Kapitel 7 - -
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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

[/SIZE]  Die nächsten Wochen vergingen schnell. Der Stoff des neuen Jahres war anspruchsvoller als jemals zuvor und der wöchentliche Tanzunterricht erwies sich als äußerst nervenaufreibend und anstrengend. Bella lehrte ihnen komplizierte Schritte und korrigierte jede noch so kleine Fehlhaltung ihrer Arme oder Beine. Außer Professor McGonagal, die von Mal zu Mal vergnügter wurde, war es niemandem erlaubt beim Training zuzuschauen. Lily hatte sich seit dem Vorfall auf dem Gelände dafür entschieden, kein überflüssiges Wort mehr mit James zu wechseln. All die Zuneigung, die sich langsam in ihr aufgebaut hatte, war in einem einzigen, kurzen Moment zum Vorschein gekommen und Lily konnte die Geschwindigkeit, mit der das ganze geschehen war, nicht recht fassen. Sie hatte sich nicht unter Kontrolle gehabt und in solch eine Situation wollte sie nicht noch einmal geraten. Sie wollte einfach nicht zulassen, dass sie James Potter wirklich kennen und lieben lernte. Ebenso lag es nicht in ihrem Interesse, in Konkurrenz mit ihrer perfekten Lehrerin treten. Das war ihr eine Nummer zu hoch. Und obwohl es zunehmend weh tat zu sehen, wie James seine Annäherungsversuche Lily gegenüber aufgab, unterdrückte sie ihre Gefühle. Es war eindeutig besser so. Sie hatte oft genug demonstriert bekommen, dass James nicht scheute ein Mädchen schon nach einigen Wochen der Beziehung fallen zu lassen. Und sie hatte nicht vor, eine seiner Trophäen zu werden und eine ältere Frau als Nebenbuhlerin zu dulden. Er wird dich fallen lassen. Wie er es schon so oft mit seinen Freundinnen getan hat. Aus diesen Gründen beschränkte sich ihr Kontakt auf die regelmäßigen Pflichttreffen. Erst der Tag vor dem Auftritt, gleichzeitig Tag eines bevorstehenden Quidditchspieles, brachte die Veränderung. Lily hatte sich mit Rosie und Nastia in der Bücherei eingefunden, um sich um ein Arithmantikreferat zu kümmern. „Nastia und ich hätten da noch eine Frage, Lily...“, warf Rosie nach einigen Stunden der Arbeit in den Raum. Lily blickte verwirrt um sich, während sie den Muskel ihres Beines dehnte. Sie tat dies seit Beginn des Trainings, um auch den schwierigen Figuren gerecht werden zu können. „Um was geht es?“ Nastia wirkte ein bisschen aufgeregt und schlug Die Zahl Phi und ihre Bedeutung zu. „Wir möchten dich morgen gerne zu deinem Auftritt begleiten.“, erklärte sie auf Lilys fragende Miene hin und schaute ein bisschen betreten auf den Boden. Lily war sich nicht ganz sicher, was daran so beschämend sein sollte. „Das ist doch toll.“, sagte sie daher vorsichtig. „Sicher. Und was hältst du davon, schon um 7 nach Hogsmead zu gehen? Mit uns und… ein paar Freunden?“ Ihre Stimme klang unsicher und Lily zog eine Braue in die Höhe. „Welche Freunde?“, fragte sie skeptisch. Sie witterte etwas. „Nun ja, Sirius, Remus und…“ „James.“, beendete Rosie für sie. „Da könnt ihr ohne mich gehen.“, protestierte Lily sofort und erntete auf der Stelle das tadelnde Kopfschütteln ihrer Freundin: „Bloß wegen James? Übertreib es nicht!“ Nastia schien es, wie so oft, anders zu sehen: „Ich kann Lily schon verstehen. Ich würde mich auch nicht in einen Jungen verlieben wollen, der absolut untreu ist.“ Rosie stöhnte. „Ich seid doch krank. Habt ihr schon mal die Zeitungen aufgeschlagen? Wann wart ihr das letzte Mal auf der Straße? 23 Jährige Frauen lügen wenn’s um ihr Alter geht und 54 Kilo leichte Mädchen lassen sich Fett absaugen, um einen Kerl abzubekommen…“ Lily hob eine Braue. „Was willst du mir damit sagen?“ „Dass du verdammt noch mal nicht die einzige Frau in England bist, Lily! Andere Mütter haben auch schöne Töchter. Einen Kerl wie James findest du nicht an jeder Straßenecke. Du kannst froh sein, wenn jemand wie er sich für dich interessiert, während Unsereins nicht mehr als picklige Drittklässer als Verehrer vorzuweisen hat. Erwarte doch nicht, dass dir alles zufliegt! Wenn du ihn haben willst, dann versuch dich nicht dagegen zu wehren.“ Ihre Stimme hatte sich erhoben und ihr Blick verriet, dass sie nicht zu Scherzen aufgelegt war. „Ich will gar niemanden haben!“, warf Lily schnell ein, doch Rosie verdrehte bloß die Augen. „Dann zieh dich nicht an dieser Lappalie hoch.“ „Lappalie? Das nennst du Lappalie? Lily läuft Gefahr bloß ausgenutzt zu werden. Der Kerl angelt sich jede Woche ein neues Mädchen. Diese Bella Alfonso ist für ihn ein gefundenes Fressen. Und ehe Lily sich versieht ist sie abgeschrieben. Und das ohne jede Romantik.“, mischte sich Nastia wieder ein. Lily kniff die Augen zusammen, um sich auf das bevorstehende Streitgespräch bereit zu machen. Das falsche Wort war wieder einmal gefallen. Romantik. „Ist das alles? Das soll die sagenumwobene Romantik gewesen sein? Ein Mädchen, das von einem Typen die Welt zu Füßen gelegt bekommt und alles hinschmeißt auf Grund ein paar geplatzter Beziehungen?