Platz 5 Ginny***, Hufflepuff -
22.05.1996 Es ist echt komisch, in dieses Buch zu schreiben. Ich meine, im Grunde schreibe ich wenig auf. Ich schreibe mal eine Eule an Mum und Dad oder an Charlie oder Bill. Aber ansonsten nichts. Außer natürlich die Hausaufgaben. Außerdem habe ich ein ungutes Gefühl dabei. Ich habe seit Ewigkeiten nichts mehr aufgeschrieben. Nicht seit damals, seit dieser ... Sache mit meinem letzten Tagebuch. Natürlich, das ist lange her. Aber ich glaube kaum, dass ich das jemals vergessen kann. Allerdings haben die Zeiten sich geändert. Natürlich, es gab immer schlechte Zeiten. Und gerade ich hatte in den letzten Jahren eine Menge davon. Doch jetzt ist es etwas anderes. Noch vor zwei Jahren habe ich mir Gedanken darüber gemacht, ob ich jemals so beliebt wie Fred und George sein würde, ob Mum sehr sauer wäre, wenn meine ZAGs schlecht ausfallen würden, ob Dad bald das Gold verdienen würde, um mein Zimmer zu renovieren ... Das waren alles Dinge, die mich betrafen. Damit meine ich nicht, dass ich mir aus meinen Angelegenheiten nichts mehr machen würde. Nein, das wäre wohl zu selbstgefällig, das zu behaupten. Die tapfere kleine Ginevra Molly Weasley – ist bereit, sich für die Schwachen und Armen aufzuopfern, ihr ganzes Leben dafür aufzugeben. Klingt doch lächerlich, oder? Ist es auch. Ich weiß nicht, aber ich denke, dass ich im Moment nicht die Einzige bin, der es so geht. Die Angst hat, morgens die Zeitung aufzuschlagen, die Angst davor hat, einer Eule einen Brief abzunehmen, die sich vor so vielem fürchtet, und trotzdem weiß, dass es das nicht sein kann. Wo soll mich das noch eines Tages hinbringen? Andererseits ... Manchmal frage ich mich, was wohl wäre, wenn ich mich vor nichts fürchten würde. Wenn ich keine Angst mehr vor nichts hätte. Wenn ich nicht mehr aufwachen und denken würde: Hoffentlich ist nichts passiert. Wo genau sollte mich das wohl hinführen? Ich nehme mal an, nicht weit. Denn ich denke, wenn einem nichts mehr am Herzen liegt, ist man eh tot. Oder zumindest so gut wie tot, eine leere Hülle. Und vielleicht wäre ich dann bald eins von diesen Mädchen, die nichts mehr zu verlieren haben. Genau das ist es nämlich! Immer wieder lande ich bei dem Punkt, wo ich mich frage, ob es nicht leichter ist, direkt so ein Mädchen zu werden. Und dieser Gedanke zerreißt mich innerlich. Wenn mir alles genommen wird, was ich liebe, wenn jeder fällt und nicht mehr aufsteht, weil er für etwas gekämpft hat, was uns am Ende alles nimmt? Okay ... okay ... Ich glaub, ich werde langsam müde. Ich versteh selbst nicht mehr, was ich denke, und wenn ich mir meine letzten Sätze durchlese, frage ich mich ernsthaft, ob es nicht doch sinnvoll wäre, wenn ich mich auf der Stelle ins St. Mungo einweisen lassen würde. Aber gerade fällt mir auf, dass ich es bis zum Schluss nicht geschafft habe, zu sagen, von was für Zeiten ich überhaupt spreche. Dumm nur, dass ich diese Zeiten nicht erklären kann. Sie sehen aus wie ein dunkler Gang, in dem du dich furchtbar fürchtest, aber nicht allein bist. Und in dem du irgendwo, ganz weit entfernt, immer noch einen Lichtschimmer sehen kannst, zu dem es aber ein weiter, weiter Weg ist. Ginny 13.06.1996 Trotz meiner Tagebuch-Phobie hab ich das Gefühl, ich müsste mal wieder ein paar von meinen Gedanken aufschreiben. Nicht zum ersten Mal frag ich mich, wie man Todesser werden kann. Ich denke, dazu muss man einiges verloren haben. Aber man muss auch Spaß daran haben, anderen Leuten etwas zu nehmen, oder? Sonst würde man es ja nicht machen ... Ich frage mich, wie man als Todesser eine Familie haben kann und gleichzeitig einem Kind in die Augen schauen kann, während man ihm seinen Vater nimmt. Wie kann man zu seiner Tochter ans Bett kommen und sagen, sie sollte keine Angst vor der Nacht haben, während man selbst wie ein Tier durch die Welt schleicht und Kinder tötet? Wie kann man einen jungen Mann foltern, wenn seine Freundin vor Schmerzen schreit, während man seiner Frau sagt, man würde sie lieben? Wie kann man Kehlen durchschneiden, ohne die Kälte im Raum zu spüren, die jeden anderen Menschen krank macht? Wie kann man lachen, wenn der andere Tränen weint, die die Seele zernarben wie Dornen, die die Wangen runterrinnen? Wie kann man nur tote Körper sehen, ohne zu bemerken, wie die Seele zu den Sternen aufsteigt?

 [SIZE=8](Bild von Kinolibhaberin)[/SIZE]

Wie kann man das Wimmern von Kindern, den Anblick von sterbenden Menschen, die Stille nach einem Mord ertragen? Zerfrisst einem das nicht den Geist? Wie kann man morgens am Frühstückstisch seinen Kindern Kakao machen und gleichzeitig die Zeitung lesen, in der steht: „Neuer Mord in Yorkshire – ganze Familie wurde ausgelöscht, nur eine Vierjährige wurde in den Trümmern im kalten Arm ihrer Mutter gefunden ...“ Was muss man alles erlebt haben, um so ein Monster geworden zu sein? Und ich habe Angst, dass ich eines Morgens genau wie dieser Mann in den Propheten blick und lese: „Zwei entstellte Leichen in der Nähe von Ottery St. Catchpole gefunden. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um den Ministeriumsarbeiter Arthur Weasley und seine Frau Molly handelt.“ Werde ich demjenigen, der das getan hat, in die Augen schauen können, während ich meinen Zauberstab hebe? Ginny 27.06.1996 Mein Kopf will einfach nicht ruhig sein. Egal, was ich mache, egal, womit ich mich ablenke, ich bekomme manche Gedanken einfach nicht aus meinem Kopf. Aber ich habe gelernt, sie zu verdrängen. Wenn ich mit Harry zusammen bin zum Beispiel. Dann klappt es einigermaßen. In der Zeit spüre ich nicht nur, dass es etwas gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt, ich weiß es. Es ist einfach selbstverständlich. Auch wenn sich die Anzeigen im Tagesprophet häufen, sie verstärken dieses Gefühl nur. Der Sommer ist ziemlich schön, auch wenn man die unglaubliche Wärme in den Gängen des Schlosses selten spürt. Es kommt mir manchmal so vor, als würden die Sonnenstrahlen an den alten Mauern der Burg abprallen. Nur wenn Harry da ist, dann scheinen sie durch die Fenster, und durchdringen alles in mir. In der Zeit ist mir so warm. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es mir auch sonst oft warm. Nur die Tage, an denen ich in dieses Tagebuch hier schreibe, sind kalt, so eiskalt. Und weißt du was? Dafür schäme ich mich. Es ist abartig, dass mir warm ist, während andere fast erfrieren, weil sie eine Eule von daheim bekommen haben, dass man ihren großen Bruder mitten in einem feuchten Wald tot gefunden hat. Mich lässt die Angst zwar auch nie vollkommen los, aber wenn ich im Gemeinschaftsraum sitze und schon wieder seit Stunden für meine ZAG-Prüfungen am Lernen bin, hör ich trotzdem eine ganz leise Stimme in meinem Hinterkopf, die sagt: „Wie kannst du nur hier sitzen und dir darüber Gedanken machen, wie deine Prüfungen ausfallen, wenn die Welt da draußen immer dunkler wird?“ Allerdings weiß ich tief in mir drin, dass es nicht egoistisch ist, so zu leben, wie ich es tu, dass es nicht egoistisch ist, sein Leben zu leben, dass es wenigstens noch ein bisschen Normalität hat, so zu leben, dass man Spaß hat, denn was wäre, wenn es morgen schon vorbei wäre? Dann kommen wieder diese Tage, an denen ich tiefer falle, als ich es je vermutet hätte. An denen ich solche Angst um meine Familie hab, sogar um Percy, an denen ich Angst um alles hab, was mir wichtig ist. Auch, wenn Harry mich in den Arm nimmt und sagt, mir könne nichts passieren, so lang er da wäre, dafür würde er schon sorgen. Dann denke ich: Und was ist, wenn du das wirklich tust? Was ist, wenn du für mich stirbst? Was wird dann aus mir? Bin ich dann allein in dem Gang? Und wird das Licht erlischen? Ginny