Kapitel 1 - -
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Weiße Schatten

[/SIZE]  Plopp, Plopp, Plopp... Wassertropfen fielen in regelmäßigen Abständen aus dem schlecht verschlossenen Wasserhahn und zersprangen am Boden der Wanne, wie unvorsichtig behandelte Glaskugeln. Lily lehnte an der wohlig warmen Heizung und beobachtete das Schauspiel, während ihr klar wurde, was sie am heutigen Abend erwartete. Sie hatte eine Verabredung mit James Potter, dem Jungen, gegen dessen Einladungen sie sich jahrelang gewehrt hatte. Sie hatte ihm tatsächlich zugesagt? War sie etwa dem "sagenumwobenen Pottercharme" erlegen? Lily schüttelte energisch den Kopf, als wollte sie einen Unsichtbaren von ihrer Unschuld überzeugen. "Lily!", riss sie plötzlich eine genervte Stimme aus ihren Gedanken. "Wie lange hast du noch vor das Bad zu blockieren? Du solltest mittlerweile sauber genug sein!" Sie vernahm ein lautes Klopfen an der Tür und ihre Schwester begann erneut zu quengeln. "Lilieeee!", kreischte sie. "Du bist nicht die Einzige, die da rein muss!" Lily schüttelte entnervt den Kopf, band ihren Bademantel fest um die schlanken Hüften und öffnete die Tür. "Danke.", murmelte Petunia und drängte sich an ihr vorbei ins Bad. Unschlüssig fuhr sich Lily durch die nassen Haare, verweilte eine Weile reglos vor der Badezimmertür und machte sich dann auf den Weg in ihr Zimmer. "Lily?", wurde sie erneut verlangt, diesmal allerdings war es ihre Mutter, die sprach. "Warte mal bitte...", forderte sie und lächelte verschmitzt. Lily zog eine Braue in die Höhe, gespannt was sie wohl erwartete. "Weißt du schon, was du heute Abend tragen wirst?", fragte Mrs. Evans und legte verschwörerisch grinsend einen Arm um ihre Tochter. "Nein. Und ich habe mir eigentlich auch noch keine...", begann diese, wurde jedoch augenblicklich von ihrer Mutter unterbrochen. "Wusste ich es doch!", rief sie triumphierend und bugsierte Lily sanft in das nahe gelegene Schlafzimmer. "Du darfst diese Verabredung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Mir hat dieser junge Mann wirklich gut gefallen! Er ist so zuvorkommend und lustig...", schwärmte sie, bedeutete Lily auf dem Bett Platz zu nehmen und öffnete die Türen ihres riesigen Kleiderschranks. "Mama...", stöhnte Lilly entnervt und ließ sich rückwärts auf das zusammengelegte Bett fallen. "Du willst mir doch nicht allen Ernstes etwas aus deinem Kleiderschrank andrehen." Doch ihre Mutter hörte ihr nicht zu, sie wühlte gedankenverloren in den Tiefen ihres Schrankes und murmelte vor sich hin: "Ich hab es hier irgendwo. Ich muss es doch...", und warf ein paar vereinzelte Kleidungsstücke rücklings auf ihr Bett. "Da ist es!", rief sie plötzlich und hielt ein dickes, in Papier gewickeltes Paket in die Höhe. Vorsichtig machte sie sich an dem Verschluss zu schaffen und redete dabei mit vorfreudiger Stimme auf Lily ein: "Weißt du, so einen Mann trifft man nicht oft. Du musst dich schon ein bisschen in Schale werfen...“ Und mit diesen, zweifelhaften Worten zog sie einen wundervollen schwarzen Petticoat aus der Papierhülle. Lily war erstaunt. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass solche Schätze im Schrank ihrer Mutter zu finden waren. "Mama? Woher...", stotterte sie und schaute ihr mit großen, verwunderten Augen entgegen. "Ich habe ihn eigentlich für Petunia gekauft...", begann diese und senkte ihre Stimme. "Sie weiß es nicht, also erzählen wir ihr lieber nichts davon. Allerdings bekomme ich auch langsam den Eindruck, dass sie und Vernon nicht vorhaben, einmal zusammen tanzen zu gehen." Lily gluckste, es war eine seltsame Vorstellung sich den Freund ihrer Schwester auf dem Parkett vorzustellen. Er hatte mehr als nur ein paar Kilo zu viel und Lilys Mutter hatte Petunia bereits diverse Diätpläne aufgedrängt, die sie ihm einmal vorlegen sollte. Doch Petunia zog es anscheinend vor mit ihrem Freund in teuren Restaurants zu speisen. "Möchtest du ihn anziehen?", lächelte ihre Mutter nun und Lily nickte freudig. "Dann mach mal, dass du fertig wirst. Es ist schon zehn nach sechs und wir müssen dir auch noch die Haare machen...", sagte ihre Mutter zerwühlt, drückte ihr das Kleid in die Hand und wollte gerade aufgeregt einige Bürsten zusammensuchen, als Lily sie am Handgelenk zurückhielt. "Mama, bleib bitte auf dem Teppich.“, tadelte sie und beobachtete, wie ihre Mutter den Kopf sinken ließ. „Ich möchte mir einfach einen netten Abend machen, mit einem Jungen, mit dem ich lange Zeit zerstritten war. Übertreib’ es nicht“ Mrs. Evans seufzte. "Es tut mir Leid.", murmelte sie "Es ist alles ein bisschen viel für mich.“ Lily schaute sie eine Zeit lang an, ohne zu wissen, was sie sagen sollte. "Mama, ich...", begann sie, doch ihre Mutter lächelte nur: "Jetzt mach endlich. Vielleicht macht Petunia dir die Haare. Sie kann das sicher besser als ich." Und mit diesen Worten gab sie Lily einen Stups und schob sie aus dem Schlafzimmer. Aufgeregt blickte Lily auf die Zeiger der alten, in der Diele tickenden Standuhr und nestelte am Saum ihres neuen Petticoats. Sie musste zugeben, dass sie sich recht gut darin gefiel, doch auch das schönste Kleid konnte ihr nicht die Angst davor nehmen, sich zu blamieren. Sie hatte seit langer Zeit nicht mehr getanzt und war nicht sicher, ob sie noch viel zustande bringen würde. Die Klingel riss Lily aus ihren Gedanken. Schnell fuhr sie sich ein letztes Mal durch die Haare, übersah ihre Eltern, die neugierig die Köpfe aus der Küche streckten, und öffnete angespannt die Haustür. Ein selbstbewusster James Potter lehnte ihr gegenüber am Rahmen und lachte sie herausfordernd an. „Na?“, grüßte er und grinste verschmitzt. Er trug einen schwarzen Anzug, der seine breiten Schultern wunderbar zur Geltung brachte, und sein zerwühltes Haar unterstrich verspielt seine kantigen Gesichtszüge. „Ich denke, wir können gleich aufbrechen?“, fragte Lily, die sich unter den Blicken ihrer Eltern sichtlich unwohl fühlte. Auch James schien die Beiden bemerkt zu haben, denn er lachte kurz, nickte und ohne noch ein Wort an die Beobachter zu verschwenden zog er Lily sanft ins Freie und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. „Hast dich wohl ein bisschen unwohl gefühlt…?“, lachte James und schlenderte neben Lily die schmale Auffahrt entlang. Trotz der recht späten Stunde war es noch hell in den Straßen von Stamford Hill, der morgendliche Wind hatte sich verzogen und war zu einer leichten Brise geworden, die nur hin und wieder ein paar Zweige der umstehenden Hecken leise rascheln ließ. Lily lehnte sich an das kleine Gartentor, das den Gehweg vom Grundstück der Evans trennte und schaute James erwartungsvoll an. „Und nun?