“ „Verharmlose doch nicht alles!“ Rosie lachte. „Mal’ du doch nicht alles mit rosa-roter Farbe an.“ Nastia erhob sich und packte ihre Bücher zusammen. Lily aber wollte das Gespräch nicht auf sich beruhen lassen. Nicht dieses Mal. „Es war so ein typisches Verhalten. Wir verabreden uns zum zweiten Mal und er beginnt bereits, von anderen Frauen zu erzählen. James Potter kann sich nicht festlegen. Ihn langweilt jede Frau, nach einer gewissen Zeit. Dem muss ich mich nicht aussetzen.“ Rosie lächelte traurig. „Rede dir nichts ein. James Potter ist nicht von jeder Frau gelangweilt. Bloß von dir. Und damit kommst du nicht klar.“ Sie schien zu wissen, dass sie einen Schritt zu weit gegangen war und so räumte sie schnell ihre umher liegenden Utensilien beisammen. „WAS WILLST DU DAMIT SAGEN?“, schrie Lily und fixierte sie. Diesen Ausspruch wollte und würde sie nicht auf sich sitzen lassen. „DASS DU ES DIR SELBST VERSAUT HAST! UND JETZT KOMM VON DEINEM HOHEN ROSS HERUNTER UND BEGLEITE UNS MORGEN.“, brüllte Rosie zurück. Lily hatte sich geirrt. Sie würde all dies auf sich sitzen lassen müssen. Denn mit unbefangener Leichtigkeit drehte Rosie sich auf der Stelle, verschwand mit Nastia im Schlepptau hinter einigen Regalen und zusammen ließen die Bibliothek im Stillen zurück. Lily wollte etwas rufen, sich rechtfertigen, schreien, doch in diesem Moment wusste sie, dass es sinnlos war. Rosie hatte Recht. Lily ließ ihre Augen in Richtung Fenstersims wandern. Die kleine Luke gab die Sicht auf das wundervolle Gelände frei und ließ unmittelbar eine Woge der Erinnerung in ihr aufkochen. Es überfiel sie plötzlich und doch ließ der stechende Schmerz, den der Gedanke an die Stunden mit James verursachte Lily stutzen. Hatte sie falsch gehandelt? Sich falsch entschieden? Durch das Gespräch mit Rosie war eine lange verdrängte Erkenntnis zu Tage gekommen: Ich belüge mich selbst. Machte James sie wirklich so unglücklich oder war es ihr übergroßes Selbstbewusstsein, das sie von einer Auseinandersetzung abgehalten hatte? War es besser, wie es jetzt war oder hatte sie sich alle Chancen durch gekränkten Stolz und unnötige Eifersucht zu Nichte gemacht? Lily erhob sich und lehnte sich weit aus dem benachbarten Fenster. Ihre Schritte hallten auf dem steinernen Boden nach. Sie war allein. Und unsicher. Sie beobachtete die letzten, vereinzelten Schüler, die über die Wiese rasten, um den Beginn des anstehenden Quidditchspieles nicht zu verpassen. Die Sonnenstrahlen folgten ihnen, als wollten sie den entscheidenden Ansporn liefern. Lily hatte nicht den Drang hinunter zu gehen. Es war ohnehin zu spät dafür. Zu spät. Das schien die Antwort auf all ihre Fragen zu sein: Es ist zu spät. Aus der Ferne vernahm Lily das Gekreische der Menge. Der Stadionsprecher hatte zu reden begonnen. „Die Mannschaft der Gryffindors! Shannon, Pfeifer, Weasley, Langdon! Black!“, verkündete er und tosender Beifall erklang. „UND unser Kapitän: POTTER!!“ Das Grölen der Zuschauer war lauter als zuvor und selbst aus Metern Entfernung noch zu hören. Mädchen kreischten, Pfiffe ertönten und Sprechchöre erklangen. Potter wir lieben dich. Lily schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Wie hatte sie nur so dumm sein können. Der abendliche Windstoß, der durch die offenen Fenster des Schlosses hineinwehte, striff die kleinen, an den Wänden angebrachten Kerzen und ließ manch eine Flamme erlöschen. Vereinzelte Rauchfäden kräuselten sich von den kohlrabenschwarzen Dochten, wurden von der Zugluft erfasst und verwirbelt und verschwanden, noch bevor sie die steinigen Decken erreicht hatten. Lily fröstelte. Das Schauspiel jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie stöckelte allein durch die schon verlassenen Gänge, etwas zu spät auf dem Weg in die große Halle. Ihr schwarzes Kleid gab die Sicht auf ihre langen Beine frei und ihr schlanker Hals wurde von einem Band umschlungen, das sich bei genauerem Hinsehen als Träger ihres Tanzaufzugs entpuppte. Das eng anliegende Kleid machte ihr das Atmen schwer, brachte ihre schlanke Taille jedoch perfekt zur Geltung. Ihr Haar war zu einem festen Knoten zusammengebunden, ihre Augen dunkel geschminkt. Leider hatte all dies einige Stunden gedauert und ihr war eine Verspätung nicht erspart geblieben. Sie tadelte sich ein wenig dafür, dass sie sich von niemandem hatte helfen lassen. Ihre Freunde würden bereits auf sie warten. Und mit ihnen James Potter. Lily erschauderte. Sie wusste nicht, ob es richtig gewesen war im Nachhinein die Einladung zu der Verabredung anzunehmen. Was sie jedoch genau wusste, war, dass sie James in einigen Augenblicken gegenüber stehen würde