Kapitel 7 -
Das Nächste, was ich sah, war Robins Gesicht, das besorgt über mir schwebte. Ich war nicht mehr auf der Wiese, sondern ich lag auf einem ungemütlichen Sofa. Als er sah, dass ich wach war, lächelte er zaghaft. Ich setzte mich auf. „Wo bin ich?“, fragte ich leise. „Bei mir zu Hause. Keine Sorge, der Drachen wurde eingefangen. Wie haben jetzt nur ein anderes Problem.“ Ich sah mich um. Nichts sah besonders nach einem Problem aus. Da hörte ich Schritte vor der Tür. „Hör zu“, fuhr Robin mich energisch an, „du bist ein Squib aus dem Dorf. Und du bist auf-keinen-Fall ein Muggel. Verstanden?“ Ich kannte weder das Wort „Squib“ noch das Wort „Muggel“, obwohl ich es heute schon einmal gehört hatte. Überhaupt verstand ich seine Gereiztheit nicht. Eines hatte ich aber gemerkt: Es war alles nicht so, wie es schien. Ich hatte heute einen Drachen gesehen und einen fliegenden Besen. Ich war da in etwas rein geraten, was man wohl „magische Welt“ nennt. Soviel wusste ich, aber das war nicht viel. Bevor ich etwas fragen konnte oder Robin noch etwas hätte sagen können, wurde die Tür aufgestoßen und die beiden Männer von vorhin betraten in Begleitung von zwei anderen den Raum. „Das Gedächtnisveränderungsteam“, stellte der ältere Mann, den ich für einen Förster gehalten hatte, vor. Robin setzte eine unschuldige Miene auf. „Wessen Gedächtnis wollen die denn verändern, Dad?“ Ich schluckte. Gedächtnis verändern? Das klang gar nicht gut. „Natürlich das der jungen Dame!“, sagte der eine Mann barsch, „Sie hat einen Drachen sowie einen fliegenden Besen gesehen. Das verstößt gegen das Geheimhaltungsgesetz.“ Robin lachte künstlich auf. „Achso! Aber da muss ich sie leider enttäuschen. Das hier ist die Squib Amelie Brownston und ich denke nicht, dass sie ihr Gedächtnis verändern müssen. Sie weiß schließlich über alles Bescheid.“ Die beiden fremden Männer zogen die Brauen hoch. „Na, davon bin ich aber nicht überzeugt. Aber lass die Kleine mal selber reden. Wie heißt du?“ Nun schaute er mich geradewegs an. „Amelie Brownston“, wiederholte ich und versuchte es selbstverständlich klingen zu lassen. „Aha. Und woher kommst du?“ Ich schielte zu Robin hinüber. Er machte kurz ein ratloses Gesicht. Super. Dann blieb mir wohl nichts anderes über. „Ich wohne zurzeit im Dorf bei meiner Tante. Sie weiß aber nicht“, ich schluckte, „dass ich ein Squib bin.“ War das richtig gewesen? Scheinbar schon. Der eine Mann meinte nun: „Also ist deine Tante eine Hexe? Ich weiß nichts über andere Hexen und Zauberer hier in der Gegend. Machst du bei ihr Ferien?“ Jetzt verstand ich. Drachen. Fliegende Besen. (Zauber)stäbe. Hexen und Zauberer. Robin war ein Zauberer. Ich hatte das Gefühl, ich würde gleich wieder in Ohnmacht kippen, doch ich riss mich zusammen und setzte schnell einen halbwegs gescheiten Satz zusammen. „Nein, ist sie nicht. Und sie weiß auch von alle dem nichts. Ich besuche sie nur über die Ferien.“ Der eine Zauberer nickte dem anderen zu und verließ das Haus. Der andere war friedlicher gestimmt. „Dann weißt du wohl auch nicht, was passiert ist. Beim lang geplanten Drachentransport ist ein Unfall passiert. Die Folgen dieses Unfalls hast du ja miterlebt. Eine alte, kranke Drachendame ist dabei geflüchtet. Sie wurde immer wieder gesichtet und heute Morgen wurde die Leiche eines Muggels hier in der Gegend entdeckt. Es sah ganz nach einem Drachen aus. Deswegen haben wie hier die Wälder durchkämmen lassen. Sie ist alt und sehr reizbar, jedoch nicht mehr sonderlich schlau und flink.