Kapitel 6 -
Ein Drache. Ich hatte mir immer wieder welche vorgestellt, aber es verschlug mir den Atem als ich einen echten vor mir sah. Er ähnelte immerhin so sehr meiner Vorstellung von Drachen, dass ich ihn als solchen erkennen konnte. Da ich an meine Vorstellung von Drachen dachte, klingelten meine Alarmglocken so laut wie noch nie. Gefährlich!, schrie es in mir, Weglaufen! Ich konnte aber nichts dergleichen tun, so gebannt starrte ich den Drachen an. Auf einmal erhob dieser sich und war mit einem Satz auf den Füßen. So stand er vor mir, und ich bemerkte, wie groß er war. Stehend war es so groß wie die meisten der Bäume hier. Dann holte er aus und sein Maul, mit Zähnen, spitz wie kleine Dolche, jagten auf mich zu. Blitz schnell sprang ich zu Seite und schaute mich hektisch nach einer Waffe um. Panisch griff ich nach einem langen Ast und hielt ihn wie ein Schwert vor mich. „Hau ab du Widerling“, stieß ich hervor und fühlte mich dabei wie die Helden in den Büchern. Nur leider sah es nicht so aus, als könnte ich hier als Held hervorgehen. Wiedermal war heute meine Rettung ein Felsen, hinter denn ich mich reflexartig warf. Da zischte auch schon eine riesige Kralle an mir vorbei. Schnell rief ich mir in den Kopf, was ich über Drachen wusste. 1. Waren groß und gefährlich - Jetzt echt? Ist mir noch gar nicht aufgefallen. 2. Waren eigentlich nur in Märchen vorzufinden - Schön, so kam ich mir auch vor. 3. Legten Eier und wurden sehr alt und - Das half mir gerade auch nicht! 4. Konnten fliegen - Das wurde ja immer schöner! 5. Und sie können - Ein Feuerstoß schoss an mir vorbei. - Feuerspucken! Mein Kopf riss hoch und ich sah gerade noch das geöffnete, flammenspeiende Maul, das auf mich zu schoss. Ich riss meinen Kopf zu Seite, um ihn vor den Flammen zu schützen, und hielt den Ast vor mich. Das nächste, was ich hörte, war ein unmenschlicher Schrei. Der Drache hatte seinen Kopf zurück geworfen und in seinem Maul steckte der Ast, sodass sein Maul weit aufgerissen war. Doch ich wusste, dass der Drache nur erschrocken war, er würde den Ast sofort ausspucken können und dann war ich geliefert. Ich nutzte diese Ablenkung und rannte zurück auf den Weg. Hastig schaute ich mich um und schlug einen kleinen Pfad ein, der parallel zu dem breiteren Weg verlief. Am liebsten hätte ich um Hilfe gerufen, aber das hätte der Drache sicherlich gehört. Auch so war ich mir nicht sicher, ob er mich nicht hören konnte. Scheinbar war er sein ungewünschtes Hindernis losgeworden, denn ein Baum neben mir brach in Flammen aus. Ich hatte mich immer gefragt, wie es war, dem Tode nahe und auf seiner letzten Flucht zu sein. Aber dass es so ist, hätte ich nie gedacht. Ich war zwar schon panisch, aber fühlte mich wie bei Verstecken-Fangen, dass ich früher immer gespielt hatte. Rennen, Verstecken, Ausschau nach dem Fänger halten, Rennen. Ich rannte so schnell wie noch nie, die Welt flog geradezu an mir vorbei, doch trotzdem konnte ich die Flügel des Drachen über mir hören. Plötzlich war rechts von mir eine kleine, aber recht tiefe Schlucht. Da kam mir eine Idee. Ich hob einen recht großen Stein auf und schleuderte ihn in die Tiefe, und im gleichen Moment ging ich hinter einem Gebüsch in Schutz. Der Drache stürzte, wie geplant, dem Stein hinterher, doch er würde gleich wieder hoch kommen. Also rannte ich wieder los, rannte und horchte gleichzeitig. Ich glaubte hinter mir ein wütendes Brüllen zu hören, und ein Flügelschlagen, jedoch leiser als vorhin. Da war ich auf einer kleinen Hügelspitze angelangt und vor mir lag ein weites Tal, in der Ferne, hinter einem weiteren Wald, sah ich einen einsamen Hof und mein Gefühl sagte mir, dass ich das Haus der Robinsons gefunden hatte. Doch was nützte mir das, mit einem Drachen im Rücken, der das Haus mit einem Feuerstoß anzünden konnte? Doch etwas anderes zog meinen Blick an und zum zweiten Mal an diesem Tag, dachte ich, ich wär im falschen Film. Mein Blick wurde von einem allzu bekannten Jungen angezogen, der jedoch nicht irgendwo stand, sondern flog. Robin Robson flog auf einem Besen fröhlich an einem Kirschbaum hoch und runter und pflückte genüsslich Kirschen. Mir wurde schwindelig. Langsam musste ich doch mal aufwachen! Ohne es zu merken sackte ich auf den Boden und war der Ohnmacht nahe. Das hatte er gehört, denn er drehte sich mit einem Schwung herum und ich sah in sein schönes Gesicht. Als erstes sah ich Überraschung, dann Entsetzen und dann stotterte er: „Maja! Äh, ich, ich, äh. Was machst du hier? Das ist doch.“ Dann erstarrte er und seine Augen weiteten sich noch mehr, wieder war Entsetzten in seinem Blick zu sehen, doch diesmal, blankes Entsetzen, Angst. „Bei Merlins Unterhose!“, murmelte er und starrte auf etwas hinter mir. Langsam, wie in Zeitlupe drehte ich mich um. Da schwebte er über mir und wütend sah er aus. Er hob den Kopf, bereit den tödlichen Flammenstoß auszustoßen - da war die Luft von Blitzen erfüllt und ich fiel taumelnd um. Das letzte, was ich sah, waren die beiden Förster von vorhin, die mit erhobenen Stöckern auf den Drachen zielten. Dann knallte mein Kopf auf den Boden und ich versank in Dunkelheit.