und nicht bereit dazu war, sich bei ihm zu entschuldigen. Ihm alles zu erklären. Doch genau das verlangte sie selbst von sich. Und was soll ich sagen? Was wird ER sagen? Hastig eilte Lily die Treppe in Richtung Treffpunkt hinunter, in der Hoffnung nun noch die geeigneten Worte zu finden. Sie wurde enttäuscht. Auch die letzte Stufe brachte keine Hilfe. Sie war auf sich selbst angewiesen. Ängstlich betrat sie die große Halle. Ihre Schritte wurden von dem Gesumme der umherstehenden Mädchen und Jungen verschluckt. Alle trugen sie Abendrobe und schienen sich auf eine Nacht in Hogsmeade zu freuen. Professor McGonagal hatte es sich nicht nehmen lassen, eine Ausgeh-Sondergenehmigung auszustellen, damit auch niemand auf den Gedanken käme, Lilys und James Auftritt zu ignorieren. Doch die Mehrzahl der Schüler schien sich diese Gelegenheit ohnehin nicht entgehen lassen zu wollen. Lily schlängelte sich durch die dichter werdende Ansammlung von Menschen und spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sie waren nicht mehr da. Lily schnaubte. Was hatte sie erwartet? Immerhin tauchte sie nun mit sicher einer Stunde Verspätung auf. Einem Kurzen zögern folgte die Erkenntnis, dass es keine andere Möglichkeit gab als in die Kälte hinaus zu treten und den Freunden zu folgen. Das Schlossportal stand bereits offen und hieß die kühle Briese, die vor dem dämmrigen Abendrot zu fliehen schien, willkommen. Na dann mal los. Nervös trat Lily hinaus und wurde augenblicklich von der unglaublichen Kälte überrumpelt. Ihr Kleid wurde von einem ungestümen Windzug an ihre nackten Beine gepresst und ein paar umherfliegende Blütenblätter vernebelten ihren Blick. Vor ihr erstreckten sich in atemberaubender Weite einige Felder, die den kürzesten Weg nach Hogsmeade bildeten und im rötlichen Licht der Abendsonne lagen. Lily riss sich von diesem Anblick los und bahnte sich mühsam ihren Weg. Wieder und wieder verhakten sich ihre Absätze im brüchigen Boden. Sie kam sich so unnütz vor, so dumm, so… naiv. Wo will ich hin? Lily kannte die Antwort auf diese Frage nicht. Was wollte sie erreichen? Glaubte sie, mit einer einzigen Entschuldigung alles wettmachen zu können? Verächtlich lächelnd näherte sie sich dem kleinen Dorf und bemerkte schon von weitem die 5 Gestallten, die ihr den Rücken zugewandt hatten und auf etwas zu warten schienen. Lily inhalierte tief. Die Luft war kalt. Mutig beging sie den sich vor ihr erstreckenden Weg und kam nur wenige Schritte von ihren Freunden entfernt zum stehen, wurde jedoch nicht bemerkt. Man schien in ein Gespräch vertieft zu sein. Sollte sie etwas sagen? Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren seidigen Armen und sie streckte zögernd ihre Hand aus, um James Aufmerksamkeit zu erregen. Ihre Fingerspitzen striffen das schwarze Sakko und sie rechnete damit, ihre Berührung verstärken zu müssen, um von ihm bemerkt zu werden, doch James reagierte sofort. Rasch wandte er den Kopf und funkelte ihr mit blitzenden Augen entgegen. Hat er darauf gewartet? Lilys Körper durchfuhr ein seltsames Gefühl. ‚Mach schon’, sagte sie sich. Doch James ergriff als erster das Wort. „Auch schon hier?“, fragte er und Lily bemerkte, dass er anerkennend ihre Erscheinung musterte. „Es tut mir leid.“, quetschte sie ohne Umschweife hervor und James schien überrascht. „Was passiert ist tut mir Leid.“ Es war nicht die einfallsreichste Entschuldigung und es war keinesfalls alles, was es zu sagen gab, doch Lily hoffte, dass es alles war, was sie sagen musste. Sie vergaß die Umstehenden und biss sich auf die bemalten Lippen. „Und jetzt?“, fragte James dann, nach einigen Momenten der Stille. Lily wusste nicht, was nun folgen sollte. Sie hatte sehnlichst gehofft, er würde ihr das sagen können. Eine Strähne seines mühevoll geglätteten Haares umspielte sein kantiges Gesicht. Lily musste unwillkürlich lächeln. „Freunde?“, fragte sie einer Eingebung folgend, doch James Augen blieben ausdruckslos. „Man sagte mir mal, eine Freundschaft zwischen uns beiden sei schier unmöglich.“, zitierte er. Lily bohrte ihren Nagel in die eigene Handfläche und erinnerte sich an ihre eigene Stimme, die einem damals für sie uninteressanten Jungen eine Abfuhr zu erteilen versuchte. 1:0. „Man sagte mir einmal, dass alles, was um uns herum zu sehen ist, die gemachten Aussagen schwer ins Wanken bringen sollte.