Kapitel 8 -
„Da bist du ja endlich!“ Meine Tante kreischte fast, als sie mich sah. „Was fällt dir ein, ich habe mir solche Sorgen gemacht! Die Polizei hat mir nicht zugehört, ich wollte dich schon suchen lassen! Kind, machst du mir einen Ärger.“ „Das tut mir leid.“ Mehr fiel mir nicht ein. Robin hatte mir eingeschärft nichts zu sagen, selbst wenn, würde mir keiner Glauben. Ich hatte sowieso nicht vor, ihn zu verraten. Aber sagen wo ich war, musste ich wohl. Ich fing an mir eine Halbwahrheit zusammen zu basteln. „Ich bin heute früh in den Wald, da habe ich die Zeit vergessen. Plötzlich war ich mitten im Wald und wusste nicht mehr wo es zurück ging. Da habe ich das Haus der Robsons entdeckt und habe mich nach dem Weg erkundigt. Sie waren ganz nett und da habe ich mich etwas bei ihnen aufgewärmt. Sie haben einen Sohn in meinem Alter, der scheint ganz ok.“ Am liebsten hätte ich nett, wunderbar, perfekt oder so gesagt, hielt es aber gerade so noch bei mir. Meine Tante schwieg entgeistert. „Du weißt, dass ich nichts gegen die Familie habe, jedoch kann ich nicht garantieren, dass sie harmlos sind. Sag das nächste Mal Bescheid. Du hättest mich auch anrufen können!“ „Ich weiß, tut mir leid. Darf ich die Robsons denn morgen wieder besuchen? Sie haben mich eingeladen.“ Das musste ich jetzt sagen, sonst wäre morgen wieder das gleiche Theater. „Was?!?“, sie starrte mich entsetzt an, „Wer von denen hat dich eingeladen? Das sind doch Fremde!“ Und noch ein bisschen mehr der Wahrheit: „Ich habe Robin, so heißt ihr Sohn, schon letztens im Dorf getroffen, daher war er mir auch heute nicht fremd. Wir haben schon mal geredet, wenn du es so hören willst. Und heute waren die alle ganz lieb zu mir, als ich da verirrt und orientierungslos ankam. Bitte, Tante!“ Sie schien immer noch nicht ganz überzeugt, aber sie erlaubte es mir dann doch. Heute Abend verabschiedete ich mich schon früh und ging ins Bett. Erst, als ich im dunklen Zimmer saß und nach draußen in die Sterne schaute, wurde mir klar, dass ich heute Zauberer kennen gelernt hatte, ich fast von einem Drachen getötet worden wäre und Robin und ich scheinbar zusammen waren. Wow. Das war viel zum Verkraften, doch ich hatte keine Angst. Mit einem Lächeln im Gesicht schlief ich nach Mitternacht ein. Das Frühstück schlang ich in Spitzengeschwindigkeit herunter, ganz zur Verwunderung meiner Tante. „Hast es wohl eilig“, betonte sie immer wieder altklug. Soll sie doch denken, was sie will, dachte ich, und als ich um Punkt Zehn die Haustür aufmachte, stand Rob schon in der Auffahrt. Meine Tante stand am Küchenfenster und beobachtete uns versteckt und schreckte zurück, als ich ihr offen zuwinkte. Das fanden Rob und ich beide sehr lustig und liefen lachend zum Feldweg, der zu seinem Haus führte. Als wir den Weg erreicht hatten, fasste er nach meiner Hand und so gingen wir Händchen haltend dahin. Die Schmetterlinge in meinem Bauch flatterten wild umher, trotzdem wollte ich die Bekanntschaft mit einem jungen Zauberer nutzen und quetschte ihn weiter aus. Ich erfuhr etwas über die magischen Wesen, über seine Familie und viele Kleinigkeiten, die eine wunderbare magische Welt nun mal ausmachten. Das Haus von ihm hatte ich gestern gar nicht richtig wahrgenommen. Es war schief und viele Anbauten führten von ihm weg, den einen erkannte ich als Hühnerstall, den anderen als Schuppen. Der Garten war groß und wild und nach Robins Infos ging das Grundstück den ganzen Hügel hinauf, mit dem Wald und der Apfelbaumwiese dahinter, wo ich ihn gestern auf dem