Anoel, Ravenclaw -
Toure de Criminel Ihre kleine rosa Reisetasche in der linken Hand und einen dicken Stadtplan in der Rechten, stand Pimpinella Pim auf dem Gare du Nord in Paris. Hektisch zogen Menschenmassen an ihr vorbei, während Pimpinella den Augenblick genoss: Auf diesen Moment hatte sie solange gewartet. Schon in ihrer Kindheit hatte sie davon geträumt die Welt zu bereisen und in fremde Kulturen einzutauchen. Und nun also war es soweit. Die an ihr vorbeidrängelnden Menschen schoben Pimpinella hin und her, ruppig und ungestüm. Nicht selten schwankte sie gefährlich von einer zur anderen Seite, doch fand im letzten Augenblick immer wieder sicheren Halt auf ihren Füßen. Ein letztes Mal sog sie mit geschlossenen Augen tief die Großstadtluft ein, um sich dann mit entschlossener Miene, die Reisetasche und den Stadtplan fest unter die Arme geklemmt, ihren Weg durch die vorwärts strömende Menschenmenge zu bahnen. Überschwänglich gerufene, mürrisch gebrummte und hektisch geschriene französische Wortfetzen drangen an ihr Ohr, als sie den Ausgang auszumachen versuchte. Unruhig blickten ihre klaren, blauen Augen auf die vielen Hinweisschilder in fremder Sprache. Wie um alles in der Welt sollte man sich hier auch zu Recht finden? Sie lies den Henkel ihrer Reisetasche in ihre Armbeuge rutschen und tastete mit ihrer auf diese Weise freigewordenen Linken in ihrer Anoraktasche nach dem glatten Holz ihres Zauberstabes. Glücklich schlossen sich fünf feingliedrige Finger um das filigrane Holz, entschlossen wurden einige Worte gemurmelt und das Resultat zufrieden betrachtet: Eine feine, silbrig glänzende Spur durchzog die stickige Bahnhofsluft. Pimpinella brauchte dem silbernen Schein nur zu folgen, um an die französische Luft zu gelangen und den Weg zur Metro zu finden. Doch nicht nur Pimpinella folgte der silbernen Spur: eine dunkle Gestalt trat aus dem Schatten einer Anzeigetafel und huschte unbemerkt hinter der konzentrierten Pimpinella her. Zum Glück unterschieden sich französische und englische U-Bahn-Stationen nicht allzu sehr von einander und das erforderliche Ticket war schnell gekauft. Erleichtert lies sich Pimpinella in einen der harten Sitze des Wagons plumpsen. Nur mit Mühe konnte sie ihre Augen offen halten und blinzelte immer und immer wieder verschlafen. Kaum hatte sie sich hingesetzt, da schnarrte auch schon eine blecherne Stimme aus dem Lautsprecher: „La prochaine station c’est Anvers“. Hastig raffte Pimpinella ihr Gepäck zusammen und drängte zum Ausgang. Nun waren es nur noch wenige Schritte bis zu ihrem vorsorglich gebuchten Backpacker Hostel. Einige Sekunden später drängte sich auch der finstere Verfolger durch die bereits wieder schließenden Türen und folgte der hastig in Richtung Schlafstätte eilenden Pimpinella die Straße hinab. Forschen Schrittes um die nächste Straßenecke marschiert und schon tauchte ein freundlich dreinblickendes Backsteinhäuschen vor ihr auf. In überdimensionalen bunten Lettern prangte der Schriftzug „WOODSTOCK Hostel“ über der orange getünchten Eingangstür und setzte jeden Vorbeiziehenden und nun auch Pimpinella darüber in Kenntnis, was das Innere verbarg. Beruhigt beschleunigte Pimpinella ihre Schritte und stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sie letzen Endes ihre hübsche Reisetasche vor dem Tresen des Hostels auf den Boden plumpsen lies. Ihren Zimmerschlüssel fest umklammernd und die Reisetasche hinter sich herschleifend, folgte Pimpinella der munter vor sich hin plappernden Französin die Treppe hinauf und durch einen langen Flur, als diese plötzlich abrupt stoppte und Pimpinella stolpernd zum Stehen kam. Das war also ihr Zimmer. Leise klackte der Schlüssel im Schloss, Pimpinella trat über die Schwelle, dankte der netten Französin, schloss die Tür, beförderte ihre Reisetasche in die nächst beste Ecke, lies sich selbst erschöpft auf das Bett fallen und war augenblicklich im Reich der Träume verschwunden. Die Stunden vergingen und Pimpinella lag noch immer schlaftrunken grunzend