“ Mit den eigenen Waffen geschlagen? Lily zitterte. James schien eine Weile zu brauchen, um das Gesagte einordnen und verstehen zu können, dann jedoch erschien ein Lächeln auf seinem Antlitz und Lily war, als fiele eine schwere Last von ihren Schultern. Ohne noch einen Moment zu zögern erhob sie sich auf die Zehenspitzen, schlang ihre Hände um seinen Hals und verlor sich in einer festen Umarmung. Seine starken Arme hielten sie fest und sein warmer Körper vertrieb die Gänsehaut von ihren nackten Beinen. Sie wollte nicht, dass der Augenblick verstrich, doch nach einigen Momenten registrierte sie, dass sie und James nicht die einzigen auf dem feuchten Gehweg waren. Über seine Schulter hinweg blickte sie in die verlegenen Gesichter der anderen, räusperte sich und ließ von ihm ab. Keiner der übrigen Anwesenden schien recht zu wissen, was zu sagen war. Remus begutachtete merkwürdig interessiert seine frisch geputzten Schuhe und Rosie war vom Anblick ihrer Nägel fasziniert. Lily blickte peinlich berührt umher, doch erst als Sirius ihren Blick auffing, wurde die Stille durchbrochen. „Da soll ich reingehen?“, fragte er verächtlich und deutete auf den Eingang der Drei Besen, in dem das Tanz-Turnier stattfinden sollte. Lily dankte ihm insgeheim für den Thema-Wechsel. Und auch der Rest der Meute blickte erleichtert auf. „Es sieht so aus.“, erwiderte Remus sofort. „Wo liegt dein Problem?“ Sirius zuckte die Achseln. „Was soll ich denn hier?“ „Wie wäre es mit tanzen.“, warf Rosie plötzlich ein und lächelte auffordernd. „Ich würde mich dafür opfern.“ Lily grinste. Dass Sirius Rosie gefiel, war allseits bekannt. Doch gerade als dieser den Mund aufmachen wollte, wurde er von James unterbrochen. „Ja, Sirius. Dich will ich tanzen sehen.“, lachte er und erntete eine verächtliche Grimasse. „Warts ab. Mit dir kann ich locker mithalten!“, funkelte Sirius, zog eine Braue in die Höhe und ohne noch eine Antwort abzuwarten wandte er den Fünfen den Rücken zu und bewegte sich auf die dicht gedrängte Menschenmenge zu, die sich vor dem Eingang des Lokales versammelt hatte. Viele schienen sich noch einen Moment Frischluft gönnen zu wollen, bevor sie sich aufmachten, die enge Bar zu betreten. Lily erinnerte sich zu gut an die Stunden, die sie in diesem kleinen, miefigen Pub verbracht hatte und fragte sich plötzlich, ob heute alle Paare und Zuschauer eine Sitzgelegenheit bekommen würden. Sirius hatte sich mittlerweile einen Weg durch das Gedränge gebahnt und war hinter der Ladentür verschwunden. Lilys Körper durchfuhr ein bekanntes Kribbeln. Langsam packte sie das Lampenfieber, das sie so viele Stunden lang erfolgreich verdrängt hatte. Sie war sich nicht sicher, ob sie Sirius folgen sollte, doch diese Entscheidung wurde ihr abgenommen. James hatte sie bereits am Handgelenk gepackt und zog sie mit sich in die Drei Besen. Lily wollte ihren Augen nicht trauen, als sie über die Schwelle der morschen Tür ins Innere der Kneipe trat. Seit ihrem letzten Besuch hatte sich einiges verändert, doch sie vermochte nicht zu sagen, ob die Verbesserung das Resultat des Tanzwettbewerbes oder eines neuen Ladensbesitzers war. Die Größe des Raumes erinnerte sie schwer an die Räumlichkeiten des Witchcraft Tanzlokales, die lederne Möblierung war geschmackvoll gewählt und schuf mehr als genügend Sitzgelegenheiten. Rötliches Dämmerlicht unterstrich die schummrige Atmosphäre und über einer großen Menge tanzender Paare prangte ein Banner mit dem Logo der Kesselwärmer. Im Augenblick aber waren die Angekündigten nirgends zu erspähen. Die Musik spielten einige ältere Herren, allesamt in Anzüge gekleidet. Doch James ließ Lily nicht viel Zeit, all dies zu bewundern und hinterfragen. Seine Hand fest an ihre geklettert zog er sie ein Stück weiter in den ungewöhnlich großen Saal hinein, fixierte eine rot gepolsterte Sitzecke und Augenblicke später ließen sie sich neben Sirius nieder. Sein verächtliches Grinsen war einer erstaunten Miene gewichen, als er sich lässig über den kleinen Holztisch beugte und begann, den aufwendig gestalteten Tischschmuck zu beäugen. Auch Nastia, Rosie und Remus ließen nicht lange auf sich warten und bald war die ganze Meute versammelt und begutachtete gespannt die umhertanzenden Paare. Auf Anhieb war zu erkennen, welche Tänzer zu James und Lilys Konkurrenz gehören würden. „Die sind sicher 20 Jahre älter als wir!“, gab Lily sofort zu bedenken, deutete auf die Fläche und bemerkte, wie sich langsam einige Schweißperlen auf ihre Stirn schlichen. James lachte aufmunternd, doch bevor er etwas sagen konnte, hatte Rosie das Wort ergriffen. „Fang bitte nicht jetzt noch an, dir Sorgen zu machen. Das hättest du dir früher überlegen müssen. Wir sind hier um Spaß zu haben.“, tadelte sie und, wandte den Blick und zog fordernd eine Braue in die Höhe. „Wo wir gerade beim Thema sind, Sirius, ich dachte du wolltest uns mit deinen Tanzkünsten erfreuen!“ Sirius lachte bloß verächtlich und für einen Moment erwartete Lily, er würde versuchen, sein Versprechen zu umgehen. Dann jedoch blickte er provozierend in Richtung James und erhob sich. „Wie ihr wollt.“, lächelte er und streckte Lily, zur allgemeinen Überraschung, auffordernd die Hand entgegen. Lily, die mit dieser Bitte ebenfalls ganz und gar nicht gerechnet hatte, schaute ein wenig verwirrt. „Ich?