, leuchtenden Augen. Doch Magie schlief nicht hinter ihnen, er war ein ganz normaler Muggel, so wie sein Vater. „Weißt du“, brachte er schließlich mühsam heraus, „Mama hat Esther wohl sehr gern, weil sie eine Hexe ist. Doch Mama hat mich geheiratet und sie hat mich auch ganz furchtbar lieb, obwohl ich ein dummer Muggel bin. Und sie hat auch dich sehr lieb. Ich glaube, sie zeigt es nur einfach ein bisschen weniger.“ Er ignorierte den ungläubigen Blick des Jungen. Verdenken konnte er ihm das nicht, schließlich war er sich selbst nicht so ganz sicher, ob das, was er sagte, wirklich stimmte. Doch irgendwie musste er weitermachen. „Was meinst du, bald ist September, dann bringen wir deine Schwester zu der roten Lokomotive auf Gleis 9 ¾ und dann sind wir ganz allein, Mama, du und ich. Und dann gehen wir zuerst mal ein großes Stück Kuchen essen und heißen Kakao trinken und machen uns ein schönes Leben, bis du wieder in die Muggelschule gehst.“ Der Junge zog die Nase hoch und sah seinen Vater stumm an. Die Uhr tickte, die Kuhglocke bimmelte und die Sonne schien warm und freundlich zum Fenster herein. „Papa?“, fragte er schließlich leise. „Ja?“ „Können wir auch ohne Mama zum Kuchen essen gehen?“ „Nur wir Männer, meinst du? Nur die Muggel der Familie?“ Simon brachte ein Lächeln zustande. „Aber natürlich! Wir könnten auch jetzt etwas alleine unternehmen, anstatt hier rumzusitzen, was meinst du? Ich habe hier einmal etwas entdeckt, das habe ich noch niemandem gesagt. Und das zeige ich jetzt nur dir. Einverstanden?“ In den Augen des Knaben blitzte es auf. „Was denn?“ „Das zeige ich dir, wenn wir dort sind. Auf, zieh deine Schuhe an, dann sind wir weg, bevor die Frauen heimkommen!“

***

Der Abend war gekommen und über dem Berggipfel gegenüber leuchtete der Himmel noch ein bisschen rot. Mit einem Schwung ihres Zauberstabs deckte Natalie den Tisch, Teller, Gläser und Besteck fanden ihren Platz ganz von alleine. Esther widmete sich ihrer Lieblingsbeschäftigung: Reden. Sie erzählte, ohne Punkt und Komma, was sie diesen Tag über erlebt hatte, was sie gesehen hatten, Mama und sie, sprach von einem kleinen Gnom, den sie hinter einem Baum vorspitzen hatte sehen, von einem Niffler, den sie entdeckt haben wollte, und schließlich sogar von einem Einhorn, das sie angeblich gestreichelt hatte. Wie immer kam niemand anders dazu, etwas zu sagen, doch heute war etwas anders am Tisch: Patrick starrte nicht wie üblich auf seinen Teller, stocherte nicht lustlos in seinem Essen und versuchte nicht wie sonst, die Worte seiner Schwester zu überhören. Heute machte er sich über den Braten her, aß zum ersten Mal in seinem Leben eine ganze Schüssel Salat, ohne zu murren, und lächelte dabei stumm in sich hinein. Die Mutter bemerkte das nicht, ihre strahlenden Augen hingen an der Tochter und leuchteten stolz. Nur der Vater bemerkte es und war glücklich. Er hatte es also geschafft, seinem Sohn eine würdige Alternative zum Zaubern zu geben. Und außerdem hatte er wohl sogar einen Freund in ihm gewonnen, mit dem er sein kleines großes Geheimnis in den nächsten zwei Wochen teilen konnte …

