Kapitel 4 - -
[SIZE=25]

Stumme Schreie

[/SIZE]  „Lily, bitte tu mir doch den Gefallen. Oder wenigstens meiner Mutter“, flehte James, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sein Zimmer sah aus, wie Lily es sich vorgestellt hatte. Die Wände waren verkleistert mit Postern diverser Quidditch Spieler, die Möbel waren verstaubt, die Regale unordentlich. „Schieb nicht immer deine Mutter vor!“, ermahnte sie ihn nun und schritt im Zimmer auf und ab. „Ich denke du bist alt genug um mir zu erklären was DU willst. Deine Mutter wird es schon verkraften, wenn du ihr erklärst, dass ich nicht zum Abendessen bleiben möchte.“ James blickte sie einen Moment lang an. Die Stille war erdrückend und sein Atem rasselte gleichmäßig, wie das unermüdliche Ticken eines in die Jahre gekommenen Uhrwerks. „Es würde sie sicher traurig stimmen…“, begann er, doch Lily ließ ihn nicht ausreden. „Pack sie doch nicht so in Watte!“ „Die Einzige, die hier in Watte gepackt wird bist du!“ Seine Stimme hatte sich erhoben und Lily hielt ein wenig erstaunt inne. „Lily“, begann er dann, nach einem Moment der Stille, von neuem und seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig. „Du reagiert auf jede kleine Bitte von mir explosionsartig. Ich gebe zu, ich möchte, dass du mit uns zu Abend isst, aber bevor du sofort verneinst, schiebe ich meine Mutter vor. Ich weiß, wie du von mir denkst. Aber ich möchte, dass du begreifst wie ich wirklich bin. Dass du erst über mich urteilst, wenn du mich wirklich kennst.“ Diese offenen Worte brachten Lily in Verlegenheit. Er lag richtig, wenn er sagte, dass sie schnell überreagierte … allerdings waren seine Annäherungsversuche wirklich deutlich zu bemerken. „James… ich…“, stammelte sie, doch sie war sich selbst nicht im Klaren darüber, was sie zu sagen hatte. „Ich habe dir bereits einmal gesagt, dass ich nicht von dir geküsst, gestreichelt oder sonst etwas werden möchte. Aber du scheinst es nicht zu begreifen.“, erklärte sie nach einigen Augenblicken und fixierte ihn. James kratzte sich ungewöhnlich lange am Oberarm, hielt ihrem Blick jedoch stand. „Eine Abmachung:“, begann er dann. „Wir lernen uns heute Abend näher kennen und ich unterlasse sämtliche Annäherungsversuche.“ Lily runzelte die Stirn. „Das hast du mir bereits einmal versprochen, wenn ich mich recht erinnere.“ „Vertrau mir einfach“ „Eine Freundschaft zwischen uns Beiden ist schier und möglich.“ „Vertrau mir.“ Einen Augenblick lang redete Niemand, dann aber lächelte Lily und nickte. James Miene erhellte sich sichtlich. Lily war sich nicht sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Was sollte dieses „kennen lernen“ bedeuten? Und zu welchem Zweck das Ganze? James schien fähig, ihre Gedanken zu lesen. „Es wird ganz praktisch sein, wenn du deine Abneigung mir gegenüber ablegst. Immerhin werden wir in den nächsten Wochen recht viel Zeit miteinander verbringen.“ Lily sagte nichts. Sie war sich der Wahrheit seiner Worte bewusst, wollte sich dies aber nicht recht eingestehen. „Wie soll dein ‚Kennen lernen’ denn aussehen?“, fragte sie nach einigen Momenten der Stille. „Wir können das Abendessen zubereiten.“ „Kochen?!?“ „Das war damit gemeint, ja.“ Verwirrt zwirbelte Lily eine Strähne um einen ihrer langen Finger. „Ich denke, man kann sich dabei ganz gut unterhalten.“, ergriff James erneut das Wort. Dann, ohne ihre Reaktion abzuwarten, packte er sie bei der Hand und zog sie umsichtig aus dem Zimmer hinaus in Richtung der mächtigen Wendeltreppe. Überrumpelt ließ Lily all dies über sich ergehen. „Und was kochen wir?