Kapitel 2 -
Ich musste ihn wohl ziemlich lange angeglotzt haben, denn er fragte wieder, ob ich Hilfe bräuchte. Ohne meinen Blick von ihm abzuwenden stand ich auf und strich mir den Dreck von der Hose. Sein Gesicht war schmal und von einer mitteldunklen Hautfarbe. Er hatte braune Haare, schmale Lippen und diese freundlichen, dunkelblauen Augen. Ganz anders als ich mit meinen blonden Haare und braunen Augen, die gerne diesen Dackelblick aufsetzten. Über seiner kurzen Jeans trug er ein altes T-Shirt. Wahrscheinlich war er mein Alter. „Hast du dich verlaufen?“, fragte er langsam. Ich musste wohl einen wirklich dummen Eindruck auf ihn machen. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. „Nein, nein, schon okay, ich denke ich weiß den Weg ins Dorf“, plapperte ich los, „Ich wohn über die Ferien bei meiner Tante und habe mich nur etwas umgeschaut. Ich bin so viel Natur nicht gewohnt, nicht das ich sie nicht schön finden würde.“ Ich verstummte. Das interessierte diesen fremden Jungen garantiert nicht. Doch er lächelte, dann fragte er mich grinsende: „Na dann, wo ist denn das Dorf?“ Ich drehte mich um. Kein Dorf in Sicht. Ich drehte mich einmal ganz. Wieder kein Dorf. Nur Feld, weites Feld. Ich hatte gar nicht gemerkt wie weit ich gelaufen war. Als ich ihn wieder anguckte lag ein breites Grinsen in seinem Gesicht. „Ob ich dem verlaufenen Wanderer den Weg zeigen darf?“ Ich streckte ihm die Zunge raus, wobei ich mir sofort wieder dämlich vorkam. Was war nur los mit mir? Er ging los, in die Richtung aus der ich gekommen war, schnell folgte ich ihm. Zunächst schweigend, doch als die Stille mir schon in den Ohren drückte, versuchte ich es mit einem Gespräch. „Meine Tante kennst du sicherlich. Sie unterrichtet an eurer kleinen Dorfschule. Mrs Dag heißt sie.“ Der Junge schüttelt den Kopf. „ Ich war früher nicht auf dieser Schule.“ Dann schwieg er. Ich wollte ihn gerade nach seinem Namen fragen, da blieb er stehen und wies mir den Hang herunter, an dessen Ende schon das Dorf auf mich wartete. „Ich muss in die andere Richtung. Viel Spaß noch auf dem Land“, meinte er noch zu mir, dann drehte er sich um und joggte den Feldweg zurück. Ich starrte ihm nach, hätte ihm am liebsten noch etwas hinterhergerufen, doch gerade jetzt schwieg ich. Nachdem ich ihm eine Weile hinterher gestarrt hatte, drehte ich mich um und joggte meinerseits den Weg gen Dorf, darauf bedacht nicht wieder hinzufallen. Ich hatte den ganzen restlichen Tag (obwohl dies nicht so viel gewesen war) über meine Begegnung nachgedacht. Eigentlich eine ganz normale, doch meine Gedanken zogen immer wieder zu dem Jungen. Die Ahnung, die mich beschlich, gefiel mir nicht. Eigentlich war es doch eine alltägliche Alltagsgeschichte, sagte ich mir immer wieder. Erst abends kam ich da zu, meine Tante nach dieser Explosionsfamilie zu fragen. Wir hatten eben still unsere Pizzen verdrückt und nun lief ein ziemlich uninteressanter Krimi im Fernsehen. „Ähm, Tante Lucy, wer sind eigentlich die Robsons?“ Sie starrte mich fassungslos an, „Wie kommst du denn auf die?“ Ich verstand diesen Unterton in ihrer Stimme nicht und antwortete: „Weißt du, da waren so zwei Frauen auf dem Spielplatz, und die haben die erwähnt. Im Zusammenhang mit einer, wie soll ich sagen, Explosion.“ Erst dachte ich meine Tante würde lachen, aber sie bleib ich still und erklärte mir stattdessen: „Die Robsons sind eine zurückgezogene Familie. Sie bleiben fast nur unter sich und man sieht nur selten Miss Robson im Dorf, meistens kauft sie einmal im Monat hier unten ein. Ihr Haus ist weiter weg auf einem der Hügel, es gibt keinen vernünftigen Weg. Mr und Mrs Robson haben vier Kinder, soviel ich weiß. Mr Robson ist Erfinder und Chemiker, soweit das zusammen passt, und da geht ab und zu was schief. Das ist das, was die Tratschtanten aus dem Dorf Explosion nennen. Die Familie sorgt bei manchen gut an Gesprächsstoff, doch kaum einer dieser Schwätzer hat je einen aus der Familie gesehen. Lächerlich!“ Irgendwas blieb noch zwischen uns in der Luft, vorsichtig stellte ich fest: „Da ist noch etwas anderes, dass die Menschen stört, oder?“ Meine Tante nickte. „Keiner der Kinder war auf unserer Grundschule und in die weiterführenden Schulen in den Nachbardörfern gehen sie auch nicht. Die Kleinen werden wohl zu Hause erzogen und die Älteren gehen auf ein Internat. Es ist, nun ja - etwas seltsam. Aber eigentlich ist es eine ganz normale Familie wie bei uns.“ Das musste ja nichts heißen, aber dass es für mich kein passender Vergleich war, konnte meine Tante schließlich nicht wissen. Tante Lucy hatte sich wieder dem Fernseher zugewandt und auch ich starrte wieder auf den Bildschirm, jedoch bekam ich kein Wort mit. Am nächsten Morgen wurde ich von den Sonnenstrahlen geweckt und als ich die frische Luft hineinließ wusste ich sofort, dass ich mich heute vor dem Freibad nicht mehr drücken konnte, eher würde ich verbrennen. Meine Tante saß wieder am Tisch, als ich die Küche betrat. Beim Frühstück unterhielten wir uns über dies und das, dann bleib das Thema an meinem Tagesplan hängen. „Ich dachte ans Freibad“, erzählte ich ihr, „gleich nach dem Frühstück. Die Fahrzeiten vom Bus habe ich mir schon herausgesucht.“ Trotzdem erklärte sie mir nochmal den Weg, wünschte mir viel Spaß und auch ich hoffte, diesen zu haben.