Variante 1: Joshua und die tanzenden Lichter - Beitrag von Ildora Canderra
Joshua und die tanzenden Lichter Er sah nur noch das Blinken der Lämpchen vor sich, dann wurde es schwarz um ihn... Als er die Augen aufschlug, befand er sich in einem komplett weißen Raum... "Wo bin ich?" waren seine ersten Gedanken. Er richtete sich langsam auf und versuchte sich zu erinnern, was eigentlich passiert war. Das helle Licht, das ihn umgab, brannte noch ein wenig in seinen Augen. Diese gewöhnten sich aber sehr schnell daran. Er saß jetzt auf dem Boden. Aber war es ein Boden? Mit seinen Händen tastete er vorsichtig um sich. Es fühlte sich eher an wie, ja wie eigentlich. Im Grunde genommen wie Nichts. Er saß auf etwas, definitiv. Seine Gedanken wurden klarer. Er begann sich zu erinnern. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, als er auf die Suche ging. In seinem Dorf gab es immer wieder Gerüchte über unsichtbare Wesen, die ihren Schabernack mit den Bewohnern treiben. Einmal wurden in der Nacht alle Schafe aus dem Stall gelassen. Der Schäfer hatte Mühe, sie wieder einzufangen, aber sie waren vollzählig vorhanden und keinem fehlte etwas. Ein anderes Mal gaben sämtliche Kühe in der Gegend nur saure Milch. Und auch nur ein einziges Mal. Danach war alles wie immer. Sicher, hin und wieder sind in der Nacht bei den Leuten auch Sachen weggekommen, alltägliche Dinge, ohne besonderen Wert, Dinge wie ein Ball, ein Buch, ein Kochtopf oder ein Gartenzwerg. Interessant dabei war, daß in den besagten Nächten auch tanzende Lichter beobachtet wurden. Auch gab es keine Regelmäßigkeit bei diesen Vorfällen. Es war eben nicht so, daß man sagen könnte, daran sei der Vollmond schuld oder das Gewitter oder der Nebel. Es blieb einfach ein Rätsel. Also schob man die Schuld auf das kleine Volk, denn in diesem Teil des Landes war der Glaube an Feen und Elfen weit verbreitet. Es war ein wunderschöner Tag im Mai, als die tanzenden Lichter wieder auftauchten. In dieser Nacht saß Joshua noch an seinem Schreibtisch am Fenster und brütete über einer Hausaufgabe, die er wieder mal bis zur letzten Minute hinausgezögert hatte. Auch wenn er schon beinahe weggedöst wäre, war er sofort hellwach. Endlich sah er mit eigenen Augen, wovon er bisher nur gehört hatte. Er sprang auf, eilte zum Schrank und zog sich im Eiltempo seine Jeans und die Turnschuhe wieder an. Wenn er jetzt über die Treppe und aus der Haustür rennen würde, werden die Eltern wach, dachte er. Also kletterte er wieder einmal durchs Fenster und am Rosengitter hinunter und stürmte los auf die Lichter zu. Er stolperte, rappelte sich wieder auf und rannte weiter. Um nichts in der Welt wollte er verpassen, was da vor sich ging. Er näherte sich einer Baumgruppe am anderen Ende des Feldes. Seine Schritte verlangsamten sich und er hielt sich verborgen. Hinter diesen Bäumen mußte es sein, das war sicher. Er schlich in geduckter Haltung und spähte durch das dichte Geäst. Ja, da waren sie, diese tanzenden Lichter. Bei genauerem Hinsehen tanzten nicht die Lichter, sondern riesenhafte Gestalten, die sich um etwas versammelt hatten. Auf ihren Köpfen trugen sie einen Kranz aus Licht. Auch tanzten diese Wesen nicht, sie bewegten sich eher bedächtig. Aus der Ferne wirkte es nur so, als würden sie tanzen. Die Wesen waren über zwei Meter groß, das war sicher. Sie wirkten auch gar nicht befremdlich, eher angenehm vertraut. Fasziniert schlich Joshua ein wenig weiter vor, um besser sehen zu können. In diesem Moment tauchte direkt vor ihm ein Gesicht auf. Vor Schreck wich Joshua blitzschnell zurück und stieß mit dem Hinterkopf so heftig gegen einen Baum, daß er die Besinnung verlor. Ja, so war es passiert, es war alles wieder klar in seinem Kopf, er erinnerte sich. Aber wo war er jetzt? War er tot und dies hier der Himmel? Ein leises Zischen ertönte und eine Tür öffnete sich. Herein kam eines dieser Wesen, aber seine Füße berührten den Boden nicht, es schwebte. Langsam kam es auf Joshua zu. "Wir haben deine Verletzung am Kopf geheilt. Hast du noch Schmerzen?" Joshua schüttelte nur den Kopf. Er hatte die Worte deutlich gehört, aber nicht gesehen, daß das Wesen die Lippen bewegt hätte. Die Stimme, die er hörte war angenehm weich und melodisch. Joshua