Geschichte - Salix - meine Weide

[SIZE=25]Salix, meine Weide[/SIZE]

[SIZE=12] Nie werde ich den Tag vergessen, an dem ich auf sie traf. Na ja, das Datum ist mir entfallen, aber die Umstände sind mir noch gut in Erinnerung geblieben. Ich spazierte mit der Mischlingshündin Jule an einer Straße am Rande unserer kleinen Stadt, weil wir gerade eine von uns eher selten genutzte Route in den Wald genommen hatten, als wir an einem kahlen Gelände vorbei kamen. Ein großes, verrostetes Schild machte alle "Unbefugten" Personen darauf aufmerksam, dass das "Betreten des Grundstücks verboten" sei. Um diese Aufforderung zu unterstreichen war um das brach liegende Gelände ein wackliger Bauzaun gerichtet, der bei genauerer Betrachtung nur eine symbolische Barriere darstellte. Diese Vorrichtung war nun bereits mehrere Jahre angebracht, denn die Firma, die hier einst ihre Hallen hatte errichten lassen, ging schon lange nicht mehr ihrem giftigen Handwerk nach. Offiziell waren die Werke ins Ausland verlagert worden, weil die Löhne der Arbeiter dort niedriger seien. Wahrscheinlich hatte es auch nichts mit der Landesweiten Kampagne gegen solcherlei Umweltverschmutzende Produktionen zutun gehabt.  Jedenfalls wuchs seit der Zeit des schnellen Abrisses aller Gebäude, Lager- und Produktionshallen nichts mehr auf dem großen Gelände als karges Gras. Dies vertrocknete im Sommer, wurde im Herbst von Stürmen nieder geweht und fror im Winter am Boden fest, der dann zum großen Teil von tiefen Pfützen durchzogen war: aus irgendeinem Grund schien der Boden im Sommer das Wasser des geringen Nieselregens direkt in die Kanalisation zu leiten, während im Winter die dafür benötigten Kanäle wohl zugefroren waren! Ich las einmal in einem Buch, dass dies wohl mit der Zusammensetzung der Erde zutun hat. Und tatsächlich bestand das Gelände wohl nur aus Sand, denn so hellen und grobkörnigen Mutterboden hatte ich noch nie gesehen! An diesem schönen Vorfrühlingsabend - die Sonne schien bereits den ganzen Tag und das Thermometer war auf ein Rekordhoch vom bestimmt 10°C geklettert - ging ich mit dem Hund auf dem Bürgersteig an diesem Gelände vorbei und während Jule noch auf der Spur eines vor uns dort vorbeigelaufenen Rüdens wandelte, besah ich geistesabwesend meine Umgebung. Das tat ich immer, wenn ich mal wieder einige Sekunden warten musste oder einfach meine Gedanken schweifen ließ. Als Jule dann entschied, ein Büschel frischer Grassprossen unter einem Baum auf einem dazugehörigen Erdstück seien prädestiniert für ihren Kothaufen, blieb auch ich stehen, wandte mich diesem Schauspiel ab und sah auf das finstre, kahle Gelände, mit den Fingern nach einer Kottüte in meiner Jackentasche suchend. In diesem Moment fiel sie mir auf. Sie war klein, kaum 10cm hoch mit nur zwei kleinen zart-grünen Blättern, die sanft in der Abendbrise wehten. Es war ein Baumschössling. Ein Meter hinter dem Bauzaun. Mitten auf dem kahlen, unfreundlichen Gelände. Mir ging das Herz auf, denn ich sah es als ein Zeichen, dass es doch noch Hoffnung auf ausreichend Vegetation für dieses Gelände gab. Wenn nun schon der erste Baumschössling hier gedieh, konnten Sträucher und andere Bäume ihre Anwesendheit nicht mehr lange verweigern. Der Gedanke, dass die Natur wohl immer einen Weg findet, schoss mir durch den Kopf und hinterließ eine wohlige Wärme. Jule beendete ihre Sitzung und kam zu mir, um nachzusehen, was ich so tat. Sie beschnupperte den Zaun und sah mich dann fragend an. "Schon gut" murmelte ich, zückte die Kottüte, verrichtete damit meine "Bürgerpflicht", schmiss alles in einen nahen Mülleimer und ging mit einem freudig mit dem Schwanz wedelndem Hund in Richtung heimatliche Wohnung. Zu meinem Bedauern muss ich zugeben, dass ich das Bäumchen daraufhin vergaß. Wieder zu Hause umschloss mich sofort wieder der Alltag mit drei aufgeweckten Katzen, einem nicht minder aufgewecktem Hund, einem hungrigen Lebenspartner und am nächsten Tag der Arbeit in der Stadtbibliothek, deren Leser wie üblich meine ganze Aufmerksamkeit beanspruchten. Erst eine Woche nach dieser ersten Begegnung fiel mir ein kleiner Artikel in der lokalen Zeitung auf, die eine neue Firma ankündigte, die Interesse zeigte, das brachliegende Grundstück am Rande der Stadt zu kaufen. "Gut" sagte ich zu meiner Kollegin und Freundin Julia, "denn toll sah es nicht aus. Alles so kahl und das seit Jahren." In diesem Moment fiel mir der kleine Baum wieder ein, der - so hoffte ich vor nicht allzu langer Zeit - Vorreiter für weitere natürliche Veränderung war. Wollte die neue Firma das Grundstück bebauen? Bestimmt, denn wer kaufte schon ein Gelände, ohne es nutzen zu wollen? Aber was würde mit dem zarten Bäumchen geschehen? Es war so klein, so schutzlos. Und doch stellte es ein Hoffnungsschimmer dar. Ich sagte Julia besser nichts von meinen Gedanken; sie würde nur wieder lachen. Ich war bekannt für meine ungewöhnlichen Einstellungen zu Tieren und Pflanzen, hatte ich doch einen Pflegeplan für die Zimmerpflanzen der Bibliothek ausgearbeitet, dem ich zwei- bis dreimal pro Monat nachkam. Wenn niemand da war - also meist außerhalb der Öffnungszeiten - redete ich den Pflanzen gut zu, sodass sie sich beachtet fühlten. Auch päppelte ich zerknautschte oder beschädigte Bibliothekspflanzen gern einige Wochen, bevor sie wieder zurück in die trockenen Leseräume gebracht wurden. Zu Hause sprach ich beinahe täglich mit meinen Pflanzen, die prächtig gediehen. Dafür erntete ich zwar zweifelnde Blicke meines Herzallerliebsten, doch hielt er mich nie davon ab. Er wusste, dass ich zu Tieren und Pflanzen ein sehr Eigenes Verhältnis hatte. Meine Gedanken drehten sich den ganzen Tag um das kleine Lebewesen, sodass ich sogar meine Pflichten vernachlässigte und ein kleines Mädchen mit wässrigen Augen und brennendem Blick versehentlich auf die Jungentoilette schickte. Am Abend beschloss ich, Jule und meinen Spaziergang in Richtung dieses Grundstückes zu lenken, um das Bäumchen noch einmal zu betrachten. Als ich es fand, blieb ich ohne auf den Hund zu achten, stehen. Im Dämmerlicht der untergehenden Sonne sahen die zarten Blättchen noch zerbrechlicher und ein wenig gelber aus, als ich es in Erinnerung hatte. Sie tat mir schrecklich leid, als ich an die neue Firma dachte, die sich hier breit machen wollte mit ihrem Teer, den neuen Gebäuden und dem Parkplatz! Sie würden sicher nicht auf ein kleines Bäumchen achten, welches gerade so seine winzigen Wurzeln auf kargen Grund heftete, um zu überleben. Mit einem unbeschreiblich mulmigen Gefühlt wandte ich mich ab, um nach Hause zu laufen. Den ganzen Abend hinweg dachte ich an das kleine Bäumchen. Ich erzählte sogar meinen Zimmerpflanzen von ihr. Benjamin - ein Ficus benjamini - wippte mit seinen grünen Blättern in der Heizungsluft und ich bildete mir nur zu gern ein, dass er mich verstand und meinen Bedenken Recht gab. Olli - ein Olivenbaum - war dies wohl egal, seit der Kater Robin ihm im Spiel einen tiefer wachsenden Ast abriss, schien der Baum hochmütig eher der Decke zugewandt, als so etwas irdischen wie Mitbewohnern. Citronella - die Zitrone - war ein eher flatterhaftes Gemüt, aber leider auch nicht gut auf die Katzen zu sprechen. Vor Nervosität drohte sie stets ihre kleinen, unreifen Früchte fallen zu lassen, wenn sich eine Katze näherte. Ein sonniger Standort und ausreichend Dünger ließ sie sich beruhigen, aber trotzdem schien sie nicht besorgt aufgrund meines Vortrages.  