6. Kapitel - --
Draco saß nun in einem Sessel gegenüber dem Schreibtisch, an dem Astoria ihre Arithmantikaufgaben so gut, wie ihr eben möglich, löste. In einem letzten verzweifelten Versuch, seine Aufmerksamkeit von der Hexe vor ihm auf irgendetwas anderes zu lenken, wenn es auch nur die Auswahl von farbigen Federn auf dem Regal neben ihm wäre oder das Sortiment farbenwechselnder Tinte daneben, fing er gedankenverloren an, auf dem Pergament rumzukritzeln, mit dessen Hilfe er Astorias Lösungen auf ihre Richtigkeit überprüfte. Warum waren es denn auch bei Salazar noch einmal so viele? Er hätte schwören können, dass Professor Vektor, zumindest zu seiner Zeit, noch nicht so mit den Hausaufgaben übertrieben hatte. Andererseits war er aus naheliegenden Gründen nicht dazu gekommen, nach seinem sechsten Schuljahr auch nur an eventuelle Hausaufgaben zu denken... Er schüttelte verhemmend den Kopf. Das war nun wirklich kein Thema, über das er nachdachte, wenn er es irgendwie vermeiden konnte. „Draco?“ Aus seinen Gedanken hoch geschreckt schaute er zu Astoria, die sich auf ihrem Stuhl umgedreht hatte und ihn fragend anschaute. Er legte sein Pergament zur Seite und ging zu ihr hinüber. „Hast du ein Problem mit den Aufgaben?“ fragte er, während er einen Blick auf ihre Aufzeichnungen warf. Sie nickte und überflog kurz den Zettel vor ihr, bevor sie auf eine Gleichung, deren Lösungsversuche schon mehrfach durchgestrichen waren, deutete. „Ja, das hier ergibt keinen Sinn, wenn man hier,“ sie deutete auf den Anfang der Aufgabe „tatsächlich ‚Gwerenyns Gesetze’ anwendet, geht es hier,“ sie deutete auf einen Zusatz am Ende der Gleichung „nicht mehr auf.“ Sie wandte sich mit gerunzelter Stirn zu ihm um. Draco wurde auf einmal unangenehm bewusst, dass er sich bei ihren Ausführungen gefährlich nahe zu ihr heruntergebeugt hatte, um über ihre Schulter hinweg die Formel betrachten zu können und sich sein Gesicht ein ganzes Stück zu nahe an dem ihrem befand. Er konnte sich nicht nehmen, sie noch einmal eingehend zu betrachten, insbesondere ihre ungewöhnlich dunkelblauen Augen, die ihn mit einem Ausdruck bedachten, den er nicht zu deuten wusste. Hastig löste er sich von ihrem Anblick und trat einen Schritt zur Seite. Das kam davon, wenn man sich entschieden zu lange Gedanken über... Themen – oder in diesem Fall wohl eher Personen- machte, bei denen man es definitiv lassen sollte. Bemüht, sie weder noch einmal zu genau anzuschauen, noch ihr wieder so nahe zu kommen, wie zuvor, stellte er sich an die ihr am entferntesten liegende Seite des Schreibtisches und deutete auf die Aufgabe. „Ehm... Da hast du am Anfang einen Fehler gemacht, Es gibt da eine Eselsbrücke: „Nutze zuerst die zweite nie, denn es bricht dir das Knie...“ *+* Zwei Stunden, in einer seinem, Geschmack nach eindeutig zu angespannten Stimmung, später saß Draco in der Bibliothek des Anwesens und hatte so, wie es schien, endlich das richtige Buch gefunden. Ungeduldig schlug Draco „Gar dünkle Erkrankungen des Geistes“ auf und überflog das Inhaltsverzeichnis in der Hoffnung hier, nach den Enttäuschungen der letzten halben Dutzend Büchern, endlich etwas Brauchbares zu finden. Man sollte eigentlich denken, dass es einfach war, in einer Bibliothek dieser Größe etwas Brauchbares zu finden, zumal Accarentius Greengrass, der Ururgroßvater der Grenngras-Schwester, er möge in Frieden ruhen, den Namenszügen des Besitzers in den psychologisch