und in tiefen Träumen versunken im leise knarrenden Eisenbett des Hostels. Der mittlerweile aufgegangene und von keinerlei Wolken verdeckte pralle, runde Mond tauchte das kleine Zimmerchen in einen milchigen Schein. Unruhiges Schattenspiel flackerte durch den Raum, der raue Herbstwind blähte die Vorhänge unstetig und der immer stärker werdende Regen prasselte harsch gegen die halb geöffneten Fensterscheiben. Durch den Türspalt fielen der unruhig hin und her huschende Schein eines Lichtkegels und das gedämpfte Geräusch von sich vorsichtig vorantastenden Füßen auf quietschenden Holzbohlen. Wie zur Bestätigung klackte das Türschloss und die Zimmertür sprang leise quietschend auf. Durch sie hindurch trat die dunkele Gestalt, die rechte Hand fest um einen hölzernen Stab geklammert. Ein geflüstertes „nox“ lies den unruhig flackernden Lichtkegel, der aus der Spitze des Zauberstabes heraus brach, erlischen und einzig der schwache Schein des Vollmondes erhellte das Zimmer. Ein weiteres kurzes gemurmeltes Wort und eine sanfte Bewegung des Zauberstabes sorgten dafür, dass Pimpinella noch tiefer in den Schlaf sank und ein leises aber alles andere übertönendes Summen ihr Ohr erfüllte. Zufrieden brummend wandte sich die dunkle Gestalt um, blickte suchend durch den Raum und fand - endlich - die kleine rosafarbene Reisetasche. Hastig trat sie näher heran, beugte sich über die Reisetasche, richtete den Zauberstab auf selbige und flüsterte „portus“. Ein selbstgenügsames Lächeln huschte über das im Schatten liegende Gesicht und schon drehte die Gestalt sich lautlos um und entschwand durch die Tür. Von all’ dem hatte Pimpinella nichts mitbekommen, als sie sich in den späten Morgenstunden des nächsten Tages genüsslich in ihrem Bett räkelte. Ein herzhaftes Gähnen und einige morgendliche Dehnübungen später, schlug sie die Bettdecke zurück und schwang sich behände aus dem Bett. Sie erstarrte in ihrer Bewegung als ihr müder Blick auf den abblätternden Lack der Zimmertür fiel: Deutlich setzten sich blassrote Linien von dem weißen Lack ab und bildeten den Umriss einer Rosenblüte. Erschrocken kniff Pimpinella die Augen fest zusammen, rieb mit den Fingerknöcheln kräftig über die geschlossenen Augenlider und blinzelte dann vorsichtig mit ihrem linken Auge. Doch nichts hatte sich geändert. Noch immer lachte ihr der rote Umriss einer Rose frech in das Gesicht. Neugierig trat Pimpinella näher. Vorsichtig tasteten ihre Finger nach der Rose. Prüfend lies sie ihre Hand über das Rosenabbild gleiten. Nichts verwischte. Den Blick noch immer starr auf die Tür gerichtet, wich Pimpinella zurück, stieß dabei an den im Zimmer stehenden Stuhl und stürzte rittlings zu Boden. Intuitiv die Hände nach hinten streckend, krallte sie ihre Finger fest in die auf dem Boden liegende Reistetasche. Doch anstatt hart auf den Holzdielen aufzuschlagen, riss etwas sie nach vorn und lies sie haltlos ins Bodenlose stürzen. Nach wenigen Sekunden, die der unwissenden Pimpinella wie Stunden vorkamen, spürte sie etwas Festes unter ihren bloßen Füßen. Durch die Wucht des Aufpralls konnte sie sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. gefährlich schwankend spürte sie wie der Wind heftig an ihrem Rock riss und ihr einzelne Haarsträhnen unsanft ins Gesicht peitschte. Ungeduldig strich sie sich immer und immer wieder die Locken aus dem Gesicht und lies ihre Augen in die Ferne wandern. Sie befand sich über den Dächern von Paris, konnte in der Ferne Motorengeräusche erahnen und im morgendlichen Dunst beeindruckende Pariser Bauten erkennen. Es waren nur wenige Schritte bis zum eisernen Geländer, begeistert schlossen sich ihre Hände um das kalte Metal und sie beugte sich verzückt über selbiges. Dort vorne war die Seine und dort… Ja, genauso hatte Pimpinella sich Paris vorgestellt. Aber Moment mal! Wie um alles in der Welt war sie eigentlich hier hergekomen? Sorgenfalten verfinsterten das gerade noch vor Freude strahlende Gesicht, abrupt wurde das Geländer losgelassen, man sprang herum und starrte den Übeltäter in Form der pinkfarbenen Reisetasche mussmutig an. „Dämliches Ding!