Kapitel 5 - -
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Vorbereitungen

[/SIZE]  Ein schriller Pfiff erfüllte den Bahnsteig, als Lily den Gleiß 9¾ betrat. Der Rauch aus den Schornsteinen der alten Lock stieg einige Meter hoch und verflüchtigte sich dann langsam, wie ein Dieb, der unerkannt zu entkommen versuchte. Lilys Blick schweifte über all dies nur flüchtig. Sie erspähte etwas völlig anderes. James Potter. Es war noch lange Zeit bis zur Abfahrt nach Hogwarts und der Bahnsteig füllte sich nur schleppend. Und obwohl Lily sich selbst dafür tadelte, wanderte ihr Blick wieder und wieder in Richtung ihm und seiner Freunde. „Weißt du was das ist, das du da so fasziniert anstarrst?“, riss sie plötzlich eine bekannte Stimme aus ihren Gedanken. Lily erschrak und wirbelte beschämt herum. Vor ihr erstreckte sich Rosie Baxstar in voller Größe und schaute sie anschuldigend an. Sie war groß, schlank und unnatürlich braun. Ihre kurzen, schwarzen Haare schmückte eine geschmackvolle, weiße Blume. Lily war erfreut ihre Freundin nach wochenlanger Trennung wieder ansehen zu können. Jedoch wusste sie genau, dass ihr gleich großes Donnerwetter bevorstand. „Hier siehst du zwei Exemplare einer aussterbenden Rasse. Freunde schimpfen sie sich. Ich kann natürlich verstehen, wenn du über solch banale Randgruppen nicht informiert bist. Darum will ich dich aufklären: Sie zeichnen sich vor allem durch eine Eigenschaft aus, die im Volksmund als Treue bekannt ist. Schon mal was davon gehört, du dumme Nuss?“, sie hatte ihre Stimme ein wenig erhoben und bei den letzten Worten gab sie Lily einen kräftigen Schubs in die Rippen. „Sag doch was! Warum hast du dich in den letzten beiden Wochen kein einziges Mal bei mir gemeldet?“ Lily war nicht im Mindesten überrascht von ihrer Wut. Rosie war nun seit einem Jahr eine ihrer engsten Freundinnen und sie hätte an ihrer Stelle nicht anders reagiert. „Es war alles ein bisschen kompliziert.“, erklärte sie daher fix, doch Rosie schien nicht überzeugt. „Wir haben ja jetzt genügend Zeit…“, sagte sie bloß und Lily wusste, dass sie nicht herumkommen würde, alles zu berichten. James sprang leichtfüßig aus einer der pferdelosen Kutschen. Vor ihm erstreckte sich Hogwarts in seiner vollen Größe. Die Zweige der Peitschenden Weide schwangen bedrohlich im Wind und in der Ferne erblickte er die dichten Baumkronen des Verbotenen Waldes. Er inhalierte tief und spürte, wie die kühle Abendluft seine Lungeflügel durchströmte. „Verdammt. Beweg dich, du Schwachkopf. Zum Atmen ist später noch Zeit!“, wurde er plötzlich von Sirius ermahnt, der ihn unsanft beiseite drängte, um ebenfalls ins Freie zu treten. „Ist doch alles in Ordnung, Sirius.“, ertönte dann eine dritte, beruhigende Stimme aus dem inneren des Wagons. Nun sprang Remus Lupin unter den dunklen, wolkenverhangenen Himmel, klopfte seinen Umhang gerade und setzte eine tadelnde Miene auf. Sein Gesicht wirkte ausgezerrt, und doch ansehnlich. Seine Bewegungen waren koordiniert und sein Gesamtbild war das eines ausgeglichenen, vernünftigen, jungen Mannes. Sirius hingegen präsentierte sich ungestüm und wild. „Du gingst mir den ganzen Sommer über schon auf den Sack.“, meckerte er nun. Seine Stimme klang tief und gereizt. „Nur weil dir Lily jetzt auch noch nachstielt, musst du keinen auf Romantiker machen.“ James drehte sich wütend um. Er hatte sich vorgenommen, sich unter keinen Umständen provozieren zu lassen, doch Sirius verstand es wie kein anderer, ihn auf die Palme zu bringen. „Halt dein Maul, du Schmarotzer! Du besorgst dir deine Weiber doch ausschließlich auf meine Kosten.