orientierten Büchern nach zu urteilen einen schwachen Punkt für die Thematik hatte (Wofür sich die Leute interessiert haben, als es noch kein Radio gab, tse...). Aber nein, alles, was er bisher gefunden hatte, war entweder so vage gestaltet gewesen, dass man nichts damit anfangen konnte, oder in solch einem Fachjargon, dass man für die Lektüre eine abgeschlossenes Heilerausbildung benötigte. Es war aber auch - Stop. ‚Depressionen - Krankheitsbild und Symptome, Seite 1397’ Wer sagte es denn, das hörte sich doch schon einmal sehr gut an. Mit vor Konzentration gerunzelter Stirn überflog er hektisch das Kapitel, als alles vorhergehende langsam einen Sinn zu machen begann. Er schaute noch einmal auf die vor ihm aufgeschlagene Seite und fasste das Gelesene für sich noch einmal kurz zusammen. Symptome im schlimmsten Fall: -Stimmungseinengung (Verlust von Trauer und Freude) -Antriebshemmung (auch Denkhemmung) -innere Unruhe -Schlafstörungen (Zeigt einen gestörten 24-Stundenrhytmus. Oft fühlt sich der Betroffene im frühen Morgen so schlecht, dass er oder sie nicht mehr schlafen kann. Am späten Nachmittag und Abend geht es ihm dementsprechend besser, bis die depressiven Symptome am späten Abend in voller Stärke zurückkommen.) -übertriebene Sorge um die Zukunft -Minderwertigkeitsgefühle -Hilflosigkeit -soziale Isolation -Hoffnungslosigkeit -übertriebene Schuldgefühle -Müdigkeit -verringerte Konzentrationsfähigkeit -sinnloses Gedankenkreisen (auch ‚Grübelzwang’ genannt) -Störung des Zeitempfindens -vermindertes Selbstwertigkeitsgefühl -Vitalstörungen (körperliche Symptome): - Appetitlosigkeit - Schlafstörungen - Gewichtsabnahme - Gewichtszunahme (‚Kummerspeck’) - Knochenschwund - Schmerzen in unterschiedlichen Regionen, oft als quälendes Druckgefühl auf der Brust - Oftmals starke Kopfschmerzen mit Hang zur Migräne Ja, auf einmal ergab alles auf eine eigenartige Art und Weise Sinn... Seufzend steckte Draco das Buch in seine Tasche. Anhand der Staubschicht auf dem Band zu urteilen (Irgendwer sollte sich einmal ernsthaft die Hauselfen vornehmen!) würde es wohl in nächster Zeit keinem auffallen, wenn er das Buch mitnehmen würde, also würde auch niemand ungebetene Fragen stellen. Als er die Hand zurückziehen wollte, stieß er mit den Fingerspitzen gegen einen Zettel. Stirnrunzelnd zog Draco den Arithmantikzettel hervor und seufzte, als ihm das, trotz seines mangelnden zeichnerischen Talentes, deutlich erkennbare Gesicht eines Mädchens mit hellem Haar entgegenblickte. Erneut aufseufzend knüllte er es zusammen und stopfte es in seine Tasche, bevor er die Bibliothek verließ, um in sein Zimmer zu gehen. Er dachte entschieden zu viel über sie nach, das stand fest. Verwundert blickte er zum Ende des dunklen Korridors, den offensichtlich gerade jemand mit einem Licht in Richtung der Treppe zur Dachterrasse durchquerte und sah gerade noch, wie dieser jemand um die Ecke bog und verschwand. Von einem nur zu willkommenen, da von anderen Gedanken abhaltend, plötzlichen Interesse erfasst stieg er die Treppe zur Terrasse hinauf. Im Dunkeln fiel er fast über einen Blumentopf, als er aus dem Treppenhaus stieg. Warum bei Merlin platzierte jemand so etwas auch so verdammt ungünstig? Leise fluchend trat er gegen das aufwendig verzierte Stück und sah gerade noch, wie sich eine zierliche Figur mit im Mondlicht golden leuchtendem Haar auf der Terrassenbalustrade niederließ, die Beine in die Tiefe baumelnd.