Einzig das Katzengras auf der Fensterbank schien sich kein einziges Mal für das Gesagte zu interessieren. Es zitterte nur heftig in der aufsteigenden Heizungsluft, als sich eine Katze mit geschmeidiger Anmut näherte. Aber eigentlich wunderte es mich nicht, niemals hatte sich Katzengras für irgendetwas interessiert, was man ihm zu sagen hatte, denn es hatte meist selbst um sein eigenes kurzes Leben gebangt. Ich schlief in dieser Nacht recht unruhig, was natürlich auch mit der Tatsache zu tun haben konnte, dass die Katzen Bonsai, Robin und Rose besonders aktiv waren und ihre am Abend vermisste Aufmerksamkeit gegen drei Uhr am Morgen einforderten. Am nächsten Tag fühlte ich mich weniger ausgeschlafen als normal und genoss den morgendlichen Kaffee bevor ich einen kurzen Spaziergang mit Jule unternahm. Doch meine aufkeimende gute Laune verfinsterte sich, als ich bemerkte, wie unglaublich kalt es letzte Nacht gewesen sein musste: überall waren die Autoscheiben wieder mit einer dicken gefrorenen Raureifschicht überlagert. Selbst für den Hund war es zu kalt, sodass sie des Laufens recht schnell überdrüssig war und wir bald wieder zu Hause waren. Ich machte mir Sorgen. Es war so kalt geworden! Ganz gegen meine Gewohnheit schaltete ich den Fernseher ein und suchte ein Programm, welches gerade einen Wetterbericht sendete. "-oh, ja. Da hast du Recht, Kate" sagte gerade ein grinsender Nachrichtensprecher in die Kamera. "nach dieser Vorhersage steht ein neuer Wintereinbruch bevor! Der Frühling lässt also noch ein wenig länger auf sich warten." Und bald darauf wurde wieder über Politik geredet. Ich hatte zwar zu spät eingeschaltet, doch meine Sorgen vertrieb es mir nicht unbedingt. Es war tatsächlich kälter geworden. Was sollte nur aus dem kleinen Baum werden, wenn ihm nun auch noch seine kleinen Blätter abzufrieren drohten? Mit einer Miene, als käme eine neue Eiszeit machte ich mich auf zur Arbeit. Den ganzen Tag über beobachtete ich einzelne Schneeflocken, die es wagten, vom grau und trostlos aussehenden Wolkendach hinunter zu segeln und damit meiner Laune noch mehr zu zusetzen. Zu allem Überfluss las ich in der lokalen Zeitung, dass die neue Firma, die das alte Gelände kaufen wollte mit dem ehemaligen Besitzer übereinkam; der Kauf war besiegelt und sobald es das Wetter zulassen sollte, begannen die Bauarbeiten für das größte Einkaufs- und Wellnesszentrum der gesamten Region. Ich war in einer fruchtbaren Trauerstimmung. Da ich mir nicht anders zu helfen wusste, erzählte ich meiner Kollegin und Freundin während der Mittagspause von meinen Befürchtungen. "Wenn man keine Probleme hat, schafft man sich welche, was?" fragte sie spitz, doch ein Lächeln umspielte ihre Züge. "Damit hattest du doch noch nie ein Problem" sagte sie gleichmütig lächeln. "buddle den Baum aus, päpple ihn und setze ihn irgendwohin, wo er es gut hat." Ich war wie vom Donner gerührt. Daran hatte ich gar nicht gedacht! Natürlich! Das habe ich als Kind und Jugendliche ständig getan. Julia lachte und bestätigte mir meine Gedanken: "Denk an alle die Bäumchen, Sträucher, Blumen und sogar Weihnachtsbäume, die du gepflegt und in alle möglichen Gärten gepflanzt hast!" Sie biss ein Stück ihres Apfels ab und erinnerte mich schmatzend, dass ihre Mutter noch immer einen wunderbaren Hibiscusstrauch im Garten beherbergt, den ich -als er noch ganz klein war - mal am Wegesrand einer Schnellstraße fand, als wir wegen einer Panne dort mit dem Auto liegen blieben. Sie erinnerte mich auch an die kleine Weihnachtsbaumplantage, die wir gemeinsam in einem Jahr nahe einer brachliegenden Wiese am Waldrand anlegten, als uns die Schulferien sehr lang erschienen. Doch leider erwähnte sie auch alle fehlgeschlagenen Versuche, wie die hübsche zweijährige Buche, die einer Waldwegerneuerung zum Opfer fallen sollte; einem Weinstock-Ableger, der bei der jährlichen Beschneidung weggeworfen und von mir aus dem Abfallkorb gefischt wurde; eine Yucca-Palme, die leider an Wurzelfäule erkrankt war. Diese starben alle. Die Erinnerung stach mir in die Brust. Julia lächelte. Sie kannte meine Macken, alle Pflanzen als Lebewesen anzusehen und tolerierte dies; solange ich sie damit nicht gegen ihren Willen behelligte. "Hol sie." Sagte sie und damit schienen für mich meine Sorgen wie weggeblasen. Am Abend ging ich - mit einem Taschenmesser bewaffnet - etwas früher spazieren, um schnell zu dem Bäumchen gelangen zu können. Was ich antreffen würde, wusste ich nicht, da es in der letzten Nacht stark fror und die kommende Nacht nicht minder kalt sein würde. Doch als ich das kleine Lebewesen einsam und allein zwischen den dürren, toten Grashalmen des vergangenen Jahres kauern sah, die Blätter vom Raureif hellgrün schimmernd, überkam mich wieder eine Woge von herzzerreißendem Mitleid. "Es wird hier bald gebaut." Murmelte ich dem Baum durch den Zaun entgegen. Der Hund sah mich entgeistert an und blickte dann in die Richtung, in die ich sprach. "Sie werden dich herausreißen und es wahrscheinlich nicht bemerken. - Du wirst sterben." Das Bäumchen schien die arg mitgenommenen Blätter noch tiefer hängen zu lassen. Beherzt gab ich mir einen Ruck und suchte den Bauzaun nach einer Schwachstelle ab. Ich war nicht unbedingt erfahren im Einbrechen, doch ich fand ca. 6Meter neben der Stelle, an der ich stand, was ich suchte: Ein Verbindungsstück aus Beton war nach den langen Jahren verwittert und brüchig. Ich sah mich nach Passanten um. Da der Ort eher außerhalb der Stadt gelegen war, kamen hier nur wenige Leute vorbei. Es war recht einfach die überflüssigen Betonstücke mit den Schuhen weg zu brechen, um das Zaunstück heraus zu heben. Unter Mühe, da Jule wohl dachte, es handle sich um ein neues Spiel, welches darin bestand, in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen, zerrte ich den Zaun ein Stück in Richtung Straße, sodass ein Durchgang entstand. Etwas außer Atem richtete ich mich auf und suchte den Bürgersteig nach Leuten ab, die mich evtl. beobachtet haben konnten. Es war immer noch niemand da. Erleichtert schnaufend ging ich auf das kahle Grundstück und lenkte meine Schritte direkt auf den kleinen Baum. Jule war zwar verwirrt, doch folgte sie mir freudig. Beim Bäumchen angekommen holte ich das mitgebrachte Taschenmesser hervor und bückte mich. Es sah ängstlich zu mir auf und zitterte leicht in der Brise. "Du musst nun tapfer sein. Ich versuche, alle deine Wurzeln mitzunehmen. Hoffentlich schneide ich dich nicht." Murmelte ich dem Baum zu. Jule sah mich wieder verdutzt an, besah sich dann das kleine etwas am Boden und beschnüffelte den eben von mir angesprochenen vermeintlichen Ast. "Jule, jetzt nicht! Bitte!" Schuldbewusst ging der Hund einen Schritt zur Seite, setzte sich hin und entschied wohl, das Schauspiel zu genießen. Ich klappte das Messer in meiner Hand auf, kniete mich nieder und schnitt einen großzügigen Kreis in den Boden um den kleinen Baum. Seine Blattoberflächen hingen so schief und wippten mit dem leichten Wind, dass es aussah, als ob er mich beobachtete. Ich wusste nicht, wie tief ich graben musste, also bohrte ich mit aller Mühe den ganzen Schaft in den gefrorenen, sandigen Boden und versuchte meinen Kreis so zu einem dreidimensionalen Halbkreis zu formen. Ich erhaschte einen Blick auf die Hündin, die mich freudig angrinste. Selbst das Bäumchen sah mir belustigt zu, so schien es mir, da es wohl wirklich recht grotesk aussehen musst, wie ich kniend auf einem Stück gefrorenen Sandes herumhakte! Endlich rührte sich der große Klumpen Sand - mitsamt dem Baum, wie ich mit Erleichterung festellen konnte! Das bedeutete, dass ich alle seine Wurzeln ausgegraben hatte! In aller Eile fingerte ich eine Kottüte aus meiner Jackentasche, friemelte sie auf und bugsierte das Bäumchen mit dem Sandklumpen zuerst hinein. Die winzige Krone ließ ich hinaussehen, damit die zarten Blättchen beim Transport nicht beschädigt würden. Freudig grinsend sah ich Jule an, die mich mehr als belustig fragend anstierte. "Sieh dir unseren neuen Mitbewohner an!" forderte ich sie auf und hielt ihr die Tüte mit den zwei gerade so daraus herauslugenden Blättern entgegen. Die Hündin schnupperte neugierig und plötzlich öffnete sie das Maul und schlabberte zaghaft über eines der Blätter, als sei es ein kleiner hilfloser Welpe. Ich lachte herzhaft auf. "Schon akzeptiert, wie ich sehe!" Der Heimweg ging sehr schnell. Ich hatte mein seltsames Päckchen mit dem dicken, schweren Teil in meine breite Jackentasche gestopft, sodass die Blätter daraus hervorlugen konnten. Auf diese Weise bemerkte kein Passant meine merkwürdige Fracht. Sobald ich zu Hause ankam, zog ich den ziemlich welk aussehenden Baum mitsamt Plastiküberzug aus der Tasche und lagerte ihn zuerst in der Küche, um meine Jacke aufzuhängen. Ich verbot den Katzen sofort, auch nur in seine Nähe zu kommen, da sie immer sehr neugierig auf alles waren, was ich so mitbrachte. Ich suchte nach einem alten Topf - von denen ich stets viele für alle Gelegenheiten aufbewahrte - trockene, nährstoffreiche Blumenerde und mein Umtopfbesteck bevor ich wieder in die Küche kam. Alle drei Katzen belagerten das Bäumchen, welches ängstlich die zwei mitgenommenen Blätter hängen ließ und mir freudig entgegen zu winken schien.  Ich kannte die Macken der drei, so nahm ich den Neuzugang in die Hand und ließ die Felis` daran schnuppern. Sobald sie ihre Neugierde befriedigt hätten, würden sie es aufgeben, ihn fressen zu wollen. Doch diesmal war es anders: sie wollten den Baum zwar nicht fressen, aber in Ruhe ließen sie ihn auch nicht. Ich wunderte mich zwar, wollte aber mit dem Umtopfen fertig werden, um zeitig auch noch das Abendessen kochen zu können. Ich schnitt die Tüte auf, befreite die Wurzeln vorsichtig von Sand und Steinchen, legte das Bäumchen neben mich auf den Tisch und bereitete den Topf mit frischer Blumenerde vor. Diese Gelegenheit nahm Bonsai - die jüngere Katze - wahr und sprang seitlich an mir vorbei nach oben. Ich tadelte sie und bugsierte sie so gut es mit schmutzigen Händen ging der Schwerkraft entgegen zurück auf den Boden. Das Umtopfen verlief ansonsten recht reibungslos, obwohl alle drei Katzen nicht aufhören wollten, den Neuzugang zu umgarnen. Endlich war das kleine Lebewesen sicher in einem großen Blumentopf voller saftiger, nährstoffreicher Erde, gut gewässert und wohl vollkommen fix und fertig mit den Nerven, wenn man die zwei kleinen Blätter betrachtete, die ermattet aber glücklich nach unten zeigten. Ich trug den Topf ans kühlere Küchenfenster, da ich dachte, der Baum vertrage zuerst noch keine hohen Temperaturen, wie sie im Wohnzimmer herrschten. Erst nach einer Eingewöhnungszeit sollte er die anderen Zimmerpflanzen kennen lernen. Ein weiterer Vorteil war, dass den Katzen den Zugang zu dieser speziellen Fensterbank verwehrt war. Ich war so glücklich und euphorisch, dass ich sogleich sehen wollte, was es für ein Baum war. Da ich wusste, dass die Bestimmung eines Einjährigen Schösslings in keinem meiner Bücher beschrieben wurde, suchte ich das Internet nach Informationen ab. Ich fand sofort die Familie des Kleinen: Salicaceae. Sie war eine Weide. Eine Salix. Nur welche? Es gibt wohl an die 300 verschiedene Arten - und die genaue Bestimmung ist zuweilen schwierig und kann nur über die Blütenorgane erfolgen... Gut, das was dann wohl nicht zu machen. Sie hatte ja gerade mal zwei Blätter. Diesen Teil der genauen Bestimmung musste ich wohl oder übel zeitlich nach hinten verschieben. Um einige Jahre! Ich ging in die Küche. "Hallo, Salix". Begrüßte ich sie. Sie blickte etwas ängstlich zu mir auf. "Ich hoffe, du wirst dich hier wohl fühlen. Ich will alles tun, damit es dir gut geht." Sie schien erleichtert aufzuseufzen. Ich drehte mich um, halb erfreut und halb besorgt: fing ich wirklich langsam an, durchzudrehen? Bäume konnten nicht erleichtert sein. Am nächsten Morgen ging ich in die Küche, um die Kaffeemaschine zu bestücken und einzuschalten. Gewohnheitsgemäß wünschte ich allen Lebewesen, die mein noch schlaftrunkenes Gesichtsfeld kreuzten einen guten Morgen, mit mehr oder weniger ausgereiften Antworten. Nur Salix schien mir als einzige Pflanze freundschaftlich zu winken. Ich blieb irritiert stehen. Hatte ich gegen meine Gewohnheit gestern doch die Heizung in der Küche eingeschaltet, sodass die Blättchen sich bewegten, so wie Benjamin im Wohnzimmer? Nein, die Heizung war kalt. Gut, dachte ich, bist noch nicht wach. Ich schlurfte ins Bad und kam erst einige Minuten später wieder, um Kaffee in zwei Tassen zu gießen, Milch und Zucker daneben auf den Esstisch zu stellen und nach den Müslischalen zu suchen. Gerade als ich die Cornflakes aus dem Schrank nahm, kam mein Lebenspartner gähnend aus dem Schlafzimmer, murmelte ein "guten Morgen" und stolperte seinerseits ins Bad. Ich schaltete das Radio ein, was für mich unbedingt zu einem guten Morgen gehörte und begann sofort ein fröhliches Lied mit zu trällern und leicht mit den Hüften im Takt zu wippen. Salix wippte mit. Ich erstarrte. Salix wippte weiter. Robin kam und wippte neugierig mit dem Kopf im gleichen Takt, wie Salix´ Blätter. Der Moment war vorbei und ich lachte aufgrund meiner Naivität. Da dachte ich wirklich, die WEIDE würde tanzen? Ich nahm den Kater auf den Arm, drehte eine leichte Pirouette und lachte in mich hinein. Während des Frühstücks drehte ich Salix den Rücken zu, um mir selbst keine weitere Gelegenheit zu geben, an meinem Verstand zu zweifeln. Heute erledigte ich meine gewohnheitsgemäßen Haustätigkeiten etwas schneller, sodass ich auch schneller in Richtung Arbeit verschwinden konnte, ohne noch einmal in die Verlegenheit zu kommen, mit Salix tanzen zu können. Am Abend beschlich mich ein ungutes Gefühl, als ich nach Hause kam und den Schlüssel ins Schloss steckte. Drinnen knurrte Jule. Irgendetwas war los. Hektisch öffnete ich die Tür und sah Jule vor der geöffneten Küchentür stehen und etwas dort drinnen anknurren. Sie sah kurz zu mir auf, wedelte pflichtbewusst im Ansatz mit dem Schwanz und behelligte weiterhin den Unbekannten in der Küche. Schnell ließ ich meine Tasche fallen und eilte zur Küchentür.  Ich sah Erde. Und Bonsai - eine Katze - in einer Ecke zwischen Küchenschrank und Kühlschrank kauern. Und Salix. Ihr Blumentopf war von der Fensterbank gerutscht oder von einem der Katzen geschlagen worden, denn Robin - der Kater - fehlte: wenn er etwas anstellte, versteckte er sich zuweilen, damit mein Wutgeschrei leiser für ihn war.Der Topf selbst war zerbrochen und die Erde lag ungleichmäßig in der ganzen Küche verstreut herum. Salix selbst war in einer aufrechten Position und ihre zwei kleinen zarten Blätter schienen angriffslustig zwischen Bonsai und Jule hin- und her zu blicken. "Was ist denn hier los?" fragte ich überflüssigerweise. Bonsai und Salix schienen mir beide erleichtert entgegen zu sehen. Jule verstummte. Ich lief watend durch die Küche, hob Bonsai auf einen Arm und wollte Salix´ zerbrochenen Blumentopf mit der freien Hand aufheben. Doch die Katzen fand das keine gute Idee und wollte sich meinem Griff entwinden. Ich entschloss mich, zuerst die Vierbeinerin aus der Gefahrenzone zu retten - da überall Tonscherben herumlagen - ließ Salix zurück und watete zurück zur Küchentür. Da lugten die anderen Katzen Robin und Rose um die Ecke - beide höchst ängstlich und bestürzt. Sofort nachdem sie Bonsai wieder in ihrer Mitte wussten, begannen sie sie mit liebevollen Katzenküssen zu umsorgen. Jule sah immer noch höchst alarmiert zu Salix, die ihre Blättchen wieder verteidigungsbereit in die Höhe hielt.  Was war hier los?! Falls die Katzen den Blumentopf hinunter geworfen hatten - was ich kaum glaubte, da sie nicht hinanlangen konnten - dann musste etwas passiert sein, was sie verängstigt hat. Und das war schon eine Leistung, DIESEN Katzen Angst ein zu jagen! Die Hündin war auch nicht zu vergessen: warum knurrte sie eine Pflanze an? Hatte sie sie nicht gestern noch durch ihren geschlabberten Hunde-Kuss akzeptiert? Ich sah zu den höchst merkwürdig gestikulierenden Tieren und da fiel mir zum ersten Mal auf, dass Robin eine Strieme quer über der Nase hatte! Besorgt bückte ich mich, nahm ihn auf den Arm und richtete mich auf, um die kleine Verletzung näher zu betrachten. Es schmerzte wohl nur ein bisschen, doch wollte er mich nicht so recht daran herumwerkeln lassen, obwohl es kaum mehr als ein Kratzer war. Trotzdem machte mich dieses nervös: es sah nicht nach einer Krallenverletzung aus, die evtl. beim Spielen mit den anderen hätte passieren können. Auch war es keine Verletzung durch eine der Tonscherben, die munter in der Küche verteilt lagen. Es sah aus, wie ein Peitschenhieb von einer sehr kleinen Peitsche hervorgerufen. Ich sah zu Salix. Sie schien erwartungsvoll zurück zu blicken. Der Blumentopf war auf einer Seite gelandet und dann zerschellt. Die Weide selbst war aber in einer aufrechten Position. Ich schüttelte den Kopf und ließ Robin wieder auf den Boden. Wie sollte eine Pflanze sich selbst aufrichten können? Wie sollte eine Pflanze vom Fensterbrett fallen? Ich schüttelte wieder den Kopf und holte einen Kehrbesen mit dazugehöriger Schaufel, um den gröbsten Dreck wegfegen zu können. Als ich Salix vorsichtig mit dem bisschen Erde aufhob - welche ihr noch gelblieben war - und behelfsmäßig in eine Schale legte, schien sie mir freudig entgegen zu blinzeln. "Bäume können nicht blinzeln" sagte ich mir unwirsch, holte einen weiteren Blumentopf aus der Rumpelkammer - gab es evtl. noch einen aus Plastik? - und die letzte Blumenerde in einer Plastiktüte. Ich bettete Salix wieder pflanzen-kuschelig auf Humus, übergoss alles noch einmal und machte mich daran, die Küche gründlich zu wischen, da trotz des Fegens überall noch feuchte Erde klebte. Keines der Tiere ging an diesem Abend in die Küche. Die Raubtierfütterung musste ich ausnahmsweise ins Wohnzimmer verlegen. Als ich später am Abend den Geschirrspüler ausräumte, fiel mir auf, dass die Weide sich sehr schnell von ihrem Unfall erholte. Jede andere Pflanze hätte allein eine Woche benötigt, um sich von der Habitat-Umstellung von brachliegendem Grundstück zur wohligen Küche zu erholen. Dieser Baum dagegen hatte kurz nach dem für Pflanzen stressigen Umzug einen Unfall auf mysteriöse Weise überlebt und ließ nicht einmal die Blätter hängen! Wirklich bewundernswert. Als ich mich streckte, um eine Schüssel in eines der hohen Regale zu stellen, fiel mir auf, dass die Blätter der Weide meinen Bewegungen neugierig folgten. Ich ließ das restliche Geschirr stehen und betrat an diesem Abend auch nicht mehr die Küche. In der Nacht konnte ich nur schlecht schlafen. Ob es an den Gedanken lag, die mich wegen des abendlichen Vorfalls quälten, oder die Tatsache, dass alle vier Tiere wohl aus Angst im Bett schliefen - obwohl sie alle ihre eigenen Wohlfühlorte besaßen - ich wälzte mich so gut es eben ging hin und her. Ich dachte an die kleine seltsame Weide. Konnte sie sich wirklich bewegen? Oder bildete ich mir das doch nur ein? Hatten die Tiere wirklich Angst vor ihr oder war es etwas anderes, was so Angst einflößend war? Ein Geruch vielleicht? Ich redete gern mit Tieren und Pflanzen und bildete mir ebenso gern eine Reaktion ein, das war mir durchaus bewusst. Und doch, war Salix vorhin nicht sichtlich erbost über die Katzen gewesen? Hatte sie mir nicht zu gewunken? Und neugierig gesehen, wohin ich die Schüssel verstaute? Entnervt, weil ich keinen Schlaf mehr finden konnte, sah ich auf den Wecker. Er zeigte 6Uhr morgens an. Es war Samstag. Wir könnten länger schlafen als sonst, gemütlich frühstücken, gewohnheitsgemäß in die Geschäfte hasten und den Wocheneinkauf erledigen, von dem wir dann vollkommen entnervt, hungrig und bestimmt wieder mit blauen Flecken ins traute, gemütliche Heim gelangen würden, wohl wissend, erst wieder nach einer Woche auf berserkerartige einkaufende Hausfrauen treffen zu müssen. Und hier wartete eine Weide, die sich selbst vom Fensterbrett stützte, um sich mit einem Hund und drei Katzen anzulegen. Okay, nach sollen idiotischen Gedanken war es Zeit für einen Kaffee. Ich stieg vorsichtig, um keinen meiner fünft Mitschläfer zu wecken - war das wirklich wahr? Was hatte ich falsch gemacht? - und schlich in die Küche. Salix blinzelte mich verschlafen an. Die Sonne färbte den nachtkalten Himmel gerade im Ansatz etwas golden ein, was dem Baum eine seltsame Silhouette verpasste. Ich verzichtet bei diesem Anblick auf Kaffee und schlich mich ins Bad. "Bäume können nicht blinzeln" dachte ich, während ich mir die Zähne putzte. Als ich nach einigen Minuten zurück in die Küche wankte, schien mich Salix erwartungsvoll anzugrinsen. Anscheinend war sie wach und wollte eine Begrüßung hören. Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging wieder ins Bad, diesmal zum Duschen. Während ich das heiße Wasser an mir herunter laufen ließ, dachte ich wieder an die kleine Weide. Nur mal angenommen, mein lang gehegter Wunsch, eine Pflanze würde in der Lage sein, zu antworten, würde bestätigt werden, wie würde ich reagieren? Ich musste unweigerlich an einen Film denken, den ich vor einigen Jahren mal sah, in dem es um eine kleine Fleischfressende Pflanze in einem Blumenladen ging. Wie war noch gleich der Titel? Ich goss Shampoo über meine Haare und begann sie zu walken. Na ja, Weiden sind keine Fleisch fressenden Pflanzen, soviel dazu. Beruhigender Gedanke. Ich spülte das Shampoo aus. Aber war es denn wirklich so unglaublich schlimm, sich mit Pflanzen zu unterhalten? Das tat ich doch schon seit Jahren! Es mussten ja nicht unbedingt andere Leute dabei sein. Und machte es dann noch einen Unterschied, ob sie einem antwortet? Ich seifte mich ein. Und wie weit war ich dann noch vom vollkommenen Nervenzusammenbruch entfernt, wenn ich diese Hirngespinste zuließ? Ich bekam Seife ins Auge und unterbrach diesen Gedanken. Warum sollte ich aufhören mit meinen Pflanzen zu reden, nur weil mir eine wirklich zu antworten schien? Ich brauste mich nun vollkommen mit heißem, wohltuendem Wasser ab. Ich entschied, dass ich Salix einfach fragen wollte, damit ich mir sicher sei. Schnell - damit ich möglichst wenig Zeit hatte, mir diesen seltsamen Entschluss klar vor Augen zu führen - drehte ich das Wasser ab und wickelte mich noch nass in meinen Morgenrock, der stets im Bad hing. Mit dampfenden nackten Füssen tapste ich in die Küche und sah auf die Fensterbank. Die Blätter der Weide waren zum Fenster geneigt und bogen sich kaum merklich in den Raum, als ich die Küche betrat. Ich ging zu ihr hin, nahm den Blumentopf auf, lief mit ihm zum Esstisch, stellte ihn darauf und setzte mich selbst auf einen Stuhl. "Jetzt hör mir mal zu" flüsterte ich Salix entgegen "ich möchte wissen, was du für ein kleines seltsames Kerlchen bist." Schon wieder bildete ich mir ein, die Weide würde erwartungsvoll und neugierig meinen Worten lauschen. "was war gestern Abend hier los? Die Katzen waren es nicht, die dich auf den Boden befördert haben, oder?" Die Blätter schienen schuldbewusst zu Boden gerichtet. "Kannst du mich wirklich verstehen?" Keine Reaktion folgte. "Salix?" Keine Reaktion.  Ich hatte mir wohl doch nur alles eingebildet! Enttäuscht wollte ich aufstehen, als ich einen Katzenkopf um die Ecke spähen sah. Robin sah ängstlich um die Ecke, weil er den Blumentopf mit dem Feind vom vorigen Abend an einem anderen Ort, in greifbarer Nähe, wieder traf. Ich lächelte und forderte den Kater auf, zu mir zu kommen. Widerwillig kam er, sprang allerdings zuerst auf einen Stuhl, um nicht gleich so nah an den Verursacher seines Kratzers heran zu müssen. Zu meiner Überraschung folgten ihm die anderen zwei Katzen in die Küche. Sie hatten wohl abgewartet, was er tun würde, bevor sie sich sehen lassen wollten. "Wenn wir hier einigermaßen friedlich leben wollen, dann solltet ihr euch vertragen!" murmelte ich, alle vier abwechselnd ansehend. Robin unternahm einen tollkühnen Ausfall mit den Vorderpfoten und stemmte sich mit dem Oberkörper auf den Tisch, unsicher schnuppernd. Salix ließ sich immer noch nichts anmerken - weder im Guten noch im Bösen. Um die Situation etwas zu entschärfen hob ich meine Hand, führte sie an Salix dürres Stämmchen und streichelte es.  Die Blättchen erzitterten wohlig. Robin zog seine Nase zurück. Ich unterließ das Streicheln, zog meine Hand jedoch nicht zurück, um Robin so mental etwas zu unterstützen. Unsicher zog der Kater seine Hinterpfoten hinterher, kauerte jedoch noch am Tischrand. Salix schien unentschlossen. Robin näherte sich, zog allerdings die Nase kraus und verengte zum Schutz die Augen zu Schlitzen. Der Kater war auf Nasenlänge an der Pflanze, dann berührte er sie, roch an ihr und da nichts passierte, entspannte er sich etwas. Er kam näher und beschnupperte die Pflanze mit regem Interesse, doch immer noch ein wenig auf der Hut. Die Katzendamen schlichen nun ebenfalls in die Küche und sprangen auf Stühle. Plötzlich, sodass alle Säugetiere bis ins Mark erschreckten, schüttelte sich Salix. Robins Schnurrhaare hatten sie wohl gekitzelt! Das brach für mich die Spannung und ich musste auflachen. Es war tatsächlich eine sich bewegende Weide und ich konnte nichts dagegen tun. Entweder ich akzeptierte meine ungewöhnliche neue Zimmerpflanze oder sie musste wieder raus in die Kälte - doch dies brachte ich wirklich nicht übers Herz. Im Laufe der Zeit gewöhnten sich die vier Tiere an Salix und umgekehrt. Die Weide selbst steckte nun in einem hohen Topf und bekam einen separaten Stellplatz im Wohnzimmer, von dort aus es ihr nicht gelang, sich an einem festen Gegenstand oder der Wand abzustoßen. Sie genoss es, viel feuchte Erde um sich her zu haben und liebte es, wenn ihr Untertopf gefüllt war. Ich bemerkte immer häufiger, dass sich Salix nicht oft bewegte, was mich doch ziemlich erleichterte. Sie schien allerdings ihre Stimmung stets deutlich zum Ausdruck zu bringen, was mir in vielen Situationen ein Lächeln abrang. Mit den Tieren verstand sie sich besser, als ich erwartete. Öfter traf ich abends auf Erdklumpen, die im Wohnzimmer verstreut lagen und vollkommen zufriedene Katzen lagen herum, als ob sie sich gegenseitig den halben Tag lang im Spiel gejagt hätten. Salix selbst steckte in solchen Situationen tadellos in der Erde, doch viel mir jedes Mal auf, dass sie niedriger im Topf zu stehen schien. Außerdem sagte mir ihre Unschuldsmiene und die Erdkrümel auf ihren Blättern, dass sie wirklich irgendetwas mit der fehlenden Erde, die ja auf dem Fußboden zuviel war, zu tun hatte. So musste ich in regelmäßigen Abständen ihren Blumentopf mit frischer Erde nachfüllen. Nach einiger Zeit gab ich mir damit keine Mühe mehr und buddelte das Stämmchen nicht aus, um ihm die richtige Höhe zu verpassen. Zu meiner Überraschung, erledigte Salix das liebend gern allein. Je nach Stimmung blieb sie einige Stunden verdeckt, bevor sie spätestens morgens wieder vollkommen zu sehen war, um ihrem Frühstück - einen viertel Liter Wasser - freudig entgegen zu blicken. Oder sie ruckte so lange mit ihren Blättchen am Blumentopf, bis die Erde gut verteilt war und sie es bequem hatte. Zuweilen wurde es schwierig abends in Ruhe fern zu sehen, da Salix einige Sendungen wohl nicht mochte und stets ungeduldig mit ihren Blättern raschelte oder kleine Portionen Erde auf herumstehende Knabbereien warf. Da sie mittlerweile viel mehr Blätter an nunmehr drei Ästen besaß, war es für sie ein leichtes, ein wenig ihres Mediums aufzunehmen und es schwungvoll und einigermaßen zielsicher durch die Gegend zu werfen. Diese Taktik verfolgte sie, bis ich ihr drohte, sie für die Fernsehzeit in die Küche zu verbannen. Von da an schien sie schmollend den Bericht über antike Mahagoni-Möbel zu lauschen. Im Sommer stellte ich alle Pflanzen auf den Balkon, damit sie die Sonne und die laue Luft genießen konnten. Dies tat ihnen gut, doch Salix blickte betrübt drein. Sie vermisste wohl die morgendliche Radiosendung mit unserem gemeinsamen Tanz, die Abendstunden voller Behaglichkeit im Wohnzimmer und konnte den Gedanken wohl nicht ertragen, wie die anderen Pflanzen behandelt zu werden. Also holte ich sie abends zum Fernsehen herein und ließ sie über Nacht in der Küche, in der sie morgens ihrer Radiosendung lauschen und im Takt der Musik mitwippen konnte. Dann stand sie tagsüber mit den anderen auf dem Balkon, um das gute Wetter genießen zu können.  Im Laufe des Jahres wuchs und gedieh Salix prächtig und begrüßte pflanzliche Neuzugänge aus der Bibliothek freudig und spielte weiterhin mit Katzen und Hund. Im Herbst begannen ihre Blätter gelb und dann rot zu werden. Bis kurz vor dem ersten Frost ließ ich sie auf dem Balkon, holte dagegen die Wärme liebenden Pflanzen wir Benjamin, Olli oder Citronella vorher herein. Dies schien Salix nichts aus zu machen, da sie mich abends stets freudig erwartete. Eines Morgens im Oktober stand der Baum wieder auf dem Esstisch und lauschte dem Radio. Gerade als ich Kaffee in zwei Tassen eingoss, hielt Salix beim Tanz inne, erstarrte kurz vollständig und schüttelte sich plötzlich am ganzen Stämmchen. Alle bunt gewordenen Blätter fielen auf einmal ab. Da es nicht allzu viel Grünzeug war, sammelte ich sie lächelnd in meine Hand und schmiss sie weg. Ich konnte mich nicht erinnern, je eine so pflegeleichte Pflanze gehabt zu haben, die mich nicht wochenlang täglich mit einem abgefallenen Blatt ärgerte, sondern alles auf einmal abwarf. Ich fürchtete, dass die Weide im Winter weniger aktiv sein würde und hegte sie besonders. Doch da irrte ich mich. Natürlich war sie auch schon vorher mal einige Tage lang träge gewesen und hatte sich fast nie bewegt, aber eine Veränderung bemerkte ich nicht. Selbst als sie ganz kahl und frostig war, bestand sie auf ihr Ritual, tagsüber auf dem Balkon sein zu dürfen. Eines schönen Sonntags begann es dann zu schneien und ich beobachtete den ganzen Tag über eine glückliche kahle Weide, die mit ihren dürren Ästchen jede Schneeflocke, die in ihrer Reichweite nieder wehte, zu erreichen und sie auf sich zu türmen. Böse, ketzerische Gedanken, dass ich langsam meinen Verstand verlöre, weil ich einem kleinen Baum gestattete, mich so zu behandeln und vor allem dass ich daran glaubte, ein Baum könne mich irgendwie behandeln - das alles hatte ich bereits weit von mich gewiesen. Ich erzählte nicht vielen Leuten von meiner kleinen Augenweide, wie ich sie gern scherzhaft nannte, weil ich mich sehr oft von ihr beobachtet fühlte. Wenn ich Besuch bekam, so erklärte ich Salix, sie könne nicht dabei sein und verbannte sie stattdessen auf den Balkon. Sie war zwar nicht sonderlich erfreut darüber, wusste aber aus Erfahrung, dass ich ihr am nächsten Tag zur Versöhnung ein wenig Flüssigdünger zum Frühstück geben würde, den sie so sehr liebte, wie kleine Kinder Schokolade. Ich verlagerte Treffen mit Freunden immer öfters nicht mehr in die Wohnung, um Salix nicht weiter zu ärgern, bzw. zu provozieren, sich doch irgendwann einmal nicht zu benehmen. Durch die Katzen hatte sie ja gottlob auch Gesellschaft, sodass ich zwar immer noch Erde und Haare wegsaugen musste, wenn ein solcher netter Abend mit Freunden mal ein bisschen länger dauerte, aber sah, dass alle Beteiligten recht zufrieden dreinblickten. Nach vier Jahren entschied ich, dass eine Veränderung anstand: Mit ihren fünf Jahren, ihrem schönen, schlanken Asten und ihrer beachtlichen Stammdicke bekam Salix nun einen neuen, sehr großen Blumentopf, um ihre Wurzeln frei entfalten zu können. Da ich diesen sehr schweren Topf nun wirklich nicht mehr von der Küche ins Wohnzimmer und wieder zurück tragen konnte, kaufte ich ihr eine rollende Blumentopfunterlage, mit der dies wesentlich einfacher verlaufen sollte. Es hätte mich eigentlich nicht überraschen sollen und tat doch genau dies: Salix erkannt schnell den Vorteil, den sie daraus ziehen konnte und war nun in der Lage sich mit ihren erstaunlich starken Zweigen am Boden ab zu stoßen und sich so in jede beliebige Richtung rollen zu können. Dies war auch für mich eine enorme Arbeitserleichterung, da der Baum fortan morgens selbst in die Küche eilte, den Tag auf dem sonnigen Balkon verbrachte und abends mit uns fernsah, ohne dass ich mich darum kümmern musste. Sie genoss die für einen Baum ungewöhnliche Freiheit. Auch ermöglichte diese seltsame Art der Beweglichkeit neue Dimensionen im Spiel mit den Katzen. An manchen Abenden lagen und schliefen alle Tiere erschöpft aber glücklich an ihren diversen Lieblingsplätzen, während Salix ihrerseits friedlich ruhte.  Nicht selten stolperte ich über abgerissene Blätter oder gar kleine Zweige, die direkt neben Haarbüscheln diverser Farbe lagen. Doch solche Malheure schienen der Freundschaft der andersartigen Geschöpfe nicht zu schaden. Ganz im Gegenteil: an einem Tag, an dem ich abends nur schnell den Hund abholte und sofort meine Eltern besuchte, vergaß ich Katzenfutter in die Küche zu stellen. Normalterweise quittierten mir die drei Rabauken solcherlei Vergesslichkeit mit unheimlich viel Unordnung, durchwühlter Schränken und umgeschmissener Bücher. Doch als ich in der Nacht nach Hause kam, entdeckte ich friedliche, entspannte Katzen, einen geöffneten Vorratsschrank und zwei halb ausgeschleckte Katzenfutterdosen auf dem mit Erde und Fleischbröckchen beschmierten Küchenboden. Da diese Konservendosen mit einer Abziehhilfe versehen waren, fiel es meiner Fantasie leicht, sich das Schauspiel der vergangenen Stunden auszumalen. Wieder konnte ich mich nur über Salix´s Geschick im Umgang mit Gegenständen wundern, die so gar nicht mit Bäumen in Verbindung gebracht werden konnten. Fortan musste ich alle Gegenstände, die Salix bedienen konnte, aus ihrer Reichweite befördern: die Fernbedienung des Fernsehers, das Küchenradio, das Katzenfutter und auch der Kühlschrank erhielt ein kleines Schloss, obwohl ich mich fragte, was ein Baum dort drin wohl suchte. Als ich eines Samstags vom Einkaufen kam - mental und körperlich geschunden und gemartert - sah ich etwas in der Küche, das mich zutiefst erschrecken ließ: Salix hatte es geschafft, mit ihren langen grazilen Ästen die höchste Küchenschranktür zu öffnen und den Flüssigdünger für Zimmerpflanzen herausgeholt. Sie hatte den Deckel mit dem Sicherheitsverschluss geöffnet und die bernsteinfarbene Flüssigkeit in ihren Blumentopf versickern lassen. Die Literflasche lag fast leer neben ihrem rollenden Blumentopf, sie selbst blickte erschrocken und erleichtert aufgrund ihres wohl schon lange geplanten Coup. Ich stürzte mit einem unterdrückten Schrei auf sie zu und entwand ihren schlanken Ästen die Plastikflasche. "Die Dosierungsanleitung sollte nicht umsonst beachtet werden! Und das war eindeutig zu viel!" schrie ich das Bäumchen an, dass irgendwie blass, aber glücklich wirkte. Ich wusste nicht, wie lange sie schon der viel zu hohen Mineraliendosis ausgesetzt war und dachte nur daran, diese evtl. mit viel Wasser ausschwemmen zu können. Ich stellte die geöffnete Flasche auf den Küchentisch, packte Salix´s Blumentopf und rollte sie so schnell ich konnte, ohne über ihre herabhängenden Äste zu stolpern, ins Bad. Die Weide schwankte bedenklich und die jüngsten Blatttriebe begannen bereits, sich gelb zu färben. Alles in allem machte der Baum einen sehr kranken Eindruck, als sei ihr speiübel. Ich hievte den schweren Topf fluchend in die Badewanne, nahm den Duschkopf in die Hand, drehte den Kaltwasserhahn auf und lies viel klares Wasser auf einmal über die verseuchte Erde strömen. Salix hatte bereits unkontrolliert zu zittern begonnen. Das ganze Stämmchen mit allen Ästen schüttelte es, als sei sie geradewegs in einen ausgewachsenen Herbststurm geraten. "Gleich wird´s besser." Versuchte ich uns beide zu beruhigen. Doch wusste ich nicht wirklich, wie lange eine Dünger-Überdosierung dauerte oder wie lange man die Erde auswaschen musste, bis alle Mineralien und Spurenelemente ausgespült wurden. Salix junge Blatttriebe waren hoffnungslos gelb gefärbt und die nächststehenden Blätter hatten auch einen helleren Farbton angenommen. Ich hoffte inständig, dass es noch nicht zu spät war. Ich hatte als Kind aus einem Versehen heraus einmal Blumen mit unverdünntem Düngemittel behandelt, doch alle waren sehr schnell gelb geworden und gestorben. Ich hatte furchtbare Angst, dass es der schönsten Weide, die ich je gesehen hatte, ebenso erging. Als Salix nur noch benommener wirkte und alle Äste hängen ließ, zerrte ich ihr Wurzelwerk aus dem Blumentopf und bröselte die Erde weg, die ich ungehalten wieder in den Topf zurückschleuderte. Panisch wusch ich den Rest der braunen Substanz mit viel kaltem Wasser ab, sodass ich fast nur noch das Wurzelwerk des Bäumchens in den Händen hielt und ließ sehr viel frisches Wasser darüber laufen. Ich dachte, dass ich die Überdosis auf diese Weise am Besten neutralisieren könne. Nach fünf angsterfüllten Minuten begann sich die kleine Weide in meinen Händen wieder zu regen. Erleichtert stieß ich ein unsicheres Lachen aus. Salix hob zittrig einen Ast und strich mir damit zärtlich über das Haar. Dies war ihre Art, sich für ihr Benehmen zu entschuldigen. Und ich verstand. Ich ließ sie noch eine Weile im kühlen Wasser stehen, während ich neue Blumenerde aus dem Vorratsraum holte und ihren Topf erst auswusch und dann mit neuer Erde befüllte. Während ich sie wieder in ihr altes Heim steckte und ihre Wurzeln mit weiterem Torf aus der Plastikverpackung bedeckte, musste sich das Bäumchen eine vorwurfsvolle Gardinenpredigt anhören, warum ich schon wisse, wie viel Dünger ich ihr verabreiche und dass zuviel von allem einfach nicht gut sei. Sie habe Glück gehabt, dass ich sie recht schnell gefunden habe, sonst hätte sonst-noch-was mit ihr passieren können. Und dass ich von nun an den Dünger an einen wirklich geheimen und sicheren Ort stellen würde, damit sie bloß nicht noch mal eine Gelegenheit bekomme, sich umzubringen.  Wohlweißlich sagte ich aber nichts über meine ehrliche Erstauntheit, wie der Baum es geschafft hatte, einen Sicherheitsverschluss mit Kindersicherung zu öffnen, ohne dem Plastikdeckel zu schaden. Sie war im Umgang mit ihren Ästen wirklich sehr geschickt geworden. Von nun an achtete ich noch mehr als sonst darauf, welche Utensilien ich wo unterbrachte und ob nicht doch ein Lebewesen daran gelangen konnte. Das war auch nötig, denn Salix schränkte sich in ihren Fähigkeiten nicht weiter ein, obwohl sie darauf bedacht war, weder sich selbst noch anderen durch Unwissenheit zu schaden. So prüfte sie jedes Mal ihr morgendliches Gießwasser mit einem ihrer schlanken Äste, bevor es ihre Erde berührte und schien sich auch genau von dem richtigen Aufdruck der Katzenfutterdosen zu überzeugen. Sie konnte wohl nicht lesen, aber sie wusste, dass mindestens eine Katze darauf abgebildet sein musste. Sie wusste allerdings auch, dass es Konservendosen gab, auf denen Gemüse abgebildet war und dass dieses dann auch darin war. Diesen Inhalt mochten Salix´s Spielkameraden dann nicht essen. Ich unterdrückte die Gedanken, wie ein Baum eine Abbildung erkennen konnte. Mit solchen Fragen durfte man sich nicht quälen, wenn man so einen Baum wie Salix als Zimmerpflanze besaß. Eines schönen Sommerabends geschah dann etwas, dass Salix für immer und endgültig in mein Herz schloss. Mein Lebensgefährte war mit der Hündin Jule übers Wochenende zu seinen Eltern gefahren und ich war mit den Katzen und den Pflanzen allein zu Hause. Ich schlief, als es passierte, da es ca. drei Uhr in der Nacht war. Ich erwachte, weil die drei Katzen sich knurrend und leicht panisch zu mir ins Schlafzimmer und unter das Bett flüchteten. Ich drehte mich benommen im Halbschlaf um, da ich annahm, sie hätten wieder wild gespielt und wollte weiterschlafen, als ich leise Stimmen auf dem Balkon hörte. Sofort war ich hellwach. Es waren zwei Männer, die sich eindeutig flüsternd auf dem Balkon unterhielten. Stocksteif lag ich unter der leichten Sommerdecke und wusste nicht, was ich tun sollte. Wir hatten definitiv keine Nachbarn in der Richtung und es konnte sich auch nicht um ein akustisches Missverständnis handeln. Das Telefon war im Wohnzimmer, ich musste an den Fremden vorbei, um damit Hilfe rufen zu können. Ich besaß im Schlafzimmer keinerlei Verteidigungsgerätschaften, wenn man von Gesichtspuder, Gürteln und einer Haarbürste absah. Vorsichtig stieg ich aus dem Bett, sorgfältig darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, das mich verraten könnte. Ich wollte nicht so hilflos in die Nähe der Zimmertür, deshalb nahm ich einen hölzernen Kleiderbügel, der am Haken neben dem Kleiderschrank hing, auf. Dieser verschaffte mir leider auch keine befriedigendes Gefühl zum Thema Sicherheit, sodass ich panisch und mit angehaltenem Atem hinter der angelehnten Schlafzimmertür stand, den Kleiderbügel leicht über dem Kopf gehoben und den leisen Geräuschen lauschend, die nun in aus der Küche zu dringen schienen. Ich wusste mir nicht anders zu helfen, also versuchte ich unbemerkt die Schlafzimmertür zu schließen. Das war mein einziger verzweifelter Plan, den ich in der Schnelle fassen konnte: ich wollte die Tür verschließen und nach dem Handy suchen, dass hier irgendwo liegen musste. Evtl. konnte es mir ja gelingen, die Polizei anzurufen, während die Herrschaften versuchten, Fernseher und DVD-Player aus dem Fenster zu heben. Ich durfte mich nur nicht von ihnen erwischen lassen. Ich hob meine linke Hand, da ich in der rechten noch immer den Kleiderbügel leicht über meinen Kopf hielt, streckte sie lautlos zur Türklinke, umfasste sie und erschrak bis ins Mark auf Grund mehrere lauter Peitschenhiebe und zwei erschrockene Schmerzenslaute. Ich zuckte zusammen, als die Tür aus einem mir nicht erfindlichen Grund nach Innen aufgerissen wurde und ich plötzlich vor einem dunkel gekleideten Mann stand, der mindestens so erschrocken wirkte, wie ich. "Da is´doch jemand!" stieß der Mann hervor und betrachtete mich erschrocken, die ich nur mit einer kurzen Hose und einem Top bekleidet, einen hölzernen Kleiderbügel über meinem Kopf haltend vor ihm stand und ihn angsterfüllt anstarrte. In diesem Moment ertönte ein neuer Schmerzenslaut aus der Küche und der mir gegenüber stehende Mann drehte sich zu seinem Kumpel um, nur um ebenfalls ein ersticktes Geräusch von sich zu geben. Im selben Moment hörte ich leise, mir sehr vertraute Rollen über den Fußboden rollen, sah lange dünne Äste und die Schlafzimmertür wurde mir vor der Nase zugeschlagen. Was dann geschah kann ich nur erraten, denn meine Tür wurde von außen zugehalten, während wohl eine Art Kampf auf Leben und Tod in der Küche losbrach. Ich hörte peitschenhiebartige Geräusche, direkt gefolgt von angsterfüllten Schmerzensschreien, die mit jedem Hieb lauter und panischer wurden. "Lass uns abhauen!" rief einer der Männer, die sich nun beide keine Mühe mehr machten, sich leise zu verhalten. Doch aus irgendeinem Grund verlagerte sich das Scharmützel eigentlich nur von der Küche auf den angrenzenden Balkon, wo die Schreie der Männer nicht etwa leiser wurden oder auf Grund ihrer Flucht erstarben, sondern noch etwas lauter und eindringlicher wurden. Einer der Männer fiel plötzlich zu Boden, der zweite tat es ihm gleich und nun erklang es, als würden die beiden Einbrecher zurück in den Küche geschleift, wo von neuem auf sie eingeschlagen wurde. Ich erwachte endlich aus meiner Starre und wirbelte herum, um das Handy zu suchen. Ich fand es. Der Akku war bereits seit Tagen leer. Ich suchte das Aufladegerät. Stöpselte erst das eine Ende des Gerätes in den Stecker des Telefons. Suchte einen freien Steckplatz. Stöpselte erst meine Nachttischlampe aus einer Dreiersteckdose. Fummelte das andere Ende des Netzsteckers in die Steckdose. Versuchte das Handy einzuschalten. Bemerkte, dass ich den PIN, der von dem kleinen Gerät freundlich erfragt wurde in der Eile vergaß. Feuerte in heller Panik und zutiefst frustriert das kleine piepsende Gerät auf das durchwühlte Bett, wo es auch direkt unter Protest wieder erstarb und wandte mich wieder der geschlossenen Zimmertür zu. Ich musste ins Wohnzimmer um die Polizei über das Festnetztelefon zu erreichen. Noch immer schrieen und brüllten die beiden Männer in der Küche, immer herzzerreißender und eindringlicher wurden ihre Schmerzensschreie, was mich immer aufgeregter machte. Ich umklammerte den Türknauf und versuchte, die Tür zu öffnen. Doch so sehr ich mich auch mühte und mich gegen das Holz stemmte, ich bekam sie nicht mehr als einen Spalt weit auf. Als ich kurz inne hielt, wurde die Tür abermals zugeknallt und diesmal hatte ich sogar den schwer erkämpften Spalt an den Gegner auf der anderen Seite verloren. Gehetzt sah ich mich im Zimmer um. Einer der Männer wimmerte nun lautstark und es klang, als habe er richtige Verletzungen erlitten. Ich wirbelte wieder zum Bett, nahm das Handy wieder, schaltete es ein und versuchte erneut, mir den PIN einfallen zu lassen, was mir das kleine Gerät allerdings etwas übel nahm, denn es piepste entrüstet, als ich eine falsche Ziffernfolge eintippte. Entnervt schleuderte ich das Mobiltelefon wieder in die Kissen und stand auf. Wieder sah ich mich gehetzt im Zimmer um. Die Schreie beider Männer hatten an Intensität wieder zugenommen, was mich allerdings keineswegs beruhigte. Doch plötzlich hörte ich ein Geräusch. Aus weiter Ferne. Nun war es näher. Es war eine Sirene. Eine Polizeisirene. Ich hörte eine Polizeisirene um eine Ecke biegen, direkt auf unsere Straße zu. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Wo kommen die denn her? Fragte ich mich benommen. Können die zur Abwechslung mal Gedanken lesen? Ich wandte mich wieder der Tür zu und versuchte sie zu öffnen. Diesmal gelang es mir. Die Zimmertür schwang auf und ich stolperte in Richtung Küche, während die Sirene direkt vor dem Haus stehen blieb. Ich starrte das Schauspiel, dass sich mir darbot ungläubig an: Salix stand berserkerartig in der Mitte der Küche, hatte mit je einem ihrer schlanken aber sehr kräftigen Äste einen am Boden liegenden Mann an den Beinen gefesselt und drosch mit unverholender Wut und allen übrigen Ästen auf sie ein. Die Haustür war wohl in diesem Moment geöffnet worden, denn ich hörte mehrere schnelle schwere Schritte das Treppenhaus herauf sprinten. "Aufmachen! Polizei!" dröhnte es kurz darauf vor der Wohnungstür, doch ich konnte mich, schockiert wie ich war, nicht bewegen, denn die beiden gefesselten Männer lagen immer noch schreiend und weinend auf dem Küchenfußboden, während sie von einer Weide aufs Übelste verhauen wurden. Schwere Tritte gegen die aufächzende Tür, dann eine kleine, zaghafte Stimme, die einen Schlüssel anbot. Jemand fummelte am Türschloss herum, die Wohnungstür schlug mit einem letzten Ächzen auf und im selben Moment ließ Salix die Männer los und rollte sich in eine Küchenecke, bevor sie noch jemand sehen konnte. Das Bild, dass sich den bewaffneten eindringenden Menschen bot, war wohl lustiger, als beabsichtigt: ich im kurzen Sommerschlafanzug, noch immer mit einem leicht angehobenen hölzernen Kleiderbügel in der Hand einen Meter von zwei wimmernden, mit Schlägen schwer zugerichteten, dunkel gekleideten Männern, die sich verletzt auf dem Küchenfußboden wanden und verstreut herumliegender Erde. Sofort übernahmen die netten Herrschaften die Situation. Ich erkannte die Vermieterin, die mit herein gekommen war. Nachdem die ältere, engagierte Dame mich ins Wohnzimmer zerrte und mich auf die Couch zwang, erzählte sie mir, dass sie diejenige war, die auf Grund des Lärms die Polizei holte, sie zur Haustür unten hereinließ und sogleich meinen Ersatzwohnungsschlüssel mitbrachte, damit ein Eindringen erleichtert werden würde. Benommen und schockiert den Kleiderbügel noch in der Faust haltend, sah ich zu, wie die Herrschaften die dunklen Männer auf die Beine halfen und erstmal ihre Verletzungen begutachteten.  Keiner hatte den Eindruck, dass ihnen noch zu Flucht zumute war, denn sie konnten vor lauter blauer Flecke und tiefroter Striemen kaum stehen, geschweige denn schnell und ohne Schmerzen laufen. Ich wollte Salix nicht allein mit Fremden Menschen lassen, also erhob ich mich wieder und leistete den netten Herren und Damen in der Küche Gesellschaft. "Es war der Baum!" flüsterte der eine, ca. zwanzig jährige Einbrecher der Panik nahe der Polizistin mit dem Notizblock in der Hand zu. "Der da in der Ecke! Er hat uns angegriffen!" gehetzt sah er sich nach seinem Kumpel um. "Sag es ihnen!" forderte er den anderen, auch ca. zwanzig jährigen Freund auf. Die Polizisten sahen die beiden skeptisch und ungläubig an. Ich betrat die Küche. Alle Anwesenden betrachteten den vor Schock noch in meiner Faust befindlichen Kleiderbügel. "So, und nun weg mit euch!" ohne Umschweife wurden die beiden verhinderten Diebe von zweien der netten Herren aus der Wohnung zu einem von den auf der Straße stehenden Autos geführt. In dem Bericht der netten Dame stand, dass ich mich gegen die beiden Eindringlinge mit einem hölzernen Kleiderbügel gewehrt habe. Obwohl der Amtsarzt, der die beiden Einbrecher untersuchte, aussagte, diese Art Verletzungen könnten gar nicht von so einem Gegenstand herrühren. Doch in Ermangelung eines anderen Tatwerkzeuges blieb es bei dieser ersten Version. Als spät an diesem Morgen endlich alle Formalitäten geklärt und ich wieder - diesmal angezogen - als einziger Mensch in der Wohnung voller Erde, fremden Fußabdrücke und Ermittlungsüberresten stand, wanderte mein Blick zu Salix, die sich seit dem Auftauchen der Polizisten kein einziges Mal mehr geregt hatte. Ich hatte keine mentale Kraft mehr, meinen geschundenen Körper zu mehr als einer sitzenden Position zu zwingen, deshalb setzte ich mich vor meinen kleinen Baum auf den kalten, schmutzigen Küchenfußboden. Ich betrachtete Salix. Sie betrachtete mich. Plötzlich fiel mir auf, dass dem Baum ein großer Ast halb abgerissen war, mehrere kleinere Äste fehlten ganz und die Rinde des Hauptstammes war leicht aufgerissen, als habe jemand sie dort gepackt, sei abgerutscht und habe dabei verzweifelt mit den Fingernägeln Halt suchend gekratzt. Plötzlich brach die ganze Anspannung, die ganze Angst und Panik der vergangen Nacht aus mir heraus und ich begann zu schluchzen. Dicke Tränen rannen mir über das erschöpfte Gesicht, während ich mich mit den Ellebogen an Salix´s Blumentopfrand abstützte und den Kopf auf meinen Unterarmen sinken ließ. Ich weinte meinen ganzen seit Stunden gestauten Frust, meine unterschwellige Panik und mein ganzes Elend, dass mein einziger Beschützer der furchtbarsten aller Nächte Verletzungen davon getragen hatte, aus mir heraus. Nach einigen feuchten, schluchzenden Minuten bemerkte ich zum ersten Mal, dass mir jemand beruhigend und zärtlich über das Haar strich. Ich blickte auf und sah zuerst die drei Katzen Robin, Bonsai und Rose, die sich ängstlich um mich scharrten. Dann bemerkte ich, wie mir eines von Salix´s Ästen zart das verwirrte Haar aus dem Gesicht und ein Blatt eines anderen Astes an einer tränennassen Wange entlang strich. Ich lächelte und sogleich kullerten zwei weitere Tränen über mein Gesicht, doch diesmal war ihr Ursprung Freude. Von diesem Tag an besaß Salix eine nie ganz verheilende kleine Narbe an ihrem ansonsten makellosen Stamm und der eine starke, jedoch beschädigte Ast musste leider amputiert werden. Die Weide kam allerdings gut damit zurecht, da sie im darauf folgenden Jahr wieder viele neue Triebe bildete. Seit diesem Vorfall besaßen wir eine noch engere Bindung. Obwohl das kaum vorzustellen ist, da es sich ja schließlich um einen Baum handelt. Ich habe übrigens nie heraus bekommen können, welche Art meine Salix angehörte. Denn selbst die Bestimmungsversuche auf Grund ihrer Blüten einige Jahre später erbrachten kein Ergebnis. Auch hörte ich nie von einer zweiten Weide, wie Salix, weder hier in meiner Umgebung, noch irgendwo im Ausland. Unser Leben ist erfüllt und glücklich, obwohl ich zugeben muss, dass Salix langsam zu groß für einen Blumentopf wird. Vielleicht wird der Traum eines eigenen Hauses mal wahr, dann bekommt meine kleine Weide einen schönen Platz direkt neben dem Küchenfenster, damit wir morgens gemeinschaftlich eine Radiosendung hören und zu der Musik tanzen können. [/SIZE]