“ „Natürlich, wir zeigen was wir können!“ Lily zögerte, und bemerkte James stechenden Blick in ihrem Nacken. Doch je mehr sie über die Aufforderung nachdachte, desto besser gefiel ihr der Gedanke. James ist nicht der einzige, mit dem ich tanzen kann. Ein schnelles Lied klang an und so nickte sie, wurde bei der Hand gepackt und durch einen Wust von Armen und Beinen gezerrt. In der Mitte der Fläche kam sie Sirius gegenüber in Doppelhandfassung zum Stehen. Sein grinsendes Gesicht war in unmittelbarer Nähe und Lily fühlte sich ein klein wenig unwohl. Es war nicht so, dass dieser stattliche, muskulöse Mann auf irgendeine Weise unattraktiv gewesen wäre und doch lag er seit einigen Wochen nicht mehr in ihrem Interessenfeld. „Hast du je einen Tanzkurs besucht?“, fragte sie daher unsicher und Sirius Grinsen wurde noch breiter. „Seh’ ich so aus?!“, fragte er und verzog vielsagend das Gesicht. Lily hatte nichts anderes erwartet. Sie machte sich auf das Schlimmste gefasst, doch zu ihrer Verwunderung führte Sirius sie in eine wunderbare Tanzhaltung. „Na dann mal los!“, lachte er und auch Lily konnte ihre Belustigung nicht mehr verstecken. Die Musik beschleunigte und sie folgte Sirius improvisierter Führung. Die anfängliche Ungewohntheit verflog schnell und nach einigen verpatzten Schritten ließ sie sich von seinen unkoordinierten Bewegungen nicht mehr irritieren. Es war unglaublich lustig sich ohne Vorgabe zu bewegen und die Aktion gipfelte noch vor Ende des Liedes in einem gnadenlosen Lachanfall. „Ich sag’s doch, ich bin ein Naturtalent!“, prustete Sirius und führte Lily in eine ungeschickte Drehung. Seine Beine verhakten sich und Lily kam amüsiert zum Stehen. Skeptisch legte sie die Stirn in Falten. „Wie war das, du Naturtalent?“ Er grinste und wollte gerade erneut ihre Hand packen, als die Musik verstummte. Erleichterung machte sich in Lilys Körper breit. Der Tanz war eine spaßige Erfahrung gewesen und doch hatte sie nicht vor, ihre Füße ein weiteres Mal dermaßen zu massakrieren. Sie war sich jedoch nicht sicher, wie sie Sirius dies begreiflich machen sollte, ohne ihn zu verletzen. Einer kurzen Pause folgte das Einsetzen schummriger Musik. Sie schien keinen bestimmten Takt zu verfolgen und schnell war die Fläche gerappelt voll von dicht umschlungenen Paaren. Lily wurde ein wenig mulmig zumute. Unsicher begutachtete sie ihre Nägel, als eine dunkle Stimme sie aus den Gedanken riss. „Darf ich ablösen?“ Lilys Herz machte einen ungeschickten Hüpfer und sie fühlte ein bekanntes, schwindelerregendes Gefühl in sich aufsteigen. Langsam wandte sie den Blick und sah James Potter in seiner vollen Größe vor sich stehen. Er überragte selbst Sirius um einige Zentimeter. Dieser legte fix den Arm um Lily und schaute James provozierend entgegen. „Du meinst doch nicht wirklich, dass ich diese Schönheit einfach so hergebe?“, grinste er. Schönheit? Hat Sirius Black gerade dieses Wort in den Mund genommen? James schien nicht minder verwundert, als sie. „Was willst du?“, lachte er ein wenig verwirrt. „Aus deinem Mund hören, was für ein fabelhafter Tänzer ich bin.“ Lily musste unwillkürlich schmunzeln, doch James runzelte bloß die Stirn. „Ich…“, stotterte er. Sirius ließ sich nicht beirren. Er zog Lily dichter an sich heran, die belustigt James verdatterte Miene begutachtete. „Na?“ James zögerte kurz, dann rollte er mit den Augen. „Ja Sirius, du bist ein Naturtalent.“ Augenblicklich löste sich der Arm um Lilys Schulter und Sirius trat einen Schritt zurück. „Mehr wollte ich ja gar nicht hören!“ Lily wusste nicht, was nun zu tun war. Sie wollte nicht mehr, als den Moment hinauszögern, in dem sie James braunen Augen entgegenblicken musste. Doch James beugte sich mithin weniger Augenblicke zu ihr hinunter. „Ich hab dich vermisst.“, hauchte er und Lily schloss augenblicklich die Augen. Sie wusste nicht, was genau er damit sagen wollte, doch es war ihr gleich. Ich habe dich auch vermisst. Die ganze Zeit. James Lippen striffen ihren bloßen Hals und Lily fühlte einen Schwall der Erregung in sich aufsteigen. Seine kräftigen Hände packten sanft ihre nackten Arme und führten sie hinauf zu seinen Schultern. Lily spürte, wie seine zarten Fingerkuppen ihre Taille berührten. Hör nicht auf. Eine Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper und sie trat dicht an ihn heran. Sie spürte die Stärke seiner massiven Brust und ließ sich mit einem tiefen Seufzer der Entspannung sinken. Während sie sich langsam im Takt der Musik bewegte, roch sie James süßen Duft und verfiel wohltuende Träumereien. Seine Nähe und Wärme umgab sie und Lily fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Sie sträubte sich nicht gegen seine vertrauten Berührungen, die angenehmen Empfindungen waren eine Befreiung der gewohnten Last. Vorsichtig zeichnete James die Konturen ihres Körpers nach. Seine erfahrenen Hände waren zaghaft und liebkosten genau die richtigen Stellen. Lily atmete schwer. Sie wollte nicht von James ablassen, doch ihre Wünsche blieben unerhört. Die beruhigenden Töne der Musik wurden unsanft von einer schrillen Stimme durchbrochen: „Ich bitte auch die letzten Wettbewerbsteilnehmer, sich in den ausliegenden Listen einzutragen. Sobald festgestellt ist, dass alle anwesend sind, steht dem Beginn des Wettbewerbs nichts mehr im Wege.