“, zischte Pimpinella zornig und verpasste dem Objekt des Hasses einen saftigen Tritt. Das Opfer ihres Zornes schlitterte ob dieser groben Behandlung einige Meter über den Boden und kam erst vor einem Eisenpfeiler zum Stehen. Das Verrutschen der Reisetasche gab den Blick auf den abgetretenen Boden frei und genau an der Stelle, wo die Tasche zuvor gestanden hatte, war eine kleine, feingliedrige Rose eingebrannt. Hastig fiel Pimpinella vor der Rose auf die Knie, suchte hektisch nach ihrem Zauberstab, richtete ihn auf die Rose und wisperte „aparecium“. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, als gold glänzende, ineinander verschlungene Buchstaben aufleuchteten und „Flamme du Souvenir“ verkündete. Sie richtete sich auf und strich nachdenklich über ihren Nacken. Erst jetzt realisierte sie, wo ihre Reisetasche sie eigentlich hingebracht hatte. Hoch türmten sich rings herum die eisernen Balken und Leisten des Eiffelturmes auf. Pimpinella schluckte. Wäre alles planmäßig verlaufen, hätte er ihr erstes Ziel des für heute geplanten Besichtigungsprogramms seien sollen. Nachdenklich trat sie wieder auf den Rand der Aussichtsplattform zu und lehnte sich mit ihrem ganzen Gewicht - tief in Gedanken versunken - an das Geländer. Tief unter sich sah sie die Seine leise dahinplätschern, sah den chaotischen französischen Straßenverkehr, wild hupende Autos und sich behände in Sicherheit bringende Fußgänger. Am Fuße des Eiffelturms erspähte sie die Besucherströme, die sich vor die kleinen Fahrstühle scharrten und sich die Beine in den Bauch stehen mussten. Wären die ganzen Umstände nicht so verwirrend und beängstigend, sie wäre froh gewesen, dem typischen Touristentrubel entkommen zu sein. Sie wand ihren Blick von den lärmenden Touristen ab und kniff, in die Ferne starrend, ihre Augen zusammen. Dort hinten irgendwo müsste die historische Achse von Paris beginnen. Hier hatte sie entlang wandern und sich all’ die faszinierenden Bauwerke und Monumente ansehen wollen. Sie hätte ihren Spaziergang am Triumphbogen begonnen und wäre dann die Champs-Elysées… Sie hatte den Gedanken kaum begonnen, da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Der Arc de Triomphe. Natürlich. Das Grabmal des unbekannten Soldaten, die Ewige Flamme der Erinnerung - die „Flamme du Souvenir“. Pimpinella hatte sich vor ihrer Reise - zum Glück - eingehend mit der französischen Geschichte und auch mit der ihrer anderen Reiseziele beschäftigt. Hastig schnappte sie sich ihre Reisetasche, warf einen nachdenklichen Blick auf die kleinen orangefarbenen Aufzüge, die im Minutentakt Touristen auf die Plattform und wieder herunter beförderten, schüttelte dann aber energisch den Kopf. Die Tasche fest umklammert, drehte sie sich einmal auf ihrem Absatz um die eigene Achse und mit einem leisen „plopp“ war sie verschwunden. Die Touristenschar auf der Aussichtsplattform hatte nichts von diesem Vorfall mitbekommen und plauderte, staunte weiter und schoss begierig Fotos für die Daheimgebliebenen. Zeitgleich ploppte es am Arc de Triomphe und Pimpinella erschien aus dem Nichts. Kaum angekommen, da hastete sie auch schon auf die reich verzierten Säulen des Triumphbogens zu. Ehrfürchtig schritt sie an den aufwändigen Steinskulpturen und Reliefs vorbei, bestaunte die beeindruckende „Marseillaise“, den Auszug der Freiwilligen von 1792. Suchend wanderten ihre Augen unruhig hin und her. Prüfend musterte sie jeden Winkel des Monuments, als sie aus dem Augenwinkel ein unstetes Flackern wahrnahm: Die Ewige Flamme. Jede Faser ihres Körpers stand unter Anspannung während sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte und sich auf diese Weise langsam aber sicher der Gedenkstätte näherte. Anders als sie es vermutet hatte, war der Platz um den Triumphbogen nahezu menschenleer. Einzig die Mitglieder einer japanischen Reisegruppe flitzen von Relief zu Relief und hielten die Auslöser ihrer Fotoapparate