Besen gesehen hatte. „Denk daran, dass du Amelie bist“, raunte er mir noch zu bevor wir das Haus betraten. Ich hatte wirklich gar nichts gestern wahrgenommen! Man betrat einen langen Flur, der hinten in einem schmuddeligen Wohnzimmer endete. Rechts war hinter einem kleinen Tresen eine schöne, altmodische Küche und links ging eine Wendeltreppe hinauf. Doch das Erschreckendste waren die ganzen unbekannten Dinge. In der Spüle schrubbte sich das Geschirr tatsächlich von alleine, im Flur war ein großer Kamin, der noch irgendeine Bedeutung haben musste („Flohpulver“, flüstere Rob mir zu, „damit reist du durch die Kamine.“), die Bilder bewegten sich und seltsame Gegenstände lagen herum. Mit einem lauten Knall flog ein Mädchen mit dunkelbraunen langen Haaren auf einem Besen die Treppe runter. Sie hatte grüne Augen und sah ziemlich, nun ja, ein freundlicher Mix aus frech und cool. „Hallo Ma-Amelie“, rief sie mir gut gelaunt zu und landete gekonnt vor mir. Sie fing meinen verdatterten Blick auf und erklärte leise: „Als einziges weibliches Wesen unter vierzig in diesem Haus hat Robbilein mir schon alles über dich erzählt. Ich finde das echt spannend mit der Lüge wegen dem Squib. Übrigens bist du der erste Muggel, den ich kenne. Seit Robbi dich kennengelernt hat, muss ich ihn jeden Tag ertragen“, sie rollte mit den Augen, „ >was soll ich nur tun, sie ist doch ein Muggel< oder >sie sieht so toll aus, aber ich weiß gar nicht ob sie mich beachte- Autsch!“ Robin hatte sie grob geboxt und war rot bis über beide Ohren. Ich wurde auch rot und musste heftig lachen. Das war also Lilly, seine “große“ sechzehnjährige Schwester, der Knallkopf der Familie, wie er sie so schön nannte. Wenn sie mit der Schule fertig war, wollte sie unbedingt in so einen Zauberscherzartikelladen arbeiten, dessen Namen ich wieder vergessen hatte. Aber sogar Rob meinte, dass dieser Laden sehr berühmt wär. Da betrat eine kleine, rundliche Hexe den Raum. „Lilly, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht im Haus fliegen sollst!“, rief sie ihrer Tochter zu, dann sah sie mich. „Du musst Amelie sein“, stellte sie mit einer warmen, mütterlichen Stimme fest, „mein Mann hat mir gestern von dir erzählt. Entschuldige das Missverständnis gestern.“ „Nein, nein, das war doch kein Problem. Und danke, dass ich sie heute besuchen darf“, versuchte ich es so höflich wie möglich. „Aber das ist doch nicht der Rede wert!“, meinte sie entrüstet, „übrigens viele Grüße von meinem Mann. Er arbeitet heute.“ Von den Stimmen angelockt, betrat Robert den Raum. Er war neunzehn und seit fast zwei Jahren mit der Schule fertig, hatte Robin mir erklärt. Ich musterte den jungen Mann, nicht sicher, ob ich ihn mochte. Rob hatte mir von den vier verschiedenen Häusern aus Hogwarts erzählt und deren Eigenschaften. Ich war ziemlich neidisch gewesen. In der Schule zu wohnen mit seinen Mitschülern, wie in einer WG oder einer großen Familie - Ich fand die Vorstellung herrlich. Jedenfalls war Robert in Ravenclaw, in dem vor allem Intelligenz zählte, wie Rob sagte. Er war in Hufflepuff, doch schien nicht besonders stolz drauf. „Da wird jeder aufgenommen“, hatte er mir erklärt, „es gibt keine besondere Qualitäten, die derjenige haben muss. Daher wird es oft etwas belächelt.“ Dabei hatte er selber ziemlich schief (und ziemlich süß) gelächelt. „Hauptsache man ist loyal und freundlich und hat den Willen viel zu lernen. Naja, eigentlich ist es bei mir ziemlich cool, alle sind total nett, wir sind schon sowas wie eine große, glückliche Familie.