“ Lily stöhnte auf und hob den schweren Kopf. Die plötzliche Störung holte sie je in die Realität zurück. Auftritt? In einigen Minuten? Sie erschauderte. Die Ruhe wich aus ihrem Körper und machte einer unangenehmen Aufregung Platz. James schien nicht minder überrascht und blinzelte ihr unsicher entgegen. Seine Finger lösten sich von ihrer Taille und suchten selbstsicher nach den ihren. „Komm!“, hauchte er und zog sie ohne weiteres mit sich. Lily nickte bloß und ließ all dies über sich ergehen. Ihre Knie hatten sich noch nicht von den romantischen Momenten erlöst und ihr Puls schlug weiterhin ungewohnt schnell. Sie war merkwürdiger Weise wütend auf die immer noch auf dem Podium stehende Dame. Doch James ließ ihr keine Zeit für Schuldzuweisungen. Hastig zog er sie durch die Menge von umschlungenen Körpern. Durch das düstere Zwielicht erkannte Lily die schemenhaften Umrisse des Tisches, auf den sie sich zu bewegten. Eine junge Frau hatte sich davor niedergelassen und kritzelte nervös auf einem Stück Pergament herum. Sie war sehr in Eile und versuchte verzweifelt, den immer größer werdenden Menschenmassen ihre Plätze zuzuweisend, während sie die Namen der noch fehlenden Tänzer eintrug. James kam vor dem Tischchen zum Stehen und räusperte sich: „Entschuldigen Sie, wir haben uns noch nicht eintragen lassen. James Potter und Lily Evans.“, sagte er. Die Dame hob nur flüchtig ihren Blick und nickte. Ihr rotes Haar war fettig und ungepflegt. „Nehmen Sie bitte auf den bereitgestellten Sesseln am Rand der Fläche Platz.“, befahl sie. „Sie haben nicht mehr viel Zeit.“ Lily ließ den Blick durch die volle Kneipe schweifen und erkannte erst nach einigen Momenten eine Reihe von nummerierten Stühlen, bereits von mehreren Paaren besetzt. „Dort drüben!“, sagte sie und deutete auf die erspähte Stelle. „Wir scheinen die letzten zu sein.“ James lächelte matt und zog sie an dutzenden von Sitzecken vorbei. Lily erblickte nicht wenige ihrer Mitschüler, die bei ihrem Anblick beeindruckt die Augen weiteten, ihr Glückwünsche zuriefen oder über die Menge hinweg die Daumen in die Höhe reckten. Doch all dies erschien ihr merkwürdig unwirklich und auch Professor McGonagal, die sich erst zu ihnen gesellte, als sie bereits Platz genommen hatten, nahm Lily nicht wirklich war. „Das halbe Kollegium ist gekommen, um ihrem Auftritt beizuwohnen.“, sagte die Lehrerin, die eine schwarze Abendrobe trug, und blickte mit vorfreudigem Blick auf die beiden hinunter. „Ich will doch hoffen, dass sie sich alle Mühe geben werden.“ Zwinkern. Lily war fasziniert vom Anblick der jungen Lehrerin, die am heutigen Tage von ihrem Dutt abgelassen hatte. Sie wirkte unglaublich befreit und wurde zum ersten Mal seit langer Zeit ihrem Alter gerecht. James jedoch schien von alledem nichts zu bemerken. „Sie wissen doch, wie zuverlässig ich bin, Professor.“, grinste er, und auch McGonagal schien sich ein Lachen nicht verkneifen zu können. „Dann weiß ich ja auch, was mich erwartet…“, frotzelte sie, erhob sich, auf den Wink eines Angestellten und nur einen kurzen Lidschlag später war sie im Meer der Menge untergegangen. Lilys Hände begannen zu zittern und ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihr breit. Erwartungen. Alle haben Erwartungen. Sie versuchte sich zu beruhigen, doch das in ihr aufsteigende Lampenfieber war nicht zu bändigen und so hob sie ängstlich den Blick. „Ich habe Angst.“, sagte sie. Sie wusste nicht genau, was sie sich mit diesem Satz erhoffte, doch sie ahnte, dass James ihre unkontrollierte und zittrige Stimme richtig deuten würde. Ein ruhiges Lächeln erschien auf seinem Antlitz. „Komm her!“, forderte er und klopfte sanft auf seinen eigenen Schenkel. Lily zögerte einen Moment, dann aber erhob sie sich und machte es sich auf seinen Beinen gemütlich. Sie spürte, wie zwei kräftige Arme sich um ihre Taille schlossen, lehnte sich zurück und schmiegte sich dicht an seine wärmende Brust. Nach einigen Minuten wurde die Stille durchbrochen. „Jetzt geht es wohl los.