Das Leben ist kein Wunschkonzert -
Der Irrwicht Nein, nicht schon wieder! Das konnte doch einfach nicht sein! Wieso musste ich mich dauernd mit ihnen streiten? Dabei waren sie doch meine besten Freundinnen. Doch Elizabeth und Emily konnten meine Meinung manchmal einfach nicht akzeptieren. Manchmal verstand ich die Beiden wirklich nicht. Ich meine, ich werde doch neben ihnen auch noch andere Freundinnen haben dürfen! Aber genau das schien sie zu stören. „Was machst du nur andauernd mit dieser Cassy?“, hatten sie mich gefragt. Schön, das hätte ich noch verstehen können. Schließlich verbrachte ich in den letzten Wochen immer mehr Zeit mit der Gryffindor. Aber was danach kam, das brachte mich einfach auf die Palme: „Du hast gar keine Zeit mehr für uns! Ich geh mit Cassy hierher und ich muss noch das mit Cassy machen! Man würde meinen, sie ist deine beste Freundin und nicht wir! Außerdem ist sie nicht einmal nett!“ Nicht nur, dass das völlig übertrieben war, (im Unterricht sitze ich zwischen Elizabeth und Emily, in der Großen Halle sitzen wir gemeinsam an unserem Haustisch und unsere Hausaufgaben machen wir auch immer zusammen) hatten sie auch noch Cassy beleidigt. Und das war wirklich nicht fair. Auch wenn sie, anders als ich, keine Hufflepuff sondern eine Gryffindor war, so war sie trotz allem wirklich nett. Richtig eingelassen habe ich mich auf sie nur, weil wir gemeinsam eine Arbeit für Verwandlung machen mussten und wir hatten das wirklich gut zusammen gemacht (selbst Professor McGonagall war zufrieden gewesen). Seitdem haben wir manchmal etwas miteinander unternommen. Gestern waren wir zusammen nach Hogsmeade gegangen, da Liz und Emily Quidditchtraining hatten und nicht mitkonnten. Aber als sie das erfuhren, waren die beiden gar nicht begeistert gewesen. Doch das ist doch völlig übertrieben! Sie können doch kaum von mir verlangen, dass ich nur sie beide als Freundinnen habe und sonst allen die kalte Schulter zeige! Oder? „Nein, das können sie nicht!“, fauchte ich in Gedanken, während ich meine Schritte beschleunigte. Die Korridore waren völlig ausgestorben. Die meisten Schüler waren in ihren Gemeinschaftsräumen, doch ich hatte die Flucht aus dem Keller ergriffen, als unser Streit immer weiter eskalierte. Jetzt rannte ich planlos durch das ganze Schloss, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Ich steigerte mich immer mehr in meine Wut herein; bis ich von Peeves äußerst unsanft unterbrochen wurde. Und zwar bombardierte er mich mit Kies. Wo, verdammt noch mal, war er da dran gekommen? Aber Hogwarts war schließlich groß. Bestimmt fand man irgendwo Kies – wenn man sich die Mühe machte, überhaupt danach zu suchen. Allerdings wünschte ich mir in diesem Moment, Peeves hätte nicht nach den kleinen Steinchen gesucht – denn mit ihnen beschossen zu werden war nicht unbedingt angenehm. Ich flüchtete in ein leer stehendes Klassenzimmer, in der Hoffnung, dass Peeves mich als zu uninteressant befand, als mir zu folgen. Und ich hatte Glück. Wie es schien, schlurfte genau in dem Moment, als ich die Tür hinter mir schloss, der Hausmeister um die Ecke, jedenfalls fing der Poltergeist an, ein höchst unanständiges Lied über Besen, Putzmittel und Hausmeister zu singen, ehe er sich aus dem Staub machte. Ich begann bereits mich zu fragen, ob ich hier Wurzeln schlagen musste, denn der Hausmeister ging einfach nicht weg. Doch plötzlich hörte ich ein Geräusch. Ich wirbelte herum und lief von der Tür weg. War jemand hier? Versteckte sich auch noch eine andere Person in diesem Klassenzimmer? Vorsichtig ging ich in die Richtung, aus der das Rumoren gekommen war, und stand schließlich vor einem zitterndem Schrank. Was zum Teufel war da drin? Bestimmt kein lieber