“ Den meisten Teil verstand ich, doch langsam wollte ich gerne mal wissen, was ein Muggel war, außerdem hatte ich den Teil mit `Folgen des Unfall´ nicht verstanden. Schnell nickte ich, hoffentlich verschwanden diese Typen bald. Da kam der andere Mann wieder herein. „Es gibt eine Amelie Brownston, ein Squib aus der Nähe von London. Aber das ist doch egal! Wenn wir nicht sofort weitermachen, sind wir gefeuert!“ „Okay, okay, wir verschwinden hier. Wir haben noch zu tun“, meinte sein Kollege und die beiden verschwanden ohne weitere Worte. Robin entspannte sich neben mir endlich. „Dad, Robert, ich bring Amelie besser nach Hause. Es ist schon spät.“ Robins Dad stand auf, verabschiedete sich freundlich und lud mich sogar ein, morgen vorbei zukommen. Ich verstand die Welt nicht mehr. Rob stand auf und ging zu Tür, ich folgte ihm auf wackeligen Beinen. Erst als wir einen großen Abstand zu Hütte hatten, fragte ich leise: „Was ist ein Muggel?“ „Du bist ein Muggel. Ein normaler Mensch ohne magische Kräfte.“ Das war zu viel für mich. Ich krümmte mich und erbrach ins hohe Gras. Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Alles wird gut“, flüsterte er, „alles wird gut.“ Als ich fertig war, legte er einen Arm um die Hüfte und führte mich auf einem kleinen Pfad, der Richtung Dorf führte. Trotz der vielen Fragen in meinem Kopf, war ich für einen Moment zufrieden. „Willst du denn gar nicht wissen, was los ist?“, fragte er mich dann doch verwundert. Ich nickte, meinen Mund wollte ich lieber zulassen. „Wie du vielleicht schon gemerkt hast, ist nicht alles so, wie es scheint“, begann er zu erzählen, „Es gibt uns Zauberer und Hexen, sowie Tiere und Pflanzen, die du noch nie gesehen hast.“ Er betrachtete mich vorsichtig von der Seite, als ob er erwartete, dass ich davon lief. „Du kannst zaubern“, stellte ich schwach fest, mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn. „Ja, meine ganze Familie kann zaubern. Meine Eltern, mein Bruder Robert, den du schon kennst, meine Schwester Lilly und mein anderer Bruder Ronald. Nur meine Großeltern nicht, meine Mutter ist muggelstämmig. Also stammen von Muggeln ab. Und mein Vater ist so fasziniert von Muggeln, am liebsten wäre er auch einer.“ „Das geht? Mit von Muggel abstammen?“, fragte ich erstaunt. Es gab so viel, was ich wissen wollte. „Ja, das geht“, antwortete er mir, „Aber ich sollte dir wohl erst einmal erklären, was heute passiert ist. Mehr als die Männer dir eben erzählt haben, weiß ich auch nicht. Es war da aber ganz bestimmt mehr als ein Unfall, und so ein großer Sturm wurde erzeugt. Ich bin davon überzeugt, dass sie angegriffen wurden. Jedenfalls gibt es da eine Geheimhaltungsgesetz, was Muggel betrifft.“ „Deswegen habe ich noch nie Zauberer gesehen“, grummelte ich beleidigt. Er beachtete mich nicht und fuhr fort: „Ich wusste, dass sie deine Gedanken verändern wollten, damit du alles vergisst. Aber ich war eigentlich ganz froh, als ich dich eben sah.“ Ich schaute ihn verdutzt an und er wurde rot und stotterte: „Naja. Also. Ich. Weißt du, ich fühle mich. Sozusagen, angezogen zu dir. So.“ Ich kicherte und nun war es an mir rot zu werden. „Und weißt du, mein innerer Idiot wollte einfach, dass du dich erinnern kannst. Da habe ich den Männern, die sich um dich kümmern sollten, etwas Vergesslichkeitssirup in den Tee getan. Die beiden sind sowieso die schusseligsten, blödesten Typen des ganzen Ministeriums, daher hatte ich mir kleine Hoffnungen gemacht. Bei jedem anderen hätte das nicht geklappt. Und da mein Dad ihnen sowieso unseren hausgemachten Tee angeboten hat, habe ich die Gelegenheit genutzt. Jedenfalls ist das ziemliches Glück, dass du dich jetzt noch dran erinnern kannst. Warum mir das so wichtig ist, verstehe ich selber nicht. Außerdem“, er wurde rot, „habe ich heute Morgen Felix Felicis genommen. Ein Glückstrank. Einfach so. Lilly hat gesagt, ich soll es einfach mal probieren.