“, flüsterte James und deutete auf den abgesteckten Tanzbereich, der bereits von demselben Angestellten frei geräumt worden war, der auch McGonagal verscheucht hatte. Die älteren Herren waren verschwunden und anstelle der kleinen Bühne waren nun bloß einige Instrumente auf dem Boden bereitgestellt. Ein reges Gemurmel erhob sich und erhitzte die Atmosphäre. Lily zog eine Braue in die Höhne und setzte sich auf. Ihre Hände suchten die James und klammerten sich gespannt daran fest. Ein großer, akkurat gekleideter Mann trat in die Mitte der Fläche, dirigierte einen Tusch und verschaffte sich mit einem kurzen Räuspern die gewollte Aufmerksamkeit. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte Lily ihn als den Sänger der Kesselwärmer. Sein Erscheinungsbild hatte sich jedoch vollkommen verändert. Lily bewunderte diesen Stilbruch. „Ich heiße Sie alle herzlich willkommen!“, begrüßte er nun und ließ den Blick professionell durch den Raum schweifen. „Dies ist unser erster offizieller Tanzwettbewerb, doch wie Sie sehen, steht mir auch dieser Aufzug unheimlich gut!“ Mehrere Anwesende lachten. „Unsere Paare haben alle lange auf diesen Tag hingearbeitet, um heute eine ganz besondere Auszeichnung mit nach Hause zu nehmen.“ Lily wurde augenblicklich hellhörig, als einige leicht bekleidete Frauen die große goldene Trophäe in Gestallt eines Kessels präsentierten und sie mit einem leichten Schwenk ihres Zauberstabes in der Luft zum Schweben brachten. Lily hatte sich schon lange gefragt, welcher Preis ausgeschrieben worden war und dem verwunderten Beifall nach zu urteilen, hatte der größte Teil der Zuschauer ebenso wenig Ahnung gehabt wie sie. „Nun möchte ich Ihnen aber unsere 20 Paare nicht weiter vorenthalten. Begleitet von unserer Musik und unter der strengen Bewertung von 5 Kampfrichtern nun das Paar mit der Startnummer 1: Christina Goyle und Bartimäus Red, mit einer SAMBA!“ Das Publikum applaudierte, als das Pärchen, bestehen aus einer recht stämmigen, blonden Frau und ihrem schlaksigen Partner, die Tanzfläche betrat. Die breite Hexe trug ein unvorteilhaftes Kleid und sah nicht aus, als könne sie sich besonders gut bewegen. Lily atmete auf und bemerkte, wie sich auch James angespannte Haltung ein wenig lockerte. Wie es aussah waren ihre Chancen nicht so gering wie angenommen. Die ersten, flotten Takte klangen an und die Zuschauer verschwanden abrupt im Dunkel der erlöschenden Lichter; die Fläche selbst aber wurde in grünen Schimmer getaucht. Als jedoch die Auftretenden mit ihrer Kür begannen, wurde Lily ihrem eben errungenen Optimismus ledig. So froh sie noch vor Sekunden über die fragwürdige Erscheinung der beiden gewesen war, so betrübt war sie nach dem Begutachten der ersten Schritte. Ihre Konkurrenten waren ein eingespieltes Team, ihre Bewegungen waren flink und wunderbar anzuschauen. Lily sank in sich zusammen. Na das kann ja was werden. Wie eisige Wassertropfen hagelten die Gedanken auf sie ein- wenige Augenblicke später applaudierte das Publikum und Lily erschrak. Das war es bereits? Nervös schaute sie auf ihre eigene Startnummer und hoffte, sich an die falsche Zahl zu erinnern. Doch das tat sie nicht. Groß und deutlich prangte die Nummer Zwei auf ihrem Hocker. Das Herz rutschte ihr in die Hose und eine unaufhaltsame Hektik erfüllte ihren gesamten Körper. Wie viel Zeit hatte sie noch? Erschrocken wandte sie ihr Gesicht und fixierte James. „Ich kann das nicht!“, hauchte sie in aufkeimender Panik, doch er lächelte nur. „Lass dich einfach gehen!“ Und mit diesen Worten packte er behutsam ihr Handgelenk, schob sie sanft von seinem Schoß und erhob sich. Sein Aufbruch führte Lily augenblicklich vor Augen, dass es nun kein Zurück mehr gab. Wie in Trance sah sie den Moderator auf sich zukommen, schüttelte seine Hand, lauschte seinen Einweisungen und seiner lauten Ankündigung. Die Welt schien sich ohne sie zu drehen und erst beim Betreten der Tanzfläche schaltete sich Lilys Wahrnehmung wieder ein. Ich will hier raus! Nach der wochenlangen Vorbereitung kam dieser Moment viel zu plötzlich. Sie spürte James starken Arm auf ihrem Rücken und legte ihren Kopf auf seine breite Schulter. Dir bleibt nichts anderes übrig. Aus dem Augenwinkel konnte sie erkennen, dass der Raum in einen rötlichen Schimmer getaucht wurde, als der Moderator die letzten Silben anklingen ließ: „…mit einem feurigen Tango-Argentino!“ Die Worte hallten in Lilys Kopf wieder und hinterließen eine unangenehme Leere. Dann erklang die schummrige Musik, langsam erfüllte sie auch die hintersten Ecken des Raumes und erhitzte die Atmosphäre. Lily sog James unvergleichlichen Duft in ihre Lungen und spürte die bekannte Erregung in sich aufkochen. Doch sie rief sich zur Ordnung. Erst einmal hatte sie anderes zu tun. Mit geschlossenen Augen wartete sie auf James erste Führung und ließ sich auf sein Kommando nach hinten fallen. Ihren Schenkel fest an den seinen gepresst, ein Bein angewinkelt, spürte sie seinen Blick auf sich ruhen und seufzte tief.  