blickte dem Wesen direkt in die Augen und es war ihm, als würde er das schon einmal getan haben. Das Wesen lächelte mild "ist schon gut. Wir werden dir alles erklären, sobald wir da sind." Und wieder hörte er die Stimme, ohne daß die Lippen sich bewegten. Sein ungläubiges Staunen ließ das Wesen noch mehr schmunzeln. "Nein, du bist nicht verrückt. In unserer Welt kommunizieren wir telepathisch. Wie du jetzt siehst, verstehst du mich, und du kannst das auch, weil...aber das wirst du später erfahren. Brauchst Du irgendetwas? Hast Du Hunger oder Durst?" Joshua versuchte es "nein, nur 1000 Fragen." "Siehst du, mein Junge, du kannst es. Übrigens heiße ich Lionara. Wenn du dich fit genug fühlst, folge mir. Du willst doch sicher wissen, wo wir sind, oder?" Joshua stand auf und wollte hinter Lionara hergehen. Er bewegte seine Füße, aber das war unnötig. Auch er schwebte über dem, was er vorher als Boden definiert hatte. "Ach so, das ist übrigens Perseusnebel. Der ist bei uns überall und erleichtert uns die Fortbewegung. Und jetzt komm einfach mit." Joshua folgte ihr schwebend durch die Tür einen Gang entlang. Am Ende des Ganges öffnete sich zischend eine weitere Tür und sie kamen in einen großen Raum, der beinahe einer Halle glich. Hier schwebten sechs weitere Wesen auf Joshua und Lionara zu. Da auch Joshua jetzt schwebte, stellte er fest, daß sie gar nicht größer waren als die Menschen im Allgemeinen. Auch sonst wirkten sie eher menschlich aber doch auch anders. Jetzt hörte er eine männliche Stimme. "Ich hoffe, du hast deinen kleinen Unfall gut überstanden. Setz Dich erstmal und nehme dir etwas zu trinken. Wir werden dir alles erklären, sobald wir angekommen sind." Joshua setzte sich in einen herrlich bequemen großen Sessel und nahm sich von dem im Raum schwebenden Tablett ein Glas mit einem blauen Getränk. Als der erste Schluck durch seine Kehle rann, strömte ein wohliges Gefühl durch seinen Körper. Das Getränk war wunderbar erfrischend und schmeckte ein wenig nach Minze. "Wo genau denn angekommen?" ging es Joshua durch den Kopf. Eine Antwort kam sofort. "Die richtige Frage wäre eher "Wann" gewesen. Wir sind gleich da. Dann erfährst du alles. Mach dir keine Sorgen. Es ist alles in bester Ordnung." Es fühlte sich merkwürdig an, auf Gedanken eine Antwort zu bekommen. Da Joshua diese Art der Kommunikation nicht wirklich beherrsche, fühlte er sich den Wesen gegenüber im Nachteil, da er nie gelernt hatte, seine Gedanken zu kontrollieren. Er wurde sich bewusst, daß sie alles hören konnten, was sich in seinem Kopf abspielte. Die Konzentration, die er versuchte aufzubringen an Nichts zu denken, war sehr anstrengend. "Wir sind angekommen. Folgt mir bitte." hörte er Lionara. Alle erhoben sich und glitten zum Ausgang. Sie kamen wieder durch den Gang und diesmal erschien auf der rechten Seite eine Tür die sich zischend öffnete. Als alle ausgestiegen waren, stellte Joshua fest, daß er genau dort war, wo er sich den Kopf gestoßen hatte. Verwirrt blickte er sich um. Ja, es war genau die Stelle, aber irgendwie auch nicht. Es roch hier etwas süßlicher und auch hier war dieser Pegasusnebel unter seinen Füßen. "Was ist hier los?" wollte Joshua wissen. "Gleich. Da kommt er schon," war die Antwort. Ein weiteres Wesen tauchte zwischen den Bäumen auf und kam direkt auf Joshua zu. "Herzlich willkommen, Joshua. Wir haben lange auf dich gewartet. Ich bin Alfeo und habe die beglückende Aufgabe, dir alles zu erklären. Komm mit mir." Alfeo setzte sich in Bewegung und Joshua folgte ihm, ebenso Lionara. Alle anderen blieben zurück. Es war inzwischen Tag geworden als sie über das Feld schwebten. Aber sie wandten sich nicht Joshuas Elternhaus zu, sondern gingen direkt zum Schulgebäude. In der Schule angekommen bewegten sie sich in die Aula, direkt auf die Bühne. Der Saal war voll mit Wesen und es herrsche eine spannungsvolle Atmosphäre. Alle Anwesenden blickten auf Joshua, aber hören konnte Joshua nichts. Sie setzten sich und Alfeo begann zu berichten: "Vor langer, langer Zeit, Joshua, vor annähernd 2000 Jahren, waren wir alle wie du. Wie du bemerkt hast, befinden wir uns nicht an einem anderen Ort, nur in einer anderen Zeit. Nun, von deiner Gegenwart aus gesehen wird ungefähr 