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„Patrick, willst du nicht mitkommen und dir das Einhorn anschauen?“, fragte Esther. „Nein.“ „Ach Patrick, komm doch mit!“ „Ist doch eh bloß ein Pferd, dein Einhorn, du willst doch nur angeben.“ „Stimmt doch gar nicht! Ganz weiß war es und ein Horn hatte es auf er Stirn!“ „Das war doch Mama, die hat dem Pferd das Horn hingehext, wo du grad nicht hingeschaut hast.“ „Stimmt überhaupt nicht!!!“, brüllte Esther. „Stimmt wohl. Außerdem geh ich mit Papa woanders hin heute.“ Die Schwester horchte auf. „Wohin?“ Doch diesmal hatte sie keinen Erfolg bei ihrem Bruder und eine halbe Stunde später geschah es das erste Mal, dass sie nicht begeistert und überlegen, sondern schmollend und widerwillig an der Hand ihrer Mutter den Berg hinunter lief. Simon und sein Sohn sahen den beiden Frauen nach und lächelten zufrieden. „Siehst du?“, grinste der Vater. „Wir können auch zaubern. Ich hab deine Schwester noch nie so verwandelt gesehen!“ Patrick kicherte. Dann wurde er ernst und sah zu seinem Vater hoch. „Papa?“ „Hm?“ „Danke.“ „Ich muss mich bei dir bedanken, mein Sohn!“ Stumm umarmten sich die beiden, mit dem Einverständnis derer, die ein gemeinsames Geheimnis haben und endlich Freunde geworden sind.

***

Die rote Dampflokomotive rauchte und dampfte. Die Familie stand eng zusammengedrängt inmitten vieler Koffer, Menschen, Käfige, Kater und Kröten. Esther klammerte sich nun schon seit Stunden an die Hand ihrer Mutter, den schweren Gepäckwagen hatte Patrick geschoben. Ganz entgegen seiner Gewohnheit hatte das Mädchen schließlich sogar aufgehört zu sprechen und blickte nur noch stumm und bleich um sich. Als sich der Bahnsteig allmählich leerte und Natalie ihre Tochter vorsichtig fragte, ob sie nicht allmählich in den Zug steigen wollte, fiel der Blick des Mädchens auf ihren Bruder. „Schreibst du mir?“, fragte sie leise. „Bitte, bitte, schreib mir und schick mir ein Foto von eurer Höhle! Aus dem Urlaub. Von mir aus auch ein Muggelfoto, es muss sich ja nicht bewegen!“ Patrick war sprachlos. Die letzten beiden Wochen in den französischen Alpen hatte er damit verbracht, mit seinem Vater zusammen die Wände der Höhle anzumalen, die der entdeckt hatte. Die ganze Zeit hatten sie das Geheimnis sorgsam gehütet und die heimliche Freude darüber geteilt. Erst am letzten Abend hatten Vater und Sohn die Frauen den grünen Hügelkamm hinuntergeführt und ihnen die Augenbinden erst in der Höhle abgenommen. Die Kerzen im Dunkeln hatten ihr flackerndes Licht auf die Wände geworfen und die Figuren aus Farbe und Pinselstrich hatten den Eindruck erweckt, lebendig zu sein. Verzaubert hatten Mutter und Tochter dort gestanden und nichts mehr zu sagen gewusst. Der stolze Blick und die Umarmung seiner Mutter waren der schönste Lohn für seine tagelangen Mühen gewesen. Und nun stand die ganze Familie auf dem Bahnsteig von Gleich 9 ¾ und Esther fragte nach einem Muggelfoto von der Höhlenwand. Zum ersten Mal seit seinem vierten Lebensjahr hatte er das Gefühl, ein großer Bruder für Esther zu sein, jemand, zu dem sie aufschaute und den sie bewunderte weil er etwas konnte, das sie nicht konnte. Überwältigt und stolz nickte er. „Klar kriegst du ein Foto von mir und einen Brief schreib ich dir auch!“ Das nächste, woran er sich erinnern konnte, waren die Arme der Schwester, die sich um seinen Hals geworfen hatte, das schniefende Geräusch eines unsicheren, weinenden Mädchens an seiner Schulter und die strahlenden Augen der Mutter, die er durch Esthers dicke Locken erkennen konnte.