Knuddelmuff oder so was. Vielleicht ein Irrwicht? Ich erinnerte mich an die vorletzte Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste, in der wir dieses Wesen kennengelernt hatten. Ja, es war ganz sicher ein Irrwicht. Sollte ich mich ihm stellen? Oder lieber einem Lehrer bescheid sagen? In der Stunde war ich bei den praktischen Übungen nicht drangekommen, obwohl ich es wollte, war jetzt nicht die beste Gelegenheit dazu? Ich trat einen Schritt zurück, so dass nun gut drei Meter zwischen mir und dem Schrank lagen. „Alohomora“, flüsterte ich und die Schranktür ging langsam auf. Heraus fiel eine Leiche. Erschrocken schrie ich auf und sprang zurück. Ich hob meinen Zauberstab, doch ich brachte keinen Ton über die Lippen. Mit geweiteten Augen starrte ich den toten Körper an. Es war Emily. Kurz darauf verwandelte er sich mit einem Knall in Elizabeth, dann nahm er wieder Emilys Gestalt an. Ich wurde kreidebleich. Doch schließlich besann ich mich und rief mir in Erinnerung, dass es nur ein Irrwicht war. „Riddikulus“, sagte ich laut und deutlich. Mit einem weiteren lauten Knall wurde die Leiche von oben bis unten schwarz-weiß gestreift, auf dem Kopf wuchs eine Sommerwiese, es sah einfach nur komisch aus. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, hatte nach kurzer Zeit sogar Bauchschmerzen. Nach einigen Minuten gab es ein ohrenbetäubendes Geräusch und der Irrwicht löste sich in Luft aus. Ich brauchte noch einige Sekunden, ehe ich mich wieder beruhigt hatte, doch dann wurde ich todernst. Der Tot von Emily und Elizabeth war das, wovor ich auf der ganzen Welt am meisten Angst hatte. Bewies das denn nicht, wie sehr ich sie mochte? Nicht jeder hatte das Glück, jemals solche Freunde zu finden, die immer für einen da waren. Ja, vielleicht gab es mal den einen oder anderen Streit. Doch das gehörte dazu. Sagte man nicht auch, dass es keine Freundschaft geben kann, solange man keinen Kampf gehabt hatte? Doch trotzdem. Man musste dafür sorgen, dass der Streit die Freundschaft nicht zerstörte. Zwar fand ich nach wie vor, dass ihre Reaktion nicht gerechtfertigt war, doch vielleicht sollte ich ihnen noch einmal alles in Ruhe erklären – soweit sie mir zuhören wollten. Doch ich musste es versuchen! Für unsere Freundschaft. Ich betrat den Gemeinschaftsraum und sah mich um. Wo waren sie? Nicht am Kamin, auch nicht in den bequemen Sesseln. Ich stürmte in Richtung Mädchenschlafsäle, vielleicht hatten sie sich ja dort verkrochen. Ich riss die Tür auf – und sah die beiden auf Emilys Bett sitzen. Erschrocken blickten sie auf und als sie mich sahen zogen sie eine Augenbraue hoch, das ganze ziemlich zeitgleich. „Ich muss mit euch reden“, stieß ich hervor, ehe ich nach Luft schnappte. Ich war wie verrückt durch das ganze Schloss gelaufen und jetzt war ich kurz davor einfach umzukippen. „Ich wüsste nicht, was wir noch zu bereden hätten. Du kannst ja mit deiner Cassy reden, ihr seid ja die besten Freundinnen!“, keifte Em. Ich musste mich beherrschen, um nicht wieder ausfallend zu werden. Bemerkte sie denn nicht, was für einen Unsinn sie da von sich gab? „Glaubst du – ihr – wirklich, dass Cassy mir so wichtig werden kann wie ihr? Ich meine, wir kennen und schon so lange. Wir haben immer zusammengehalten, beste Freundinnen, für immer und ewig? Haben wir uns das nicht geschworen? Für mich wird es nie eine andere beste Freundin geben als euch. Ihr könnt unsere Freundschaft doch nicht einfach so fallen lassen!“ Nach meiner feurigen Rede senkte ich meinen Blick auf den Boden. Komischerweise wollte ich ihre Reaktion gar nicht sehen. Ich hatte Angst. Angst, dass dieser Streit unsere Freundschaft zerstören würde. Doch es durfte nicht sein. Mein Blick fiel auf mein rechtes Handgelenkt, das mit einem Armband geschmückt war. Es bestand aus drei dünnen Schnüren, die einander verwoben waren. Unser Freundschaftsband. Ich blickte wieder auf. „Wir haben aneinander geglaubt. Unser Freundschaftsband. Wir können die drei Fäden doch nicht einfach voneinander trennen. Alleine sind sie Nichts, nur eine Schnur, nichts Schönes, nichts Besonderes. Nur zusammen sind wir stark!“, schloss ich ab. Ich fixierte die beiden mit meinem Blick. Doch die beiden wichen mir aus und senkten ihren Blick auf ihre Arme. Es waren keine Bänder mehr da. Ich musste mich zusammenreißen, damit sich keine Träne aus meinen immer feuchter werdenden Augen löste. Ohne ein weiteres Wort zu sagen kehrte ich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Schlafsaal, aus dem Gemeinschaftraum. Ich wollte nur noch weglaufen. Weglaufen vor der Enttäuschung. Vor all dem Schmerz. Drei Fäden Ich wusste später selbst nicht, wieso ausgerechnet diese fehlenden Armbänder mir die Hoffnung geraubt hatten. Vielleicht weil sie ein Symbol waren? Ein Symbol für unsere Freundschaft, welches die beiden weggeschmissen hatten. Ist das nicht genauso, als würden sie mir einfach sagen, dass unsere Freundschaft vorbei war? Mal ganz abgesehen, dass dies nicht halb so feige gewesen wäre. All meine Energie, mein Kampfesgeist von vorhin waren verschwunden. Ich fühlte mich ausgelaugt, mutlos. Langsam ging ich auf einen riesigen Baum zu, der hier auf den Ländereien wuchs. Ich setzte mich in den Schatten, welchen die Krone warf und lehnte meinen Rücken gegen den Baumstamm. Ich verlor mich in meinen Gedanken, streifte geistesabwesend mein Armband ab und ließ es durch meine Finger gleiten. Ich vergaß ganz die Zeit, hing meinen eigenen Gedanken nach und vergaß schon fast, wo ich war. Umso mehr erschrak ich, als sich plötzlich jemand neben mich setzte. Mein Herz machte einen hoffnungsvollen Sprung. War es vielleicht Emily? Oder Elizabeth? Oder sogar alle beide? Doch als ich mich der Person zuwandte, wurde ich enttäuscht. Es war Cassy. Sofort schämte ich mich. Dafür, dass ich ‚nur’ gedacht hatte. Cassy war kein minderwertiger Mensch, schon gar nicht jetzt. Jetzt, wo Liz und Em unsere Freundschaft einfach weggeworfen hatten. „Hey“, begrüßte ich sie und rang mir ein schwaches Lachen ab. Ich fragte mich, ob ich ihr von dem Streit erzählen sollte. Schließlich war sie der Auslöser dafür. Obwohl sie gar nichts dafür konnte. Nein, ich schob Cassy nicht die Schuld dafür in die Schuhe. Doch wessen Schuld war es denn dann? Meine? Hätte ich von Anfang an vernünftig mit Emily und Liz reden sollen? Oder hätte ich mich von Cassy fernhalten müssen – für unsere Freundschaft – als ich merkte, dass es Elizabeth und Emily etwas ausmachte? War ich rücksichtslos gewesen? Hatte ich nur an mich gedacht? Meiner Meinung nach war das alles Quark. Es war mein gutes Recht, auch andere Freundinnen zu haben. Aber vielleicht war ich doch zu voreingenommen und Emily hatte Recht? Sie war eifersüchtig, sie und Elizabeth, da war ich mir ganz sicher. Hatten sie das Recht dazu? Oder reagierten sie völlig über? Bestimmt würde es gut tun, die Meinung eines anderen Menschen dazu zu hören. Doch war Cassy der richtige Mensch dazu? Würde es sie verletzten, dass Emily und Elizabeth so ein großes Theater wegen ihr machten? Vielleicht würde sie ja so was sagen wie „Es ist vielleicht besser, wenn wir unsere Freundschaft beenden. Das gibt doch eh nur Streit.“ Ich wollte nicht, dass sie das sagte. Ich mochte sie. Vielleicht nicht so sehr, wie ich Emily und Elizabeth mochte, doch sie war meine Freundin. Ich wollte sie nicht verlieren. „Was ist los?“, fragte Cassy mich. Mit diesen Worten beendete sie meinen Schwall von Fragen, die ich mir stellte, und auf die ich keine Antwort hatte. Sie kannte mich schon gut, gut genug um zu sehen, dass nicht alles perfekt war. Ich sah sie kurz an, wandte mich aber gleich wieder ab. „Nichts“, log ich, obwohl ich wusste, dass sie es mir nicht abnahm. Als ich wieder zu ihr hinüber sah, zog sie ihre Augenbraue hoch. Sie brauchte nichts zu sagen, ihre Miene sprach Bände. „Na gut“, gab ich schließlich nach, „ich hab Streit mit Emily und Elizabeth. Wegen uns.“ Einen Moment lang kam ich mir blöd vor. Das klang so, als ob Cassy und ich zusammen wären. Bah. Aber wie hätte ich es sonst sagen sollen? Cassy runzelte die Stirn. „Ich habe es kommen sehen“, seufzte sie, „ich hätte dich einfach in Ruhe lassen sollen. Aber weißt du, ich mochte dich. Du bist echt nett und ich hatte viel Spaß mit dir während diesem Referat. Ich wollte nicht loslassen. Auch wenn es ein Fehler war“, schloss sie ab. Ich sah sie lange an. Sie sah mir aus ihren grünen Augen traurig entgegen, ihre roten Locken wehten im Wind und sie hatte ihre Arme um die Knie geschlungen. Es schien ihr wirklich leid zu tun, obwohl sie doch für nichts konnte. „Ach, das ist doch Quatsch mit Soße“, widersprach ich, „wenn hier irgendjemand überreagiert, dann sind das wohl Emily und Liz. Aber im Moment ist es echt schlimm. Ich glaube, sie haben unsere Freundschaft aufgegeben.“ Ich klang so, wie ich mich fühlte. Müde, verzweifelt und ratlos. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich machen sollte. Kämpfen? Aufgeben? Hatte ich ganz einfach verloren? „Aber eure Freundschaft ist etwas ganz besonderes. So etwas findet man nicht alle Tage. Ihr könnt das nicht einfach wegschmeißen – nicht wegen mir. Ich werde mir ihnen reden. Ihnen erklären, dass ich dich nicht für mich alleine haben will“, sagte Cassy. Ich hörte aus ihrer Stimme heraus, dass sie selber nicht ganz vom Erfolg dieser Aktion überzeugt war. Doch ich sah sie dankbar an. Sie machte sich ernsthaft Sorgen um unsere Freundschaft, die zwischen mir, Emily und Elizabeth. Dabei könnte sie auch einfach nichts tun. Ihr konnte es doch einfach egal sein. Doch sie war meine Freundin. Gab es nicht auch so ein Sprichwort? Ein einfacher Freund hört dir bei deinen Problemen zu – ein wahrer Freund versucht dir bei ihnen zu helfen. Ich fand, dass dies stimmte. Cassy war eine echte Freundin. „Glaubst du, das hilft?“, fragte ich sie schließlich, „Die Beiden können ziemlich stur sein.“ „Ich weiß“, seufzte Cassy, „aber ein Versuch kann doch nicht schaden.“ Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Was hatte ich noch zu verlieren? Mal ganz abgesehen von Cassy, die sich hoffentlich nach diesem Gespräch nicht von mir abwenden würde. „Wieso musste das alles überhaupt passieren? Wieso können die beiden es nicht einfach akzeptieren? Warum muss immer alles genau so laufen, wie ich es nicht will?“, fragte ich mich selbst. Ich sah Cassy an. Und dann sagte sie etwas sehr wahres, etwas was ich nie wieder vergessen würde. „Weißt du, das Leben ist kein Wunschkonzert. Doch auch wenn nicht immer die Stücke gespielt werden, die wir uns ausgesucht haben, so können wir doch das Beste draus machen – sie uns anhören, vielleicht sogar feststellen, dass wir sie mögen. Und auch wenn einmal ein Lied dabei ist, das wir nicht mögen, so können wir doch an die schönen denken, die uns gefallen. Wir müssen warten, bis sie vorbei sind, damit wieder die Schöneren beginnen können. Wir sind gespannt, welche Stücke noch kommen werden und traurig, wenn ein besonders schönes zu Ende ist. All dies gehört zu einem Konzert dazu. Und wenn wir aus dem Konzertsaal gehen, dann sollten wir an die schönen Dinge denken, die wir erlebt haben. Und wir sollten glücklich sein, es erlebt zu haben.“