Das Publikum johlte und Lily fasste neuen Mut. Kontrolliert schwang sie ihre Beine umher, die erste Drehung gelang, und nach ein paar ungewissen Schritten genoss sie es ungemein, sich abrupt in James Arme gleiten zu lassen. Einer schnellen Fallfigur folgte der plötzliche Halt, die Musik wandelte ihren Klang, wurde langsam und leidenschaftlich und spannte die Atmosphäre ins Unermessliche. Keuchend vor Verlangen und Anstrengung zog James sie langsam an sich. Näher und näher kamen sich ihre beiden Gesichter und Lilys Antlitz kam nur Zentimeter vor dem seinen zum Halten. Seine Männlichkeit ließ sie erzittern und seine erfahrene Hand berührte sie umsichtig. Lily fixierte ihn und keuchte. Das Publikum starrte wie gebannt auf das Paar am Rande der Fläche und traute sich nicht, sich zu regen. Grazil hob Lily ihr Bein, führte es seine muskulösen Waden entlang und spürte, wie sein Körper zu beben begann. Den Blick verspielt und schelmisch auf sein Gesicht gerichtet, fuhren ihre langen Finger seinen Hals hinauf und liebkosten seine vollen Lippen. Sie genoss die Rolle der Verführerin und beobachtete belustigt, aber auch erregt, wie James sich zu kontrollieren versuchte. Langsam befeuchtete sie ihre Lippen und näherte sich den seinen. Na, Lust bekommen? Dann setzte die Musik einen Akzent, Lily stieß ihn theatralisch von sich und machte sich daran in den Takt einzusteigen. Ihr Ausdruck saß perfekt, die Choreographie war tadellos und der schwarze Samt ihres Kleides umgarnte ihre Beine, wie ein lauer Sommerwind. Lily spürte einen unerwarteten Übermut. Nicht schlecht. Stolz keimte in ihr auf, der die restlichen Gedanken zu überschatten begann und erst der lose Riemen ihres Schuhs, rief sie in die Realität zurück. Während einer Figur bemerkte sie das Schuhwerk von ihren Füßen gleiten, zu spät um sich aus der verfänglichen Situation zu befreien. In nur einem Sekundenbruchteil machte sich die Hoffnung auf einen der vorderen Plätze rar, in nur einem Sekundenbruchteil verflüchtigte sich Lilys Stolz und hinterließ nichts weiter als ein unglaubliches Scharmgefühl. Sie schaffte es nicht, sich auf den Füßen zu halten und der Augenblick des Sturzes ließ sich nicht hinauszögern: Die erschreckten Gesichter, James überraschte Mine und das Erstarren der Musik. Der letzte Ton hing zäh und unvollendet in der Luft. Die Straßen Hogsmeades erstreckten sich leer und verlassen in jede beliebige Richtung, doch Lily hatte kein Ziel vor Augen. Nach einer peinlichen Abmoderation des Kommentators hatte sie nicht länger in den Drei Besen verweilen können. Ohne auch nur ein Wort zu wechseln, selbst ohne sich einen mitleidigen Blick auszusetzen war sie hinaus geeilt und hatte dieses Desaster hinter sich gelassen. Dicke Regentropfen hämmerten nun gegen ihre Schläfen und durchweichten in unglaublicher Geschwindigkeit den dünnen Stoff ihres Kleides. In der Ferne wurde eine Tür geöffnet und das Platschen von Schritten durchbrach die Stille des scheinbar verlassenen Städtchens. Lily wischte sich das Gemisch aus Tränen und Wasser aus den Augen und drehte sich in Richtung des Mondes, der sich groß und rund über den Weiten der Felder erstreckte. Was war geschehen? Warum war all das harte Training umsonst gewesen? Erst nach einigen Augenblicken bemerkte sie die sanften Fingerkuppen, die ihren schmalen Hals entlangfuhren, den Haaransatz hinauf; und ihr eine angenehme Gänsehaut bereiteten. Erschrocken zuckte sie zusammen, wehrte sich jedoch nicht. Es war nicht nötig sich umzudrehen, denn sie wusste genau, wessen Hand sie dort berührte. Und sie wusste ebenfalls, dass es genau dieses Geschehnis war, auf das sie insgeheim und ohne, dass sie sich selbst wirklich darüber im Klaren gewesen war, all die Zeit über hingearbeitet hatte. Die zärtlichen Finger begannen an ihrem Dutt zu nesteln, und mithin weniger Augenblicke wallte ihr das durchtränkte Haar über die nackten Schultern. Lily atmete tief ein und wandte sich um. Der Anblick von James nasser Erscheinung war atemberaubend. Ein winziger Tropfen perlte sich von seiner Wimper und fiel hinunter auf den Rand seiner vollen Unterlippe. „Ich hoffe, ich verstoße nicht gegen eine unserer Regeln.“, hauchte er leise, schmiegte seinen Kopf an ihren und ließ seinen Mund ihren Hals entlang streifen. Lilys Atem beschleunigte sich, als sie spürte wie sein Körper erzitterte. Er fasste ihren Kopf sanft zwischen beide Hände. Sie bemerkte seinen warmen Atem den Hals hinauf gleiten, wohl wissend, dass er nach ihren Lippen suchte. Doch sie sträubte sich nicht. Es war ein unvergleichlicher Moment, als er zärtlich mit der Zunge über ihre Oberlippe striff, sie verführte, den Mund weiter zu öffnen und sie seinen warmen Körper fühlte, der sich noch ein winziges Stück dichter an sie schmiegte. Und der Regen fiel prasselnd zu Boden. Ende