“, keifte er zurück. Das war zu viel. „Sag das noch mal…“, drohte Sirius und hob die Faust. Er machte anstallten näher an James heranzutreten, doch sein Körper schien nicht fähig dazu. Einige Zeit strampelte und zappelte er, dann aber erschlafften seine Glieder. „Remus…“, begann er ein wenig gelangweilt. „Würdest du das bitte wieder rückgängig machen?“ Remus, der einige Meter entfernt stand, wedelte vergnügt mit dem Zauberstab und zuckte mit den Achseln. „Wenn du dich wieder beruhigt hast, könnte ich darüber nachdenken…“ Sirius nickte bloß. James lachte. Er brauchte die Streitereien mit Sirius. Sie waren so schnell beendet, wie sie angefangen hatten und dienten oft als Reaktionsabbau. „Alles kl…“, begann er nun, doch eine schneidende Stimme unterbrach ihn. „Potter! Black!“ Die Hauslehrerin Gryffindors, Professor McGonagal, kam mit hastigen Schritten auf die drei zugeeilt. Sie war eine junge Frau, die sich für ihr Alter recht konservativ und akkurat präsentierte. Es war ungewöhnlich sie hier draußen zu sehen. Normalerweise leitete sie die Zeremonie zur Einteilung der neuen Schüler. „Falls es ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte“, prustete sie schon aus einigen Metern Entfernung und raffte ihren Rock. „Sie sind die einzigen, die sich noch auf dem Gelände befinden. Ich warte bereits seit einiger Zeit auf sie, Potter!“, schimpfte sie und machte eine scheuchende Handbewegung. „Auf jetzt! Lupin, Black, sie begeben sich bitte zum Haupteingang. Und zwar zügig. Sie, Potter, kommen mit mir.“, kommandierte sie. James blickte ein wenig verwirrt umher und auch Lupin schien verdattert. Sirius aber grinste schief und schien sich köstlich zu amüsieren. „Geschieht dir Recht!“, flüsterte er im Vorbeigehen und gab ihm einen Stups in die Rippen. Dann entfernten sich die beiden und James folgte McGonagal in Richtung Hintereingang. Es kam nicht selten vor, dass die Hauslehrerin mit ihm sprechen wollte, doch dass sie sich zu dieser Zeit von ihren Pflichten entband, war ihm neu. Fiebrig überlegte er, welche seiner Missetaten von solch großem Belang sein könne, doch nichts schien ihm bedeutend genug. Professor McGonagal führte James durch einen kleinen Hintereingang, den er bereits selbst einige Male in Anspruch genommen hatte, hinein ins Schloss, dann durch ein paar schmale Korridore geradewegs zu ihrem Büro. „Professor, “, setzte James an, doch ihm wurde, zum zweiten Mal an diesem Abend, das Wort abgeschnitten. „Machen sie sich keine Sorgen Potter, sie haben nichts verbrochen. Ausnahmsweise möchte ich sie aus anderen Gründen sprechen.“, lächelte sie und zwinkerte. James stutzte. Professor McGonagal, die distanzierteste Frau, die er überhaupt kannte, hatte tatsächlich gezwinkert. Was, verdammt noch mal, ging hier vor sich? Die Tür öffnete sich und James Ungewissheit wich erneutem Erstaunen. Vor ihm, auf einem von McGonagals Stühlen, hatte die wohl „zweit-distanzierteste“ Frau, die ihm bekannt war Platz genommen: Lily Evans. Sie hatte die Beine überschlagen und wirkte ein wenig verärgert. James Herz machte einen kleinen Hüpfer, doch er bemerkte es kaum. Er wollte nicht. Er trat über die Schwelle ins Innere des Raumes und entdeckte, dass Lily nicht die einzige war, die Platz genommen hatte. Ein Stück weiter links im verdunkelten Zimmer saß eine junge, schlanke Frau. Sie hatte schulterlange, blonde Haare und hübsche Gesichtszüge. Sie sah atemberaubend aus. James starrte sie einen Moment lang an. Dann erhob sie sich und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen.