Platz 3 II Niniel, Gryffindor -
Expeditionsberichte ~ Die magische Welt ~ Orla Quirke Prolog - 31. August 1994, 21:21 Uhr Morgen beginnt mein erstes Schuljahr in Hogwarts, der Schule für Zauberei und Hexerei. Ich bin schon sehr aufgeregt. Was werde ich wohl erleben? Werde ich nette Kinder kennen lernen? Die letzten Wochen waren schon sehr spannend: Als erstes natürlich der Brief, der von einer Eule gebracht wurde. Mama und ich wusste zwar, dass ich eine Halbhexe bin – schließlich ist mein Vater ein Zauberer – aber wir hatten keine Ahnung, dass es eine eigene Schule für Zauberer gibt. Warum ist Papa bloß abgehauen? Ich habe so viele Fragen und er könnte mir sicher eine Antwort geben. Aber mit Mama hat er auch selten über die „magische Gemeinschaft“ (so nennt Mama die Zauberwelt) gesprochen, sagt sie. Aber wir haben ja auch ohne ihn und sein Wissen die Einkäufe in der Winkelgasse erledigt. Das war nämlich das zweite spannende Erlebnis. Da gab es Dinge zu kaufen, die man nur aus dem Märchen kennt: fliegende Besen, gemahlene Giftzähne, Handschuhe aus Drachenhaut und Zauberstäbe. Ich habe jetzt auch einen: Olivenholz mit dem Schweifhaar eines Zentauren. Zaubern kann ich aber noch nicht; aber das lerne ich sicher noch. Schließlich gehe ich ja ab morgen auf eine Zauberschule. Aber ein lustiges Wort habe ich schon gelernt: Muggel. So nennen Zauberer Menschen, die nicht zaubern können. Wenn ich Mama ärgern möchte, dann nenne ich sie auch so, aber sie lacht immer nur. „Das hat dein Vater auch immer zu mir gesagt,“ meint sie dann. Morgen geht das Abenteuer richtig los. Ich habe jetzt schon ein ganz komisches Gefühl im Bauch. Aber Mama sagt, ich muss keine Angst haben. Sie hat mir heute einen Talisman geschenkt, eine kleine Maus aus Ton. Ich nenne sie Muggel-Maus, damit sich mich an Mama erinnert. Außerdem hat sie mir dieses tolle Buch gegeben. Sie hat gesagt: „In das Buch schreibst du alles, was du erlebst – wie die Expeditionsberichte, die wir gemeinsam lesen. Und in den Ferien kann ich dann nachlesen, wie Zauberer leben.“ Ich glaube, das werde ich am meisten vermissen: unsere gemeinsamen Lesabende, wenn wir an Mamas Bücherregal gegangen sind und Berichte von Expeditionen nach Afrika oder Amerika gelesen haben. Jetzt bin ich selber eine Forscherin – und das hier wird mein Expeditionsbericht.

 [SIZE=8](Bild von Shandris)[/SIZE]

15. Januar 1995, 18:17 Uhr Nachdem der Unterricht nun wieder begonnen hat, werden die Leute hier auch normal. So langsam haben mich die Erzählungen vom Weihnachtsball wirklich genervt. Wochenlang gab es kein anderes Thema als Begleitungen, Kleider und Tanzen. Und als der dumme Ball dann endlich vorbei war, haben alle geschwärmt, wie toll es war. Sogar die Jüngeren wollten über nichts anderes reden, obwohl sie nicht einmal dorthin durften, außer wenn sie eine Einladung von einem älteren Schüler hatten. Aus meiner Klasse war Zara dort, aber sie ist auch richtig hübsch und sieht viel älter aus als zwölf. Mich hat keiner gefragt, aber ich bin auch nur klein und hässlich. Dabei wäre ich schon ganz gerne hingegangen, auch wenn das ständige Gerede darüber nervt. Und ich ziehe mich auch gern hübsch an. Na ja, vielleicht wird es ja irgendwann noch einmal einen Weihnachtsball in Hogwarts geben, zu dem ich gehen kann. Wenn ich das so lese, glaube ich, dass dieses Buch schon lange kein Expeditionsbericht ist, sondern ein Tagebuch. Ob ich es Mama in den Ferien zum Lesen gebe – keine Ahnung. Aber das ist jetzt auch noch gar nicht so wichtig. Hier beginnen alle schon, sich auf die Abschlussprüfungen vorzubereiten. Es ist auf jeden Fall angenehmer als sich den ganzen Tag das alberne Gekichere über Jungs anzuhören. Ich habe zwar keine Lust, alles noch einmal zu lesen, was wir schon gelernt haben, aber unsere Vertrauensschüler sagen, dass wir es unserem Haus schuldig sind, in den Prüfungen sehr gut abzuschneiden. Padma Patil – sie ist in der vierten Klasse – lernt wie eine Verrückte. In ihrem Jahrgang ist Hermine Granger die beste – eine Gryffindor! Und das kann man als Ravenclaw nicht auf sich sitzen lassen, sagt sie. Die Prüfungen werde ich wohl auch schaffen, wenn ich nicht den ganzen Tag pauke. Aber die anderen gucken so komisch, wenn ich nicht über meinen Schulbüchern hocke. Dabei habe ich die Hausaufgaben doch schon lange fertig. Ich glaube Zara und Liz wollen mir ein schlechtes Gewissen machen; sie fragen sich gerade extra laut die Daten für Geschichte der Zauberei ab. Gestern wollten sie mir sogar meine Expeditionsberichte wegnehmen, weil sie interessierte, was ich immer „rumschmiere“ statt wie alle anderen zu lernen. Zum Glück haben sie es nicht geschafft! Ich muss diesen Eintrag aber jetzt beenden. Ich werde einfach meine Schulbücher holen und darin lesen. Die anderen merken ja nicht, wenn ich weiter hinten blättere statt alles durchzugehen, was die Lehrer uns schon einmal vorgekaut haben. Oder besser noch: Ich gehe in den hintersten Winkel des Gemeinschaftsraumes, weit weg von den Arbeitstischen. In den Regalen dort habe ich noch gar nicht gestöbert. Unser Gemeinschaftsraum ist wirklich toll. Ob die anderen wohl auch solch eine wunderbare Sammlung von Büchern haben? Natürlich ist die Hogwarts-Bibliothek größer, aber hier gefällt es mir besser und die Bücher sind viel interessanter. Wenn ich hoch oben auf den Leitern hocke, werden Zara und Liz denken, ich suche weitere Daten für die Prüfungen heraus. Dabei werde ich einfach lesen, was mir gefällt und hin und wieder aus dem Turmfenster schauen. 17. Januar 1995, 16:55 Uhr Gestern konnte ich leider nicht schreiben. Professor Flitwick hat mich zu sich gerufen, weil er meint, dass meine Leistungen nachlassen. Ich sei unkonzentriert, sagte er. Und gerade gestern ist es mir so schwer gefallen, dem Unterricht aufmerksam zu folgen. In Zauberkunst sind ein paar simple Sprüche schief gegangen und in Verwandlungen war es noch schlimmer. Wir sollten eine Teekanne in einen Hut verwandeln. Und mein Hut hatte am Ende noch einen Henkel, das blöde Muster und war komplett aus Porzellan. Außerdem habe ich das Ding noch vom Tisch gestoßen und es ist in tausend Scherben zersprungen. Professor McGonagall hat ganz sonderbar geguckt. Bestimmt hat sie auch mit Professor Flitwick gesprochen. Deswegen musste ich meine Hausaufgaben ganz besonders sorgfältig machen und die Zaubersprüche noch einmal üben, um meinen Ausrutscher wieder gut zu machen. Heute war es auch viel besser: Ich habe in Verwandlungen sogar 10 Hauspunkte bekommen und Professor McGonagall hat mir anerkennend zugelächelt. Zara war ganz grün vor Neid und hat den ganzen Tag die Klappe gehalten und mich nicht mit dem „Porzellan-Hut“ gehänselt. Aber es war verflucht schwer, sich auf die Schule zu konzentrieren, wo ich doch vorgestern so ein tolles Buch gefunden habe. Eigentlich ist es nur ein Büchlein, mit einem ganz unscheinbaren taubenblauen Einband. In den Buchrücken ist ein kleiner Falke geprägt. Wenn man das Buch aufschlägt, sieht man sofort, dass es sehr alt ist: das Papier ist dick und gelblich, die verschnörkelte Schrift ganz blass. Man muss sich Mühe geben, wenn man entziffern will, was dort steht. Nach den ganze Hausaufgaben gestern habe ich darin gelesen, bis alle anderen schon lange im Bett waren. Ich bin gar nicht dazu gekommen, noch zu schreiben. Leider verstehe ich nicht alles, was in dem Buch steht. Es ist so kompliziert geschrieben; manches ist sogar in einer anderen Sprache, ich glaube Latein. Im Lehrbuch der Zaubersprüche steht zumindest, dass ars magica Zauberkunst bedeutet, und diese Worte kommen häufiger vor. Außerdem steht ganz am Anfang, dass „für das Verständnis des Buches Grundkenntnisse der lateinischen Sprache unerlässlich“ sind. Immerhin habe ich schon kapiert, dass in dem Buch beschrieben ist, wie man selbst Zaubersprüche entwickelt. Aber