“ Er brach ab. „Aber was ich seltsam finde, du sahst gar nicht überrascht aus, als der Drache hinter dir auftauchte. Über meinen Anblick warst du erschrockener.“ Er lachte, aber nicht lange, denn ich erzählte ihm bruchstückhaft meine Geschichte. Ich sagte nicht, dass ich ihn gesucht hatte, auch nicht, dass ich am Boden zerstört gewesen war. Entsetzt starrte er mich an. „Ich glaube, noch nie hat ein Muggel einen Drachen überlebt. Schon gar keinen Drachenangriff.“ Er schmunzelte. „Aber mein Vater als Förster ist eine lustige Vorstellung.“ Ich zuckte mit den Schultern. Meinetwegen war ich der Erste, der einen Drachenangriff überlebt hatte. Mir doch egal. Ich hatte tausend Fragen im Kopf, doch ich genoss das Schweigen, das sich zwischen uns ausgebreitet hatte. Ich war sicher genug um selbstständig zu laufen, also machte ich mich von ihm los, griff aber dafür nach seiner Hand. So gingen wir auf schmalen Pfaden dahin, bis man die Lichter des Dorfes sehen konnte. Eine Frage musste ich unbedingt loswerden. „Wenn du zaubern kannst, warum hast du den Drachen nicht einfach verschwinden lassen oder so?“ „Erstens, ein minderjähriger Zauberer darf nicht in den Ferien zaubern. Bei uns in der Familie sperrt meine Mutter immer vor den Ferien unserer Zauberstäbe weg, damit wie auch ja ohne sie auskommen. Zum einem ist sie ja bei Muggel aufgewachsen und findet es wichtig, dass wir ohne Magie leben können und anderseits hat von ihrer Freundin der Sohn in den Ferien gezaubert, man hat ihm verboten nach Hogwarts zurück zu kehren. Außerdem hätte ich gar nicht gewusst, wie ich den Drachen wirksam bekämpfen könnte und verschwinden lassen ist nicht so einfach, wie sich das anhört. Für mich sogar unmöglich.“ „Und was ist Hogwarts?“, fragte ich. Fragen über Fragen und es wurden immer noch mehr. „Das ist unsere Zauberschule. Ein Art Internat, wo wir in der Schulzeit auch leben. Man geht sieben Jahre zu Schule, dann lernt man einen Beruf. Ich komme jetzt in die fünfte Klasse.“ So ging es immer weiter. Er erzählte mir was, bei mir kamen neue Fragen auf und immer so weiter. Dadurch erfuhr ich, wie Hogwarts aussah, erfuhr etwas über die Schulfächer, meiner Meinung viel interessanter als meine, über ein Dorf namens Hogsmead, die Winkelgasse, verschiedene Zauberer und Hexen, sowie Freunde von ihm. Er glaubte, dass der Drachentransport angegriffen wurde und erzählte mir von schwarzen Zeiten in der Geschichte der Zauberer. Von einem dunklen Lord und vielen Toten vor Zehn Jahren. Er versicherte mir, dass es diese Leute nicht mehr gab, zumindest nicht in so einer mächtigen Gruppe, doch er erzählte mir von jungen Leuten, die mit dem Zauberministerium nicht zufrieden waren und seiner Meinung nach waren die auch für das Unwetter verantwortlich. Darauf musste er mir erst mal erklären, was das Zaubereiministerium war. Als wir das Dorf erreicht hatten, blieben wir noch etwas am Rande stehen und spielte weiter unser Frage-Antwort-Spiel. Er erklärte mich auch, dass seine Eltern nicht sehr begeistert wären, wenn sie erführen, dass ich ein Muggel wäre und ich weiterhin das Squib Amelie Brownston sein soll. So erfuhr ich auch, dass ich sie morgen wirklich besuchen dürfte, vorausgesetzt ich hätte keine Angst, was ich natürlich sofort abstritt, und er mir dann gerne noch mehr erzählen könnte. Darauf freute ich mich schon tierisch, und nachdem er mir versprechen musste, dass er mich morgen um Punkt Zehn abholen würde, ging ich fröhlich ins Haus. Was mich da erwartete war allerdings nicht so fröhlich.