“, lachte sie dann, während sie unkontrolliert hinter ihm die Stufen hinunter stolperte. Das dunkle, altmodische Holz der Treppe knarrte unter ihren Füßen und einige an den Wänden angebrachte Bilder lächelten freundlich. James zuckte bloß die Achseln und überquerte die letzte Treppenstufe. „Spagetti?“, schlug er vor. Lily verzog das Gesicht. „Zu gewöhnlich. Was hältst du von Tortellini?“ James nickte nur und führte sie über die Schwelle einer altertümlichen Holztür. Sie betraten einen großen Raum mit unnatürlich hohen Decken. Die umherstehenden Apparaturen wirkten altertümlich, und unterstrichen den mittelalterlichen Flair des Hauses. Auch in diesem Zimmer vermisste Lily ein wenig die Magie. „Und jetzt?“, fragte sie verwirrt. Sie war nicht gerade ein Meister der Zubereitung und ihre mickrigen Kochkünste hatten bereit so manches angewidertes Gesicht auf dem Gewissen. „Ich denke die Rezepte finden wir hier…“, murmelte James und verschwand in einem geräumig wirkenden Wandschrank. Und, zu Lilys erstaunen, erfüllte schon einige Minuten später das Brutzeln der gefetteten Pfannen die hohlen Gewölbe. Lily ließ sich auf einen vereinzelten Sessel fallen und musterte James, der eine Mehlschwitze anrührte. „Frag mich was!“, grinste er plötzlich, fixierte sie und lehnte sich lässig mit einem Arm an die Anrichte. „Ich soll was?“ Lily wusste nicht recht, was sie mit dieser Frage anfangen sollte. „Du wolltest mich besser kennen lernen, also frag mich etwas.“, erklärte er. „Denkst du nicht, dass wir für diese Frage- Antwort Spielchen ein wenig zu alt sind?“, erwiderte sie skeptisch, doch James wollte nichts von dieser Unterstellung wissen. „Zu alt sind wir erst, wenn wir uns zu alt dafür fühlen. Und wenn es uns weiter bringt… wieso nicht?“ Lily war sich nicht sicher, ob ihnen das Ganze etwas nützen würde, allerdings fühlte sie sich ein klein wenig ertappt und so ging sie auf seine Forderung ein. Mit einer unverfänglichen Frage konnte man nicht allzu viel verkehrt machen. „Lieblingsbeschäftigung?“ „Quidditch.“ „Welch wundersame Überraschung.“, frotzelte Lily. „Dann schieß du mal los.“ „Berufswunsch?“ „Etwas im Bereich der Medizin. Vielleicht im St. Mungo.“ James nickte. „Ich interessiere mich eher für Psychologie.“, erklärte er. „Schon immer?“ „Früher wollte ich für die Englische Nationalmannschaft spielen.“ „Hätte ich mir denken können.“ „Du scheinst mich doch zu kennen…“ „Nicht besser als der Rest der weiblichen Schülerschaft.“ James ließ sich von der Bemerkung nicht beeinflussen. Die Entwicklung des Gespräches schien ihn fast zu amüsieren. „Und du? Was hast du dir vorgestellt, auf der Grundschule?“ „Die Wissenschaft hat mich interessiert. Das tut sie auch heute noch. Vor allem Weltraumforschung.“ James blickte ein wenig skeptisch. „Was ich über die Weltraumforschung der Muggel gehört habe hat mich keinesfalls begeistert.“, sagte er. „Ach nein?“ „Sicher nicht. Es ist ihnen erst vor einigen Jahren gelungen auf dem Mond zu landen. Und was tun sie als nächstes? Sie bauen eine Sonde, die den Mars in Angriff nehmen soll. Die Muggel kommen nicht einmal auf unserem Planeten wirklich zurecht.“ Lily fühlte sich ein wenig überrumpelt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sich James, gebürtiger Zauberer, mit Technologie und Weltraumforschung auskannte. „Die Erforschung von Marsgesteinen könnte unglaubliche Mengen an Wissen liefern.“, konterte sie. „Und was hätten wir davon? Ein paar Stoffe mehr im Periodensystem und rund 10 Millionen Dollar weniger in der amerikanischen Staatskasse.“ „Wie kommt es, dass du dich damit beschäftigst?