50 Jahre später ein Krieg ausbrechen. Ein Krieg mit verheerenden Folgen. Fast alles Leben wird ausgelöscht werden aber es werden keine zerstörerischen Bomben fallen, wie du sie aus der Vergangenheit kennst durch deinen Geschichtsunterricht. Auch tierisches und pflanzliches Leben war nicht betroffen. Nur die Menschen. Es gab damals einen Wissenschaftler, der an der Entwicklung der Waffe mitarbeitet. Es handelte sich um ein Virus, das Menschen in Sekundenschnelle altern und sterben ließ. Als er feststellte, was genau vor sich ging, täuschte er seinen Tod vor, ging in die Berge und arbeitete verzweifelt an einem Gegenmittel. Sein Name war Prof. Alwin Twostone. Sein Gegenmittel wirkte, aber es war nicht genug Zeit, alle Menschen zu impfen. Nachdem das Virus freigesetzt war, ging es rasch um die ganze Welt. Von der gesamten Menschheit blieben nur 44287 Menschen am Leben. Sie wussten, daß Prof. Twostone einerseits an der Entwicklung der Waffe beteiligt war, waren aber auch dankbar, daß er sich bemühte, so viele wie möglich zu retten. Damit so etwas nie wieder passieren kann, beschlossen die Menschen, ihre Lebensgewohnheiten zu ändern. Es sollte keine geheimen Gedanken mehr geben, alles sollte für alle offenbar werden. So entwickelte sich die telepathische Kommunikation. Es dauerte mehrere Generationen, bis wir in der Lage waren, so miteinander zu sprechen. Es gab seit damals viel Fortschritt wie der Pegasusnebel und viele Dinge mehr. Wir können inzwischen sämtliche Krankheiten der Menschen heilen, außer dem Schnupfen, weil wir den immer noch für wichtig halten als Immunisierungsprozeß. Wir leben heute in einer Welt ohne Hunger, Krankheit und Armut. Wir haben alles, was wir benötigen, und doch fehlt uns etwas. Wir können nicht träumen. Irgendwann ist uns diese Fähigkeit abhanden gekommen. Den Zeitpunkt wissen wir nicht. Und jetzt kommst du ins Spiel. Da wir durch die Zeit reisen können, haben wir festgestellt, daß unsere Welt nicht mehr lange existieren wird. Unsere Unfähigkeit zu träumen wird dazu führen, daß wir die Welt zerstören werden, und der Zeitpunkt steht kurz bevor. Also sind wir in die Vergangenheit gereist, um herauszufinden, wie man träumt. Nur konnten wir es nicht verstehen. Wir haben verschiedene Gegenstände gesammelt und erforscht, aber sie haben uns nicht weiter gebracht. Was wir brauchen, stellten wir fest, war ein lebendes Wesen, das uns erklärt wie man träumt. Wir haben dich erwählt, Joshua. Du bist alt genug, die Älteren von uns zu unterweisen, aber auch jung genug, den Kindern zu helfen. Ein Junge auf der Schwelle zum Mann. Du bist unsere letzte Hoffnung." Joshua dachte eine Weile nach. Es war ihm egal, daß alle seine Gedanken für alle hörbar waren, denn sie waren viel zu wirr, als daß jemand etwas von dem auch verstand. Dann erhob er die Stimme, diesmal aber seine richtige Stimme und sagte laut: "Nun, zunächst einmal solltet ihr wieder lernen, eure Stimmen zu gebrauchen. Ich glaube, daß ein Mensch seine Privatsphäre braucht, um Fortschritt zu machen. Also ich brauche meine Gedanken für mich allein. Wenn jeder hört, was ich denke, würde ich aufhören zu denken. Also, ich meine, meine Träume hängen doch mit meinen Gedanken zusammen, oder nicht? Wenn ich mir abgewöhnt habe zu denken, weil ja jeder hören könnte was ich denke, hab ich nachts auch keine Träume mehr. Und wenn ich dann keine Träume mehr habe, habe ich auch keine Phantasie. Und ohne Phantasie hab ich keine Kreativität. Und ohne Kreativität gibt es keinen Fortschritt. Also lernt erstmal wieder zu reden. Dann wird auch alles andere automatisch folgen." Von diesem Tag an lebte Joshua ungefähr 20 Jahre bei den Menschen in der Zukunft. Er behielt recht. Nachdem sie wieder gelernt hatten zu sprechen, kehrten auch die Träume zurück. Die Kinder fingen wieder an zu spielen. Es wurden wieder Bücher geschrieben und Bilder gemalt. Die Menschen der Zukunft lebten wieder. Als die Zeit gekommen war, daß Joshuas Hilfe nicht mehr benötigt wurde, brachten sie ihn zurück. Sie setzten ihn an dem Zeitpunkt, als er vor sich hindösend am Schreibtisch vor dem Fenster saß, in seinem Jungenkörper ab. Als er am Morgen dort immer noch sitzend erwachte, erinnerte er sich an einen wunderbaren Traum.