“, fragte sie, da sie erst jetzt bemerkte, dass sie nicht wusste, wohin die Reise eigentlich gehen sollte. „Überraschung...“, sagte James und lächelte ihr viel sagend zu. Lily war sich nicht sicher, was sie von dieser Aussage zu halten hatte und so schaute sie ihn eine Zeit lang eindringlich an. „Halt dich fest, wir apparieren.“, forderte er dann und deutete auf seinen freien Arm. Verwundet griff Lily zu und im nächsten Moment spürte sie ein merkwürdiges Ziehen in der Magengrube. Einen kurzen Moment fühlte sie sich unangenehm zusammengedrückt, dann landete sie mit beiden Füßen auf asphaltiertem Boden und blinzelte neugierig um sich. Sie waren auf einer breiten Straße gelandet, doch es war weit und breit kein Auto zu sehen. Fußgänger tummelten sich in vornehmer Kleidung vor hunderten von Casinos, Tanzlokalen, Restaurants und Bars. Überall angebrachte, bunte Lampen erhellten die Dunkelheit, die über dem ganzen Schauspiel lag, und blinkten wie tausende von Wassertropfen. „Wieso ist es hier schon so…“, wollte Lily wissen, doch James beendete ihre Frage bevor sie sie ausgesprochen hatte. „Dunkel?“, grinste er und Lily nickte, immer noch verdutzt von dem Anblick, der sich ihnen bot. „Ein Finsternis-Zauber, denke ich. So weit ich weiß, sieht es hier immer so aus… Eine Stadt, in der immer das Nachtleben tobt. Traumhaft, oder?“ Lily war sich nicht sicher, was sie dazu sagen sollte oder warum sie sich darauf eingelassen hatte. Was ging zurzeit bloß in ihr vor? Es war ein so merkwürdiges Gefühl mit James Potter in einer völlig fremden Gegend zu stehen. Sie musste sich komplett auf ihn verlassen und dies war etwas, das ihr ganz und gar nicht gefiel. „Wo sind wir denn hier?“, fragte sie weiter, während sie unsicher über den Reifrock ihres Petticoats strich, um die beim Apparieren entstandenen Falten zu glätten. „In Oakwood. Meine Mutter hat mir geraten, dich hierhin zu entführen. Und wie ich sehe, war es nicht falsch auf sie zu hören“, erklärte er, während er ihr den Arm anbot. „Madam?“, grinste er dann, reckte sein Kinn in die Höhe und lächelte ihr von oben entgegen. „Du bist doch irre!“, lachte Lily, hakte sich bei ihm unter und blickte ihn erwartungsvoll an. „Na, das will ich doch wohl hoffen“, erwiderte er und führte Lily herunter von der Straße auf einen der vollen Gehwege. Lily bemerkte schnell, dass es mit James Potter keineswegs langweilig werden würde. Wider ihrer Erwartungen herrschte zwischen ihnen eine gewisse Vertrautheit, die sie ungeniert herumalbern ließ. Irgendetwas in ihr schien James Potter zu mögen und sie hatte schon nach einigen Minuten aufgegeben, gegen dieses Etwas anzukämpfen. „Da wären wir“, verkündete James nach einem ausgiebigen Gang über die scheinbar endlos lange Hauptstraße Oakwoods und blieb schlagartig stehen. Überrascht über den plötzlichen Stopp, registrierte Lily erst spät die besonders große Menschenmenge vor einem recht unscheinbar wirkenden Ladenfenster. „Scheint voll zu sein“, bemerkte sie an James gewandt und musterte sein lächelndes Gesicht. „Ich habe mir nicht umsonst den Mittwoch ausgesucht“, deutete er an und zog eine Braue in die Höhe. „Ach nein?“, stichelte Lily, gespannt darauf, was sie im Inneren erwarten würde. „Mittwochs steppt hier der Bär!“, grinste James nur und bedeutete Lily, dicht hinter ihm zu bleiben, während er sich einen Weg durch die umstehenden Zauberer bahnte…