“ „Die Tatsache, dass ich Kind einer Zauberfamilie bin heißt nicht, dass ich mich ignorant gegenüber meinen Mitmenschen verhalte.“ Lily nickte anerkennend. „Du erstaunst mich.“ „Stille Wasser sind tief.“ „Na ja. Die Stille deines Wassers zweifle ich stark an.“ James grinste. Und auch Lily konnte ihr Lächeln nicht verbergen. Sie musste zugeben, dass er Recht gehabt hatte: Sie war zu voreingenommen gewesen. „Darf ich dich noch etwas fragen?“, bat er nun und begann geschickt eine Soße anzurühren. „Nur zu.“, erlaubte Lily. „Was ist deine größte Angst?“ Lily wusste nicht, ob sie ihm eine Antwort auf diese Frage geben sollte. Sie war bereits recht persönlich und James war ihr immer noch kein Vertrauter. Doch sie gab sich einen Ruck. „Es scheint sehr subtil. Aber ich denke die Angst vor der Einsamkeit. Dem Alleinsein.“ James nickte nur. Dann ergriff er einen bereitgestellten Kochtopf, füllte ihn mit Wasser und entfachte mit dem Zauberstab ein Feuer unter einer Herdplatte. „In welcher Form?“, fragte er schließlich. „Ich habe keine Angst davor, allein in einem verlassenen Zimmer zu sein, wenn du das meinst. Es ist mehr die Panik, in einem überfüllten Raum zu stehen, und sich verlassen zu fühlen. Wie sieht es bei dir aus?“ „Ich glaube, wenn ich wirklich darüber nachdenke, dann habe ich Angst vor Kontrollverlust. Meine Gefühle, oder sogar mich selbst nicht mehr in der Gewalt zu haben, scheint für mich nicht vorstellbar.“ Stille. „Noch eine Frage!“, forderte Lily. „Kein Problem.“ „Schieß los.“ James grinste. „Was für eine Konfektionsgröße trägst du?“ Erst nach wenigen Sekunden drang die Bedeutung des Satzes an Lilys Ohr. Sie wollte einen empörten Gesichtsausdruck aufsetzten, doch dies gelang ihr nicht. Sie konnte ihr Lachen nicht unterdrücken und so prustete sie los, griff nach einem nahe liegenden Abtrockentuch, holte weit aus und ließ es, mit einem lauten Knall, auf ihn sausen. „Hey…“, protestierte er, packte sie blitzschnell und versuchte ihr das Handtuch zu entwenden. Lily kreischte und flüchtete lachend, als James seine Arme um sie schlang. „Hier geblieben.“, grinste er und wollte sie gerade in Richtung Türe tragen, als Lily sich umwandte, ihre Hand befreite und begann, ihn zu kitzeln. James gab sich augenblicklich einem schallenden Lachanfall hin und sank prustend zu Boden. Sie hatte seinen schwachen Punkt entdeckt. „Na? Gibst du auf?“, keuchte sie und James blieb nichts anderes übrig als resignierend zu nicken. Siegessicher erhob Lily sich und wollte gerade die überkochende Soße bearbeiten, als zwei Hände sie aus dem Hinterhalt ergriffen und hinunter zogen. Überrumpelt fand sich Lily auf dem gefliesten Boden wieder, über ihr kniend, erblickte sie James, dessen Antlitz sich nun in unmittelbarer Nähe vor ihrem eigenen Gesicht befand. „Und? Wer hat jetzt gewonnen?“, hauchte er und Lily fühlte sich plötzlich furchtbar unsicher in ihrer eigenen Haut. Ein angenehmer Schauer durchfuhr sie, doch sie unterdrückte jegliche Form der Erregung. Einen Moment lang lächelte James, dann stemmte er sich plötzlich auf die Füße und klopfte sich den Dreck von der Hose. „Ich hoffe ich bin dir nicht zu nahe gekommen.“, grinste er und streckte Lily die Hand entgegen, um sie zu sich hinauf zu ziehen. Lily biss sich auf die Lippe. In diesem Moment bereute sie ihre gestellte Forderung. „Wann üben wir das nächste Mal?“, fragte sie daher schnell und strich sich die Haare aus der Stirn. James zögerte kurz. „Ich denke, es dürfte genügen, dass nächste Training in Hogwarts anzusetzen.“ Und mit diesen Worten schnappte er sich einen nahe gelegenen Schneebesen.