wie genau das gehen soll, weiß ich noch lange nicht. Aber ich will es unbedingt herausfinden. Als erstes möchte ich mir einen Zauber ausdenken, mit dem man Geheimgänge und Abkürzungen aufspüren kann. So einen habe ich bisher noch nirgendwo entdeckt. Aber wenn ich den hätte, könnte ich mich vor Zara und Liz verstecken und keiner könnte mich mehr ärgern. Vielleicht finde ich sogar ein Zimmer ganz für mich allein, in dem ich neue Zauber ausprobieren kann. 31. Januar 1995, 19:01 Uhr Ich schreibe nur noch selten, weil ich kaum mehr Gelegenheit dazu habe. Es ist so anstrengend, sich gleichzeitig um die Schule und das Buch zu kümmern. Schließlich dürfen die anderen nichts bemerken, sonst finden sie am Ende noch heraus, was ich entdeckt habe. Oder Professor Flitwick oder – noch schlimmer – Professor Snape merken etwas. Vor ihnen kann ich mein Geheimnis nicht verbergen und dann würden sie mir sicher das Buch wegnehmen. Deswegen muss ich im Unterricht fleißig sein und gute Hausaufgaben abgeben. Dann lassen mich alle in Ruhe und ich kann mit Hilfe der Bücherei-Bücher den Text entziffern. Allerdings brauche ich noch viel mehr Informationen, bevor ich selbst einen Zauber entwickeln kann. Rowena – inzwischen bin ich mir fast sicher, dass sie die Verfasserin des Buches ist – war natürlich eine bessere Magierin als ich es jemals sein werde. Zum Glück kann ich aber in der Bibliothek vieles nachlesen, was sie erst selbst herausfinden musste. Und sie hat sicher nicht für eine Erstklässlerin geschrieben. Trotzdem werde ich es schaffen, egal wie viel Arbeit es ist. Wenn es überhaupt ein Schüler schaffen kann, dann muss es schon ein Ravenclaw sein. Und warum nicht meine Wenigkeit? Das versuche ich mir zumindest immer einzureden, wenn ich die Lösung einer Frage nur immer neue aufwirft. Leider hilft das auch nicht immer. Gestern war ich kurz davor aufzugeben. Ich war schon auf dem Weg alle ausgeliehenen Bücher wieder in die Bibliothek zurückzubringen. Aber da ist mir Zara begegnet. Ihr muss meine niedergeschlagene Miene aufgefallen sein, denn sie fragte hämisch grinsend: „Na, Quirke, heulst du, weil dir die Namen der Anführer der Koboldaufständen nicht einfallen? Schön blöd bist du ja: Schleppst stapelweise Bücher mit dir rum und kannst dir nicht behalten, was darin steht!“ - Nein, Zara, diesen Erfolg werde ich dir nicht gönnen. In Wahrheit habe ich mich schnell umgedreht und bin weggelaufen, damit sie die Tränen in meinen Augen nicht sehen konnte. Leider bin ich nur auf dem Papier so stark. Aber ich habe mir geschworen, es ihr zu zeigen. Ich bin die Gescheitere von uns beiden, Zara. Du wirst schon sehen! Wenn du diesen Konkurrenzkampf willst, sollst du ihn haben. Du magst zwar in Geschichte der Zauberei besser sein, aber in Verwandlungen und Zauberkunst schlage ich dich um Längen. Seit ich das Buch durcharbeite, verstehe ich viel besser, worauf es in diesen Fächern ankommt. Andererseits hat mir der Unterricht auch manches Mal auf die Sprünge geholfen, wenn ich Rowenas Ausführungen nicht verstanden haben. Heute bin ich wieder zuversichtlich, dass ich mein Ziel erreichen werde. Aber selbst, wenn es mir niemals gelingen sollte, Rowenas Anweisungen in die Tat umzusetzen, so habe ich nach so kurzer Zeit schon viel über Magie gelernt, was anderen immer verborgen bleiben wird. Und ich weiß, dass es auf drei Dinge besonders ankommt: Konzentration, Phantasie und Sorgfalt. Das allerwichtigste, was ich langsam begreife ist aber, dass ich trotz aller Unterschiede zu meinen Mitschülern eines ganz sicher bin: eine echte Ravenclaw. Epilog Ob es Orla bisher gelungen ist, Rowena Ravenclaws Buch vom ersten bis zum letzen Buchstaben zu verstehen, wissen wir nicht. Ihre Expeditionsberichte, die nach und nach wohl zu Forschungsberichten werden, hält sie gut verborgen ebenso wie das Büchlein, von dessen Existenz allenfalls gelehrte Magier wie Professor Dumbledore etwas ahnen.