im Dauerbetrieb und ein junger Mann mit dunklen Haaren, noch dunkleren Augen und ebenso düsterer Kleidung verlies gerade den Platz vor der Flamme du Souvenir und lies im Weggehen etwas aus seiner Hand auf den Boden gleiten. Pimpinella beschleunigte ihren Gang und rannte die letzten Meter bis zur Flamme beinahe. Die durch ihr Rennen aufgewirbelte Luft, lies das Fallengelassene, das schon fast am Boden gelegen hatte, wieder aufsteigen und im leichten Luftstrom hin und her trudeln. Ständig von einer neuen Brise ergriffen, war es Pimpinella unmöglich es zu fassen und genauer zu betrachten. Also tasteten ihre Finger erneut nach dem Zauberstab - auch wenn sie sich vorgenommen hatte auf selbigen während ihrer Reise möglichst zu verzichten - richtete ihn unauffällig auf das vom Wind immer höher getragene feine Blättchen. Ein energisches „accio“ genügte und es landete sanft in ihrer Hand. Augenblicklich gefror ihr jegliches Blut in ihren Adern. Das was sie da in ihren Händen hielt, das was der seltsame Typ hatte fallen lassen, war das Blütenblatt einer roten Rose. Nein, dass konnte nicht sein. Wobei, sie sah es ja auf ihrer Hand liegen. Also musste es doch stimmen. Aber wenn es stimmte, dann war es - bei aller Liebe - sicher Zufall. Sicher hatte der junge Mann eine Rose gekauft und war versetzt worden. Aber wieso hatte er es dann genau in dem Moment fallen lassen, in dem sie auf die Flamme zugetreten war? Und warum sollte er ausgerechnet hier ein Blütenblatt verlieren? Und überhaupt, warum verfolgten diese doofen Rosen sie eigentlich schon den ganzen Tag? Sie hatte nie etwas mit Rosen am Hut gehabt. Wobei, wenn sie genau nachdachte fiel ihr etwas ein. Die einzige Erinnerung, die sie an ihre Mutter hatte, ihre Mutter die gestorben war, als Pimpinella nicht einmal 5 Jahre alt war. Sie erinnerte sich an daran, wie die Hand ihrer Mutter ihr sanft über die Haare strich und sie die Hand fest umklammerte, damit ihre Mutter nicht aufhören möge. Dabei bewunderte sie, auch in ihrer Erinnerung immer wieder, den goldenen Siegelring am Ringfinger ihrer Mutter: Einen hübschen Ring mit einem eingravierten, feinen Rosenband. Hatte der junge Mann etwa etwas mit ihrer Mutter zu tun? Wusste er etwas über die mysteriösen Umstände ihres Todes? Ihr Vater hatte nie viele Worte über den Tod oder ihre Mutter verloren. Hatte das Thema einfach nur Tod geschwiegen. Sie warf einen letzten Blick auf das rote Blütenblatt in ihrer linken Hand und schloss es dann fest im Inneren derselben ein. Es gab nur einen Weg das heraus zu finden. Sie stopfte den Zauberstab zusammen mit dem Blütenblatt zurück an seinen angestammten Platz, wirbelte herum und nahm die Verfolgung auf. Weit konnte er ja noch nicht sein. Wenige Augenblicke später befand sie sich bereits auf der Champs-Elysées und sprintete vorbei an gemächlich flanierenden Touristen und Einheimischen, sprang behände über einen ihr den Weg versperrenden übergewichteten Dackel, erntete entsetzte, bitterböse Blicke der Besitzerin und stürmte ein kurze Entschuldigung brüllend weiter. Vorbei ging es an Straßencafés und immer dichter werdenden Menschenmassen. Elegant und behände schlängelte Pimpinella sich vorbei an Café au Lait und Brioche balancierenden Kellnern. Sie rannte und rannte, ohne auch nur einen weiteren Blick auf den dunklen Mann erhaschen zu können und auch ohne eigentlich zu wissen, ob sie überhaupt in die richtige Richtung lief. Aber irgendetwas tief in ihr sagte ihr, dass sie auf der richtigen Fährte war und erfolgreich sein würde. So langsam geriet sie zusehend außer Atem. Kräftig prustend schleppte sie sich nunmehr mehr die Straße entlang als dass sie elegant selbige entlang sprintete. Immer langsamer werdend erblickte ihre Augen etwas, das ihr Hexenherz höher schlagen lies. Ein geübter Griff nach dem Zauberstab und keuchend hervorgebrachte Worte führten dazu, dass sie Sekundenbruchteile später elegant auf seltsamen Schuhen mit sich drehenden Rollen über die Straße glitt. Die vorherige Besitzerin allerdings stand verdattert auf ihren verschwitzen Socken und starrte ungläubig auf dieselben. Nicht gerade die netteste Art, aber besondere Momente verlangten besondere Maßnahmen. Ohne zu wissen welchem Weg sie folgte setzte sie flugs einen Fuß vor den anderen und glitt wendig durch die Pariser Straßen. Sie stoppte erst als sich vor ihren Augen die beeindruckende Fassade des Louvres auftat und sie zielstrebig auf die gläserne Pyramide zusteuerte. Pimpinella kam der Pyramide immer und immer näher und verfluchte mittlerweile ihre Wahnsinnsidee mit den fahrenden Schuhen, denn Fahren schien bei weitem einfach als das Bremsen zu sein. Im allerletzten Moment lies sie sich wagemutig einfach auf den Boden fallen und hoffte, dass der Sturz die Teufelsdinger zum Stehen bringen würde. Tat er dann auch, hinterließ aber auch fiese Spuren auf sämtlichen Extremitäten. Einige Schreckminuten und einen Heilzauber später, klopfte Pimpinella den Staub von ihrem übrigen Körper und blickte zornig auf die fahrenden Schuhe hinab. Und was sahen ihre gebranntmarkten Augen dort? Sie stand inmitten einer riesigen Kreidezeichnung, die irgendein mehr oder minder talentierter Straßenmaler auf den Boden gebracht hatte. Und was zeigte ebendiese Zeichnung? Ein Meer von roten Rosen. Langsam stieg ein unbändiger Zorn in Pimpinella auf. Dieser ganze Rosenkram war wirklich nicht mehr witzig. Sie hatte in ruhe über die Champs-Elysées spazieren wollen, stundenlang vor dem Louvre anstehen wollen und die berühmte Mona Lisa bestaunen wollen, die sich keinen Zentimeter aus ihren Bilderrahmen herausbewegt. Seltsame Vorstellung von Kunst hatten die Muggel da. Aber nein, all das war ihr verwehrt geblieben. Es hatte doch alles schon in Kings Cross begonnen, als sie beinahe ihren Zug verpasst hätte. Vielleicht sollte es einfach nicht sein. Vielleicht war ihr einfach kein gemütlicher Sight-Seeing-Urlaub vergönnt. Sie hatte dem Rat ihrer Schwester folgen sollen und keinen einzigen Fuß in die Muggelwelt setzen sollen. Aber nein, sie musste ja immer ihren eigen Kopf haben. Wütend stampfte sie auf. Und drehte sich traurig um und lies ihren Blick suchend über das Gelände gleiten, um einen geeigneten Platz zum apparieren zu finden. Sie hatte keine Lust mehr und wollte nur noch zurück zum Hostel. Da traf sie etwas hart auf der Nase. Mit schmerzverzehrtem Blick rieb sie sich die schmerzende Nase und blickte sich suchend um, was sie wohl getroffen haben könnte. Dort auf dem Boden neben ihrer Schuhspitze lag ein klein zusammen gefaltetes Stück Papier. Sie bückte sich, um das Zettelchen aufzuheben und faltete es in mühsamer Kleinstarbeit auseinander. Ein kleiner Brief. In schnörkeliger Schrift, die sie stark an die Schrift unterhalb der Rose am Eiffelturm erinnerte, stand dort, schon leicht verwischt, als hätte der Verfasser es beim Schreiben eilig gehabt. „Wir sehen uns in München. Folge den Rosen.“ Pimpinella zuckte zusammen. Woher um alles in der Welt wusste der Ominöse dunkle Mann nun welches ihr nächstes Reiseziel sein würde? Angstschauer liefen ihren Rücken hinunter und sie starrte panisch auf das Briefchen in ihren Händen. Sie überlegte. Sollte sie ihre geplante Reise fortsetzen und das geplante Besichtigungsprogramm abspulen? Sie zögerte nur einen kurzen Moment. Dann wirbelte sie wieder, ungeachtet der Muggel, die ihr erstaunt hinterher sahen, auf dem Absatz herum und apparierte in ihr Hostelzimmer. Dort raffte sie ihre Sieben Sachen zusammen und stürzte die Treppe hinunter zum Empfangstresen. Schnell hatte sie die offene Rechnung beglichen, war schon aus der Tür gesprungen und auf dem Weg zum Gare du Nord um den nächsten Zug nach München nicht zu verpassen. Keine Sekunde zu spät erreichte sie den Bahnhof, kaufte sich ein völlig überteuertes Last-Minute-Ticket und hastete durch die sich schon wieder schließenden Türen des Zuges. Sie musste unbedingt herausfinden, was es mit diesen Rosen auf sich hatte und ob der düstere Typ etwas mit ihrer Mutter und dem Rosensiegelring zu tun hatte.