“ Ich habe ihm darauf versichert, dass sich das alles andere als uncool anhört. Lilly war in Gryffindor, das Traumhaus vieler Erstklässler, laut Robin, wohin nur die Mutigsten aller Schüler kamen und das auch viele Berühmtheiten hervor gebracht hatte. Damit waren die drei Kinder in drei verschiedenen Häusern. Das einzige Problem, was die Familie hatte, dass sie vermuteten, dass ihr viertes Kind auch in das vierte Haus kam. Und davon wäre die Familie nicht begeistert, Robin übrigens auch nicht. Ihre Qualitäten waren Stolz auf ihre magische Abstammung (sie waren stark muggelfeindlich), List und Ehrgeiz. Ich hatte Rob gesagt, dass sich das gar nicht soo schlimm anhörte, doch er erwiderte, dass die meisten Schwarzmagier, die Bösen, daher kämen. Darauf hatte ich gefragt, ob das denn auf seinen Bruder auch nur annähernd zu treffen würde, und er meinte, wenn man mit zehn Jahren ‚Regenwürmer zermatschen‘ spielte und „versuch den Ghul mit Steinen zu bewerfen, bis er heult“ oder „Leg Mäusefallen unter die Betten und warte auf die Schreie“ spielte, wäre das schon nicht sehr nett. Dazu hatte ich lieber nichts mehr gesagt. Trotzdem fand ich diese Häuser alle toll, am liebsten wäre ich in einem, egal in welchem, statt in meiner staubigen, langweiligen Schule, wo man Grammatik und so ein unnützes Zeug aufsaugen musste. Eine zufallende Tür holte mich zurück in die Wirklichkeit. Ronald, der kleine Bruder der dieses Jahr nach Hogwarts kam, hatte das Zimmer betreten. Er war klein, hatte auch dunkelbraune Haare, nur seine Augen waren eher blau-grau. Ich mochte ihn trotzdem auf Anhieb. Er lächelte mir zu, flüsterte seiner Mutter was in Ohr und flitzte nach draußen. Mrs Robson schüttelte besorgt den Kopf. „Hoffentlich stellt er nicht wieder was an. Letztes Mal, als er im Dorf war, wäre er fast von einem Stier überrannt worden, den er dummerweise provoziert hat.“ Ihr Blick fiel auf einen großen Wecker, der links auf einem Regal stand. Statt den drei Zeigern waren sechs, einen für jeden aus der Familie, angebracht. Wo auf einer normalen Uhr die Zahlen standen, standen hier Sprüche wie auf Arbeit, Zuhause, Hogwarts, in Schwierigkeiten, in tödlicher Gefahr, Unterwegs und viele weitere. Ronalds stand gerade auf unterwegs. Als Robin mein Interesse für die Uhr bemerkte, meinte er: „Die ist recht praktisch. Mum macht sich mit der viel weniger Sorgen. Hätten natürlich am liebsten eine Standuhr gehabt, war aber zu teuer. Komm, wir gehen in mein Zimmer.“ Damit zog er mich aus dem belebten Wohnzimmer, die Treppe hinauf, in ein kleines Zimmer mit Blick auf die Hügel. An den Wänden hingen bewegliche Poster von Menschen auf Besen, seltsame Geräte standen in den Ecken, Bücher mit Titeln wie „Alle Quidditchfouls und Tricks“, ein Buch, was ziemlich scheinheilig in der Sonne glitzerte, waren im Regal und ein großes Schachbrett stand in der Ecke. Den Rest des Tages verbrachten wir in seinem Haus, wir (und hauptsächlich er) erzählten uns viel, er zeigte mir Zauberschach, wir aßen alle zusammen ein seltsames Gericht, was aber total lecker schmeckte, und ich verplapperte mich kein Mal. Gegen späten Nachmittag begleite mich Robin nach Hause, so früh, dass ich Angst hatte, dass meine Tante sich Sorgen machen könnte. Doch als wir ankamen, war der Kaffeetisch gedeckt und zwar für drei Personen. Bei warmem Kakao und Kuchen wurde auch meine Tante weich, sie fand, Robin wär ein „netter, höflicher Junge“. Was konnte ich mir da noch wünschen? Zufrieden ging ich ins Bett. Die Ferien hätten gar nicht besser sein können!